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REZENSION/758: Kees van der Pijl - The Militarization of the EU (SB)


Kees van der Pijl (Herausgeber)


The Militarization of the EU



Berühmt ist das Zitat, mit dem einst Englands Lord Ismay, der erste Generalsekretär der NATO, das Motiv zur Gründung der nordatlantischen Allianz im Jahr 1949 kurz und bündig erläuterte: "um die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten". Mehr als 70 Jahre später hat sich daran aus Sicht Londons und Washingtons nichts geändert, außer vielleicht, dass es heute Russland, der Nachfolgestaat der Sowjetunion, ist, das neben China als äußerer Feind und Projektionsfläche alles Bösen herhalten muss. Aus den Trümmern eines kriegsgeschundenen Westeuropas ist neben der NATO die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) entstanden. Bestand sie bei ihrer Gründung 1957 aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Italien und der Bundesrepublik Deutschland, so gehören der heutigen Europäischen Union 27 Staaten an. Geographisch reicht die EU von Malta im südlichen Mittelmeer bis zum nordfinnischen Teil des Polarkreises, von den portugiesischen Azoren mitten im Nordatlantik bis Rumänien am Schwarzen Meer.


Porträtfoto De Gaulles in Marschallsuniform zur Zeit des Zweiten Weltkrieges - Foto: Public domain, via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:De_Gaulle-OWI_(cropped)-(d).jpg

Charles de Gaulle, der große Verfechter eines vereinigten und unabhängigen Europas
Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts stehen die von den USA dominierte NATO und die EWG bzw. die EU in einem Spannungsverhältnis zueinander. Wegen der Weigerung Westdeutschlands, mit Frankreich einen westeuropäischen, autonomen Pfeiler innerhalb der NATO zu bilden, nahm Präsident Charles de Gaulle 1966 die französischen Streitkräfte aus den integrierten Kommandostrukturen der nordatlantischen Allianz heraus (Erst 2009 sollte sein späterer Nachfolger Nicolas Sarkozy diesen Schritt rückgängig machen). De Gaulle war auch derjenige, der mehr als jeder andere dafür sorgte, dass La Grande Nation ihre eigene nukleare Abschreckungskapazität samt Trägersystemen zu Wasser, an Land wie auch in der Luft, die sogenannte Force de frappe, erhielt. Folglich gehört Frankreich neben den USA, Großbritannien, der Volksrepublik China und Russland zu den fünf offiziell anerkannten Nuklearmächten nach dem Atomwaffensperrvertrag von 1968. Alle fünf Staaten gehören als ständige Mitglieder mit Vetomacht dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an.


Luftaufnahme der Temeraire bei einer Fahrt an der Wasseroberfläche bei sehr rauher See - Foto: (CC BY-SA 2.0 FR) [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en], via Wikimedia Commons

Das französische Atom-U-Boot Temeraire
Foto: (CC BY-SA 2.0 FR) [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en], via Wikimedia Commons

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa, dem Ende des Kalten Krieges 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands ein Jahr später befinden sich EU und NATO auf Osterweiterung. Die meisten osteuropäischen Staaten, die einst zum kommunistischen Warschauer Pakt gehörten, sind inzwischen Mitglieder beider Organisationen. Die Osterweiterung ist jedoch nicht ohne Streitigkeiten unter den größeren EU-Staaten sowie zwischen ihnen und den USA abgelaufen. Die frühzeitige Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens durch das wiedervereinigte Deutschland 1991 war schon damals extrem kontrovers - besonders in Frankreich - und hat nicht unwesentlich zum Ausbruch eines jahrelangen, verheerenden Kriegs auf dem Gebiet des früheren Vielvölkerstaats Jugoslawien beigetragen.


Luftangriffe der NATO lassen sichtbare Spuren zurück - Foto: Jorge Láscar from Melbourne, Australia, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0], via Wikimedia Commons

Kriegsschäden an einem Bürokomplex in Belgrad während des Kosovokrieges 1999
Foto: Jorge Láscar from Melbourne, Australia, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0], via Wikimedia Commons

Die Balkan-Krise in den neunziger Jahren hat die EU zum Anlass genommen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Bezeichnenderweise wurde Ende 1999 zum ersten Außenbeauftragten der EU der ehemalige spanische Außenminister Javier Solana ernannt. Der iberische Sozialist hatte nur wenige Monate zuvor als NATO-Generalsekretär an der Seite von Bill Clintons Außenministerin Madeleine Albright während des völkerrechtlich illegalen Kosovo-Kriegs der nordatlantischen Allianz gegen Rest-Jugoslawien, das heißt gegen Serbien und Montenegro, seine Treue Washington gegenüber zweifelsfrei unter Beweis gestellt.


Albright und Solana in der zweiten Reihe im Sitzungssaal, vor ihnen der afghanische Präsident Hamid Karzai - Foto: Kathrin Möbius, CC BY 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Bussi-Bussi zwischen Madeleine Albright und Javier Solana 2010 auf der Münchner Sicherheitskonferenz
Foto: Kathrin Möbius, CC BY 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Als im Februar 2014 die CIA mit Hilfe von Neonazi-Schlägertrupps die populäre Anti-Korruptionsbewegung in der Ukraine kaperte und die Regierung in Kiew gewaltsam stürzte, ließ das öffentliche Bekanntwerden eines vom russischen Geheimdienst abgehörten Telefonats die imperiale Sicht Washingtons auf die Beziehungen zur Europäischen Union deutlich durchscheinen. Zuvor hatten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens in Kiew mühsam einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition in der Ukraine ausgehandelt, der auf Neuwahlen und eine friedliche Beilegung der innenpolitischen Krise hinauslief. Doch im Gespräch mit dem damaligen amerikanischen Botschafter in der ukrainischen Hauptstadt, Geoffrey Pyatt, gab die Staatssekretärin im US-Außenministerium Victoria Nuland, Gattin des führenden neokonservativen Ideologen Robert Kagan, mit dem Spruch "Fuck the EU" die Marschroute vor und erklärte dezidiert, wie die personelle Besetzung der neuen Putsch-Regierung von US-Gnaden in Kiew auszusehen habe. Der Umstand, dass die beiden später von Berlin und Paris mitunterzeichneten Minsker-Abkommen, die den ausgebrochenen Bürgerkrieg zwischen den Streitkräften Kiews und den prorussischen Rebellen in den südöstlichen Oblasten Donetz und Luhansk beenden sollten, von den USA und Großbritannien über Jahre unterminiert wurden, offenbarte die Grenzen der EU-Diplomatie. Die militärische Intervention Russlands mit all ihren Schrecken seit Ende Februar in der Ukraine ist die direkte Folge dieses Scheiterns.

Das Spannungsverhältnis zwischen EU und NATO steht im Mittelpunkt des hochinformativen Buchs "The Militarization of the European Union". Als Herausgeber firmiert Kees van der Pijl, der als Mitglied der neogramscianischen Amsterdamer Schule im Bereich der internationalen Beziehungen zu den führenden Politikwissenschaftlern der Niederlande gehört. Als sein wichtigstes Werk gilt die 1982 erschienene Studie "The Making of the Atlantic Ruling Class". 2008 gewann Van der Pijl für das Buch "Nomads, Empires, States" den Deutschen Memorial Prize. 2018 erschien beim Pappyrossa-Verlag sein Buch "Der Abschuss: MH17, die Ukraine und der neue Kalte Krieg". Im selben Jahr sorgte Van der Pijl für eine aufsehenerregende Kontroverse, als er sich kategorisch weigerte, seine wissenschaftlich begründete Skepsis bezüglich der offiziellen Version der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 zurückzunehmen, und auf die angesehene Position als emeritierten Professor für politische Wissenschaft an der südenglischen Sussex University verzichtete.


Karte der Militärstützpunkte, auf die die NATO im Rahmen des gewaltsamen Sturzes Muammar Gaddhafis zurückgegriffen hat - Foto: Jolly Janner, CC-0, via Wikimedia Commons

Gegen Gaddhafi setzte die NATO ihre Militärmaschinerie in Gang
Foto: Jolly Janner, CC-0, via Wikimedia Commons

Im ersten der beiden von ihm verfassten Kapitel des vorliegenden Buchs, "Sovereignty, Democracy and the Monopoly of Violence in Europe", untersucht Van der Pijl den Richtungsstreit innerhalb der EU zwischen den Befürwortern eines europäischen Bundesstaats und denjenigen einer Föderation souveräner Nationalstaaten. Vor allem die großen EU-Staaten hängen an der Eigenständigkeit und am Gewaltmonopol innerhalb der eigenen Grenzen. 2016 sahen die Briten die Souveränität des Vereinigten Königreichs durch den Ausbau der Brüsseler Kompetenzen derart bedroht, dass sie mehrheitlich für den Austritt aus der EU, den sogenannten Brexit, votierten. Auch Frankreich zeigt keine Neigung, sich von irgendwelchen anderen Mächten, nicht einmal vom befreundeten Deutschland, in den Umfang seines Atomwaffenarsenals und dessen möglichen Einsatz hineinreden zu lassen - es sei denn, die EU-Staaten entschieden sich für eine "strategische Autonomie" von der NATO. Aber zu letzterer hat sich die politische Elite in Deutschland bislang nicht durchringen können.

In einem weiteren Kapitel "Who Will Protect the Baltic Energy Highway" nimmt Van der Pijl den spannenden Komplex um die EU-Energieversorgung unter die Lupe. Hier wird das Dauerhickhack um Zugang zu den Öl- und Gas-Ressourcen Zentralasiens und deren Transport über das Baltikum, Osteuropa, den Balkan und das Schwarze Meer detailliert erläutert; dazu gehören natürlich die umstrittenen deutsch-russischen Projekte Nordstream 1 und 2 genauso wie weniger bekannte Aspekte wie die westliche Führungsrolle der deutschen Kriegsmarine mit ihrer starken U-Boot-Flotte in der Ostsee. Van der Pijl führt zum Beispiel das Aus für das ambitionierte Pipeline-Projekt South Stream, das von Russland direkt unter dem Schwarzen Meer nach Bulgarien und von dort über Griechenland nach Italien bzw. über Serbien und Ungarn nach Österreich gehen sollte, auf den bereits erwähnten Sturz der prorussischen Regierung von Wiktor Janukowytsch infolge der Maidan-Proteste in Kiew zurück.


Ein rotes, mehrstöckiges Haus aufgrund von Explosionen in sich zusammengestürzt - Foto: Mohmmed Ayd, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Zerstörte Häuser in der Stadt Sirte nach einem Angriff der 'Terrormiliz' Islamischer Staat (IS) im August 2017
Foto: Mohmmed Ayd, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Bereits 2011 gaben Frankreich und der Noch-EU-Mitgliedsstaat Großbritannien den Takt beim militärischen Sturz des "Regimes" Muammar Gaddhafis in Libyen vor. Die NATO-Aktion, an der sich Deutschland demonstrativ nicht beteiligte, hat Libyen ins Chaos gestürzt und es zu einem zweiten Somalia, diesmal am Mittelmeer, gemacht. Die zahlreichen und umfangreichen Waffenlager Gaddhafis wurden geplündert. Ihr Inhalt sowie der enorme Auftrieb, den die Verfechter eines fundamentalistischen Islams durch die erfolgreiche Beseitigung Gaddhafis erfuhren, hat zur Destabilisierung der gesamten Sahel-Region geführt. Seitdem plagt sich die EU mit dem Problem eines niemals endenden Stroms an Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen aus Afrika herum. Die Versuche Frankreichs und Deutschlands, mit militärischen Mitteln Länder wie Mali wieder zu stabilisieren, haben das Gegenteil bewirkt. Zur bis heute anhaltenden Misere in Libyen, das unter Gaddhafi den höchsten Lebensstandard auf dem afrikanischen Kontinent vorweisen konnte, trägt auch die Rivalität zwischen den EU-Staaten Frankreich und Italien um den Zugang zu den riesigen Ölvorkommen des Landes bei.


Flüchtlinge machen neben einem Allradwagen in der Wüste Rast - Foto: Gerhard Holub, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Flüchtlinge in der Sahara unterwegs zum Mittelmeer
Foto: Gerhard Holub, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Der französische Ökonom Claude Serfati behandelt seit Jahren die Bereiche Industrie und Innovation. Der frühere Dozent an der Universität Versailles-Saint-Quentin steht seit seiner Pensionierung als Forscher dem Institut de Recherches Economiques et Soziales (IRES) zur Verfügung. Serfati gehört dem wissenschaftlichen Beirat von Attac an. Zu den zahlreichen Schriften, an denen er mitgewirkt oder die er allein veröffentlicht hat, gehören das Grundsatzwerk "La Militaire - Une histoire francaise" und "L'Industrie francaise de defense". Von 1996 bis 2001 nahm er als französischer Vertreter und stellvertretender Vorsitzender an einer Sonderarbeitsgruppe der Europäischen Kommission zum Thema Restrukturierung der Rüstungsindustrie und Umstellung auf zivile Produkte teil. In einem seiner beiden Kapitel im Buch, "Defence as France's Competitive Edge in the European Union", setzt sich Serfati mit dem Dauerbestreben Frankreichs, die EU für die eigenen imperialen Interessen zum Beispiel im Rahmen des Neokolonialismus in Nord- und Westafrika sowie zur Förderung der eigenen Rüstungsindustrie nutzbar zu machen, höchst kritisch auseinander. In einem zweiten Kapitel "The Transatlantic Factor and EU Militarisation in the Crisis" konstatiert Serfati die Unfähigkeit der Europäischen Union, wegen der Koppelung an die NATO und der Rivalitäten innerhalb des transnationalen Gebildes zu einer einheitlichen Linie in der Verteidigungspolitik zu kommen.

Mark Akkerman ist Forscher am Amsterdamer Transnational Institute und Aktivist bei Stop de Wapenhandel, einer niederländischen Anti-Rüstungsorganisation. In den letzten Jahren hat er sich intensiv mit der Flüchtlingsproblematik befasst und die beiden Studien "Border Wars - The Arms Dealers Profiting from Europe's Refugee Tragedy" (2016) und "Expanding the Fortress - The Policies, the Profiteers and the People Shaped by EU's Border Externalization Programme" (2018) veröffentlicht. Akkerman zeigt anhand zahlreicher konkreter Beispiele in seinem Aufsatz für das vorliegende Buch, in welchem Ausmaß der europäische Rüstungssektor nicht nur an der Erzeugung von Flüchtlingsströmen in Afrika und Asien beteiligt ist - etwa durch den Verkauf von Waffensystemen und Munition an repressive oder kriegführende Staaten wie Ägypten respektive Saudi-Arabien - sondern auch noch von der gigantischen Sicherheitsarchitektur profitiert, welche die EU mit immer größerem Aufwand an ihren Außengrenzen und darüber hinaus zur Abwehr dieser armen Menschen errichtet. Hierfür stehen stellvertretend die EU-Grenzagentur Frontex mit ihren berüchtigten "pushbacks" und die schrecklichen Bedingungen in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos.


'Frontex' in großen blauen Buchstaben auf weißem Hintergrund - Foto: European Border and Coast Guard Agency, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Logo der EU-Grenzagentur Frontex
Foto: European Border and Coast Guard Agency, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Iraklis Oikonomou hat an der University of Wales Aberystwyth im Bereich internationale Politik promoviert und danach wissenschaftliche Forschung an der Universität Ghent in Belgien betrieben. Seit einigen Jahren lebt er in Athen, wo er sich als unabhängiger Forscher zu den Themen Verteidigungs-, Rüstungs- und Weltraumpolitik spezialisiert hat. 2015 gab er mit Nikolaos Karampekios das Buch "The European Defence Agency: Arming Europe" und zwei Jahre später mit Nikolaos Karampekios und Elias G. Caryannis zusammen die Arbeit "The Emergence of EU Defense Research Policy: From Innovation to Militarization) heraus. In zwei Kapiteln, "Hijacking European Integration: EU Militarization as a Class Project" und "The European Defence Fund, ASD, and the Kangaroo Group", führt Oikonomou durch das für Außenstehende schwer durchschaubare institutionelle Geflecht, innerhalb dessen seit rund 20 Jahren diverse Politiker und Rüstungslobbyisten in Brüssel und Strasbourg zueinander finden und ihre Deals aushecken. Im besonderen Blickfeld stehen Forschung und Entwicklung, die Ausrichtung des Hochschulbetriebs auf die Ziele der Waffenproduzenten sowie die Art und Weise, wie die immer üppigere Förderung der europäischen Rüstungsindustrie als Sicherheit bzw. als Bereicherung des zivilen Lebens in Form krisenfester Arbeitsplätze und irgendwelcher "Dual-use"-Produkte verkauft wird.


Marineschiff nähert sich einem mit Flüchtlingen überfüllten Schlauchboot - Foto: Mstyslav Chernov/Unframe, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Flüchtlinge mit einem Schlauchboot auf dem Weg von der Türkei nach Lesbos
Foto: Mstyslav Chernov/Unframe, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Yury Gromyko ist Professor an der Moskauer Universität für Psychologie und Bildung sowie Gastprofessor an der Universität Tamkang in Taipeh. Im Rahmen seiner Arbeit am Moskauer Schiffers Institut geht er seit längerem den vielen Fragen der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit im eurasischen Raum nach. In seinem Kapitel "In the Shadow of a New Arms Race - A Russian Perspektive" zeigt Gromyko der Leserschaft die Osterweitung von NATO und EU in all ihrer Bedrohlichkeit aus russischer Sicht auf. Darüber hinaus geht er auf die technischen Einzelheiten der verschiedenen neuen Waffensysteme wie Hyperschallraketen ein, mit deren Entwicklung und Indienstnahme Moskau auf den einseitigen Ausstieg Washingtons aus dem ABM-Vertrag, dem INF-Vertrag und dem Open-Skies-Abkommen in den letzten beiden Jahrzehnten reagiert hat.

Hans-Jürgen Bieling arbeitet als Professor am Institut für politische Wissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen, sitzt im wissenschaftlichen Beirat von Attac und gehört zu den Herausgebern der Vierteljahreszeitschrift Politikum. Er hat zahlreiche Artikel, Studien und Bücher veröffentlicht, darunter "Europäische Staatlichkeit: zwischen Krise und Integration" (2016 mit M. Grosse Huetman) und "Neue Segel, alter Kurs? Die Eurokrise und ihre Folgen für das europäische Wirtschaftsregieren" (2019 mit Simon Guntrum). Zur vorliegenden Lektüre hat Bieling das Kapitel "Germany: An Imperial Power in the Making?" beigesteuert.

Wie viele andere Autoren erkennt auch Bieling den großen Nutzen der EU zur Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen. Dies hat sich in der Finanzkrise 2008 anhand des ruppigen Umgangs Deutschlands mit Italien und Griechenland deutlich gezeigt. Bieling geht davon aus, dass Berlin weiterhin auf einen "kooperativen Imperialismus" zusammen vor allem mit Washington, aber auch mit Paris setzen wird. Die jüngste Entwicklung gibt Bieling Recht. Nachdem angesichts des russischen Einmarsches in der Ukraine Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Stichwort "Zeitenwende" eine drastische Aufstockung der Finanzmittel für die Bundeswehr um 100 Milliarden Euro bekanntgab, war gleich als erste "Investition" in die Sicherheit Deutschlands vom Kauf von 35 amerikanischen Kampfjets des extrem teuren Typs F-35 die Rede, der von nicht wenigen Militärexperten als überteuerte Fehlkonstruktion verspottet wird, gefolgt von der Ankündigung einer Untersuchung der Option der in technologischer Hinsicht wenig sinnvollen Anschaffung eines Raketenabwehrsystems aus den USA oder Israel für das gesamte Bundesgebiet. Die seit Jahren zu beobachtende gegenseitige Verstärkung russophober Kräfte in den USA, Polen und den baltischen Staaten zusammen mit der jüngsten Stationierung größerer Kampfverbände entlang des Ostrands des NATO-Gebiets lassen erwarten, dass bis auf weiteres in sämtlichen militärischen Fragen die nordatlantische Allianz - ganz im Sinne Lord Ismays - den Vorrang vor der Möchtegern-Großmacht EU behalten wird.


Patriot-Fahrzeug auf Stelzen mit der Abschussvorrichtung gen Himmel gerichtet - Foto: Bundeswehr-Fotos, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0], via Wikimedia Commons

Patriot-Raketenabwehrbatterie der Bundeswehr
Foto: Bundeswehr-Fotos, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0], via Wikimedia Commons

4. April 2022

Kees van der Pijl
The Militarization of the EU
Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne, 2021
260 Seiten
ISBN: 978-1-5275-6370-4


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 173 vom 9. April 2022


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