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REZENSION/737: Kathryn Yussof - A Billion Black Anthropocenes or None (SB)


Kathryn Yussof


A Billion Black Anthropocenes or None



Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde mit dem Konzept des Anthropozäns eine "Geologie der Menschheit" postuliert, die nicht nur, wie häufig vermutet, eine kritische Bilanzierung menschlichen Einwirkens auf Natur und Umwelt zum Gegenstand hat. Für manche kündigt dieser Begriff auch eine Zukunft der Menschheit an, in der technisches Vermögen die widrigen Naturbedingungen erfolgreicher denn je in die Schranken weist. Auch wenn die Fraktion derjenigen, denen das Anthropozän eine transhumanistische Perspektive eröffnet, überschaubar ist, so läßt ihr unerschütterlicher Optimismus doch ein zentrales Merkmal des den Wissenschaftlern Paul Crutzen und Eugene Stoermer geschuldeten Begriffes für ein neues Erdzeitalter erkennen - mit der Erklärung der "Menschheit" zum kollektiven Subjekt, zum "Wir" beanspruchter Selbstermächtigung werden tiefgreifende historische, politische und kulturelle Unterschiede zwischen den handlungstragenden Kräften eingeebnet.

Während vor allem von Sozial- und KulturtheoretikerInnen Einwände gegen die paternalistische Deutungsmacht meist weißer privilegierter Männer im Elfenbeinturm des Wissenschaftsbetriebes geltend gemacht wurden, haben sich die Geowissenschaften auf die genaue Bestimmung des Zeitpunktes verlegt, an dem das 12.000 Jahre währende, die Entwicklung menschlicher Zivilisationen durch vorteilhafte klimatische Bedingungen begünstigende Holozän endete und das Anthropozän begann. Die in den Geowissenschaften etablierte Anthropocene Working Group (AWG) will 2021 bei der International Commission on Stratigraphy einen Entwurf zur wissenschaftlichen Definition des Anthropozäns einreichen, für den sich ihre Mitglieder auf den konkreten zeitlichen Beginn der gegenwärtigen erdgeschichtlichen Epoche einigen wollen.

Crutzen und Stroemer haben diesen Zeitpunkt noch aufgrund des mit der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden starken Verbrauches fossiler Energie und der dadurch ausgelösten Umweltveränderungen angesiedelt, sind mit diesem Vorschlag jedoch am Einwand, daß es sich dabei um ein auf Westeuropa und Nordamerika begrenztes Phänomen handelte und zuvor schon erhebliche Eingriffe in die Natur stattgefunden hätten, weitgehend gescheitert. Die AWG scheint mehrheitlich dazu zu tendieren, sich auf das Jahr 1950 als Startpunkt der neuen Epoche festzulegen, gilt die damit eröffnete Dekade doch als Ausgangspunkt einer Phase menschlicher Entwicklung, die als "Große Beschleunigung" ("Great Acceleration") Eingang in den internationalen Diskurs zur Krise des Klimas und der Biodiversität gefunden hat. Die kriegsökonomisch angeheizte Technologie- und Produktivkraftentwicklung hatte zahlreiche Substanzen synthetischer Art hervorgebracht, die sich in der Atmosphäre, im Wasser und auf den mit neuen Pestiziden und Düngemitteln bewirtschafteten Böden nachweisen ließen. Insbesondere die weltweite Nachweisbarkeit der Spaltprodukte atomarer Aufrüstung, die mit Hunderten von Atomtests vorangetrieben wurde, gilt als erdgeschichtliches Merkmal für die Anwesenheit einer Spezies, die die eigene Lebenswelt mit technischen Mitteln grundlegend verändert.

So sehr die Suche nach konkreten Belegen stratigrafischer, stoffliche Spuren menschlicher Produktionsweisen in Ablagerungen von Sedimentgesteinen untersuchender Art wissenschaftsimmanenten Sinn machen mag, so gering scheinen demgegenüber die sozialen und gesellschaftlichen Faktoren dieser Entwicklung geschätzt zu werden. Dies ist nicht nur für die historische Erkenntnissuche bedeutsam, sondern vor allem für die absehbare Verwendung des Anthropozän-Begriffs in Entscheidungsprozessen relevant, in denen maßgebliche Weichenstellungen für die Zukunft kapitalistischer oder auch anderer Formen der Vergesellschaftung erfolgen.

Wenn zentrale Begriffsachsen der Verortung des Menschen in natürlichen Lebenswelten neu geschaffen und für politische Handlungsmacht bedeutsam werden, dann ist die beanspruchte wissenschaftliche Neutralität von Anfang an in Frage zu stellen. Wo der kosmopolitische und universalistische Anspruch menschheitsgeschichtlicher Anschauung jedes Partikularinteresse vom Platz zu verweisen scheint, läßt die Genese des Begriffes in den Epistemologien anthropozentrischer, westlich-europäischer Wissenschaften ahnen, daß seine Geburt vom Einfluß einer vor allem von Europa und Nordamerika ausgehenden Strategie kolonialistischer Welteroberung und systematischer Ressourcenaneignung nicht zu trennen ist.

Diese Erkenntnis hat etwa bei dem Alternativvorschlag Pate gestanden, der Erzeugung eines "unheilbaren Risses" (Karl Marx) im Stoffwechsel von Mensch und Natur durch die Begriffsbildung "Kapitalozän" anstelle "Anthropozän" Rechnung zu tragen. Eine konstitutive Rolle in dieser Entwicklung nahm der transatlantische Sklavenhandel ein, den Marx als prägenden, der "verhüllten Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa" zum Vorbild gereichenden Faktor der ursprünglichen Akkumulation erachtete.

Wo die Anwendung historisch-materialistischer Kritik auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse eine alternative Sicht entwirft, macht Kathryn Yusoff fundamentale Einwände gegen die etablierte Form geowissenschaftlicher Ursachenforschung geltend. In dem Band "A Billion Black Anthropocenes or None" lastet die Professorin für Inhuman Geography an der Queen Mary University of London der Geologie eine rassistische und kolonialistische Denkungsart an, die bereits in ihrer institutionellen Konstitution als Legitimationsprojekt extraktivistischer Landnahme angelegt sei. Die Nutzung geologischen Wissens beim Anlegen von Minen und Pipelines, die Aneignung von Landbesitz und Wasserrechten, die Ausbeutung versklavter Menschen sei nicht allein an die AuftraggeberInnen zu adressieren. Als eine Institution weißer Vorherrschaft sei die Geologie wesentlich am Erfolg kolonialistischer Eroberungen beteiligt, was sich auch im Konzept des Anthropozäns ausdrücke.

Im Mittelpunkt ihrer Kritik steht die in den Geowissenschaften unzureichend aufgearbeitete Bedeutung der genozidalen Verschleppung von Millionen Menschen in einen anderen Kontinent, wo sie als Sacheigentum nach Belieben ihrer BesitzerInnen verfügbar waren. Ohne den transatlantischen Sklavenhandel wäre der heutige Wohlstand Nordamerikas und Westeuropas nicht zustande gekommen. Ohne ihre Ausbeutung auf den Plantagen der Südstaaten und in der Karibik, ohne die Zwangsarbeit in den Gold-, Silber- und Kupferminen Südamerikas, wo sie im Dunkel des Berges mit einer solchen Brutalität regelrecht verbraucht wurden, daß ihr junges Leben schon nach sechs bis acht Jahren zuende war, ohne die Zwangsarbeit in den Kohlebergwerken und Stahlschmieden der Vereinigten Staaten hätte es keine Zentren industrieller Entwicklung gegeben, die fossile und menschliche Energie in globale Hegemonie übersetzen konnten.

"Ihre Leben waren eingebettet in jede Münze, die die Hände wechselte, jeden Löffel Zucker, der in einer Tasse Tee verrührt wurde, jeden Zug an einer Pfeife und jeden Bissen Reis", zitiert die Autorin aus einem im National Museum of African American History and Culture in Washington D.C. zu lesenden Text. "Zucker war die Konversion unmenschlicher Sklavenenergie in Brennstoff, dann zurück in menschliche Energie, plus nichtmenschlicher Energie, zwecks Hervorbringung der Industrialisierung. Kohle war die logische Folge jener entmenschlichten schwarzen Körper. Kohlenschwarz" (S. 15, in eigener Übersetzung). Kathryn Yussof geht den Stoffwechselprozessen zwischen Mensch und Industrie in den Kategorien einer Gesellschaftskritik auf den Grund, die ihren Anfang vor allem bei Michel Foucault und dem französischen Poststrukturalismus genommen hat und deren Argumentation mit einer betont ontologischen Begrifflichkeit operiert.

Die Unterteilung zwischen den Figuren des Menschen und Nichtmenschen und ihre Manifestationen im subjektiven Leben bringt eine der schrecklichsten Konsequenzen der Teilung von Materialität, die als biopolitisches Werkzeug von Governance organisiert und praktiziert wird, hervor. Die Spaltung in Nichtleben und Leben betrifft nicht nur diese Materialität, sondern die rassistische Organisation des Lebens als Grundlage der Geographien der Neuen Welt. Die biopolitische Kategorie des Nichtseins wird etabliert durch SklavInnen, die für und als Gold gehandelt werden. Sklaverei war ein geologisches Axiom des Nichtmenschen, in dem Nichtsein als Fleisch (flesh) hergestellt, reproduziert und zirkuliert wurde. (S. 5, in eigener Übersetzung)

Die Bewegung von Energie zwischen versklavten Körpern in Plantagen, Pflanzen, seit langem toten fossilisierten Pflanzen und industrieller Arbeit ist eine geochemische Gleichung der Extraktion bei der Umwandlung in Surplusprofite. Diese rassifizierte Gleichung von Energie ist jedoch in einem breiteren Feld der Produktion und Semiotiken der Extraktion angesiedelt. Sklaverei ist kein bloßes Nebenprodukt dieses Prozesses, sondern wird von einer indifferenten extraktivistischen Geo-Logik angetrieben, die von der Gier nach nichtmenschlichen Besitztümern befeuert wird. Indigener Genozid und Siedlerkolonialismus sind ebenfalls Teil dieser extraktivistischen Geo-Logiken.
(S. 16, in eigener Übersetzung)

Im atlantischen Dreieckshandel, in dem Güter, Rohstoffe und SklavInnen zwischen Westafrika, den Americas und Westeuropa zirkulierten, manifestierte sich ein Gründungsakt der industriellen und kolonialistischen Moderne, dem Yussof in seiner materiellen wie begrifflichen Dimension auf originelle Weise auf den Grund geht. In ihrem essayistischen, von vielschichtiger Wortsemantik geprägten Schreibstil wechselt die Autorin mühelos zwischen verschiedenen Aggregatzuständen, Produktionsprozessen und Verwertungspraktiken.

Kapitalismuskritik leistet sie immer dann, wenn sie die Kommodifizierung und Fungibilität schwarzer Körper als unabdinglich für die florierende Sklavenökonomie herausstreicht. Unter Verweis auf die jamaikanische Autorin Sylvia Wynter erklärt sie die Beziehung zwischen versklavter und freier Arbeitskraft in der Plantagenökonomie zum intrinsischen Bestandteil kapitalistischer Organisation, die Schwarze in der Dichotomie des Leben mit wissenschaftlicher Legitimation auf der Seite des Nichtlebens verortete, was als Ausdruck administrativer wie kapitalistischer Verfügungsgewalt über Wasser, Land, Ökosysteme und Bioorganismen durch Rechts- und Eigentumstitel oder der Auswirkungen ökozidaler Vernichtung im Umweltrassismus bis heute Gültigkeit besitzt.

Häufig kommt die Autorin auf die Thesen Saidiya Hartmans zu sprechen. Der Afropessimismus, zu dessen bekanntesten Stimmen sie gehört, erkennt in der strukturellen Negation schwarzer Subjektivität und der Zurichtung der Nachfahren der SklavInnen zu Feinden der weißen Mehrheitsgesellschaft die zentralen Triebkräfte rassistischer Gewaltverhältnisse. Zumindest im akademischen Bereich formuliert der Afropessimismus die wohl schärfste Kritik an weißer Suprematie. Die Elimination aller familiären und kulturellen Bezüge aus Afrika verschleppter SklavInnen war keine Begleiterscheinung, sondern wesentliches Mittel dieser Negation. Nicht nur ihre Arbeitskraft, ihr Leben als solches wurde verdinglicht, indem jegliche Herkunft, Zugehörigkeit und Identität ausgelöscht wurden, die über die Nichtexistenz als ein Quantum Arbeitskraft hätten hinausweisen können.

Im weiteren Verlauf des Buches vertieft Kathrin Yussof ihre Kritik am Konzept des Anthropozäns am Beispiel der dafür in Anspruch genommenen Ursprünge. Dabei stellt sie die Relevanz der Thesen, das Anthropozän habe mit Beginn der Industrialisierung oder der Großen Beschleunigung begonnen, weniger aufgrund der dazu vorgenommenen Beweisführung in Frage, als daß sie sich mit dem Versuch, anhand geologischer Zeitachsen vermeintlich objektive Erkenntnisse zu erwirtschaften, auseinandersetzt. So kann eine unterschiedliche erdgeschichtliche Verortung des Anthropozäns erhebliche Folgewirkungen zeitigen, etwa im Fall der formal zwar anerkannten, aber zugleich politisch negierten Verantwortung der Industriestaaten für die drastische Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre und die dadurch bedingte Klimakrise.

Herkünfte ziehen Grenzen, die Inklusion und Exklusion definieren. Ihr Fokus ist eng, er etabliert ein Narrativ von Zweck (lies 'Fortschritt') und Zielgerichtetheit (lies 'Zivilisation'), während Zufall, Irreführung oder die Schattengeologie entbehrlichen Lebens, des Abfalls, der Toxizität, der Kontamination, Vernichtung und Erschöpfung übersehen werden. Einerseits Geologie und andererseits Geschichten über Geologie gibt es nicht; statt dessen zeigt sich eine Achse der Macht und Durchsetzung, die auf diese geologischen Objekte und die Narrative, die sie über die Geschichte des Menschen erzählen, trifft.
(S. 24, in eigener Übersetzung)

Anhand eines Textes aus dem Jahre 2011 lastet Yussof seinen Verfassern Paul Crutzen und Christian Schwäger an, nichts aus der blutigen Geschichte des das Anthropozän bedingenden Kolonialismus gelernt zu haben, sondern dieses konstitutive Moment westlicher Modernisierung in die Vergangenheit zu verbannen und deren Kontinuität in Form bis heute anhaltender siedlerkolonialistischer Staatenpraxis schlicht schönzureden. Crutzens und Schwägers Aufruf, das weltweite Streben nach dem "American Way of Life" dazu zu nutzen, diesen als bescheideneren, nachhaltigeren und weniger materialistischen Lebensstil neu zu definieren, ohne auf die Entwicklung des Geoengineerings für den klimatischen Ernstfall zu verzichten, liefe auf eine Absolution kolonialistischer und extraktivistischer Regimes hinaus.

Je weiter zurück der Beginn des Anthropozäns in der Vergangenheit angesiedelt wird, desto länger erstrecken sich die in Europa verorteten Entwicklungslinien des heutigen Akkumulationsregimes über die Jahrhunderte, desto weniger ist die immense Bringschuld der bis heute von diesem globalen Raubzug profitierenden Staaten und Gesellschaften zu bestreiten. So schlägt Sylvia Wynter das Jahr 1452, als die ersten afrikanischen SklavInnen auf die Plantagen der portugiesischen Insel Madeira transportiert wurden, als Beginn des Anthropozäns vor. Mit der nach ökonomischer Maßgabe erfolgten planmäßigen Verschleppung großer Menschenmengen inklusive des damit einhergehenden Transfers von Bioorganismen in Regionen, in denen sie nicht heimisch waren, fand eine Reduktion des Menschen auf Arbeit und der Natur auf Land statt, in der Wynter die ontologische Definitionsmacht des Weißseins, seine ideelle Legitimation im Humanismus und die daraus resultierende Negation des Schwarzseins als Antipode aller behaupteten Menschlichkeit erkennt. In diesen Jahrzehnten kurz vor der weißen Kolonisation der Americas seit 1492, argumentiert Wynter, habe die Formation des Begriffs Mensch als von ausschließlich weißer Herkunft und Kultur rassistische Gestalt angenommen.

2015 steuerten die Geographen Simon Lewis and Mark Maslin mit ihrem Vorschlag, den Beginn des Anthropozäns auf 1610 zu datieren, einen für die Kritik an Kolonialismus und Rassismus nicht minder bedeutsamen Beitrag zur Diskussion bei. In diesem Jahr erreichte eine Phase der Minderung an atmosphärischem CO2, die auf die genozidale Reduzierung der indigenen Bevölkerung der Americas von 54 Millionen 1492 auf 6 Millionen 1650 zurückgeführt wurde, ihren Höhepunkt - diagrammatisch ausgedrückt im Gipfel des Kurvenverlaufs, der den jeweiligen Indikator in seiner zeitlichen Dimension grafisch darstellt und damit jenen Golden Spike präsentiert, nach dem die Geowissenschaften zum Beleg ihrer Ursprungsgeschichten forschen. Durch den umfassenden Rückgang der Landwirtschaft der meist agrarisch organisierten indigenen Gemeinschaften war es zu verstärkter Aufnahme von CO2 durch die auf den ehemaligen Ackerflächen entstandenen Wälder gekommen. Diese Massenvernichtung war das Ergebnis systematisch erzeugter Hungersnöte, massenhafter Versklavung und Ermordung wie nicht zuletzt des Einschleppens neuer, auf die Indigenen verheerend wirkender Infektionskrankheiten.

Heute wird der globale Süden über den klassischen Extraktivismus von Energierohstoffen, Mineralien und Agrarprodukten hinaus von einer als klimaneutral ausgewiesenen Green Economy bewirtschaftet, die im börsennotierten Handel mit Biodiversitätszertifikaten und Emissionsrechten, der Kommodifizierung von Natur als Ökosystemdienstleistungen oder der Ausweisung von Naturschutzgebieten, die der Definitionshoheit transnationaler Akteure staatlicher und institutioneller Art unterliegen, neue Formen der Landnahme und Kapitalakkumulation entwickelt hat. Am rassistischen Grundtenor neokolonialistischer Landnahme, der sklavenartigen Ausbeutung nichtweißer Arbeitskraft und der krassen Benachteiligung Schwarzer in sozialen, ökologischen und medizinischen Kontexten ändern regierungsamtliche Gleichstellungsdekrete, die von Kapitalismus und Imperialismus schweigen, viel zu wenig.

Kathrin Yusoffs Kritik am Konzept des Anthropozäns greift in die Tiefe epistomologischer Wirklichkeitsproduktion und legt die Fallstricke weißer Suprematie in Wissenschaft, Technik und Politik mit einem sprachlich manchmal überraschenden poststrukturalistischen Duktus offen. Die dabei eröffneten Anschlüsse an und Seitenwege in den antirassistischen und postkolonialen Diskurs machen eine kundige Übertragung des englischsprachigen Textes ins Deutsche wünschenswert.

Ihr Vorschlag, der Auslöschung des Schwarzseins mit einer Poesie entgegenzutreten, die den Kolonialismus mit einer Gegenästhetik kontert, die weißer Geologie das Nichtereignis einer Milliarde schwarzer Anthropozäns entgegenstellt, bekräftigt sie mit einigen Zeilen des 2008 im Alter von 94 Jahren verstorbenen Dichters und Mitbegründers der panafrikanischen antikolonialistischen Négritude-Bewegung Aimé Césaire. Erstmals 1939 im französischen Original als Cahier d'un retour au pays natal und später im Englischen in vielen Editionen veröffentlicht, scheint Kathrin Yussof dieses mehr als 100 Buchseiten umfassende Gedicht ein Musterbeispiel für die von ihr erhoffte poetische Gegenbewegung zu sein.

I must begin.
Begin what?
The only thing in the world thats worth beginning:
The End of the World, no less.

(S. 22)

17. März 2021


Kathryn Yussof
A Billion Black Anthropocenes or None
University of Minnesota Press, Minneapolis, 2019
116 Seiten
Taschenbuch 10,00 $, Ebook 4,95 $


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