Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AFRIKA/152: Kenia - Abtreibung ist die Haupttodesursache von Frauen (ai journal)


amnesty journal 7-8/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Eine Frage von Leben und Tod
In Kenia sind Schwangerschaftsabbrüche die Haupttodesursache von Frauen. In die Debatte um eine Liberalisierung des restriktiven Abtreibungsrechts ist jedoch Bewegung gekommen.

Von Birgit Michaelis


Mahenzo ist 13 Jahre alt und bereits Mutter von zwei Töchtern. "Mein erstes Kind bekam ich mit zehn Jahren, nachdem ich von einigen Jungen in meinem Dorf vergewaltigt worden war", sagt sie. "Zwei Jahre später wurde ich auf dem Weg in die Disco vergewaltigt und wurde wieder schwanger. So bekam ich mein zweites Kind." Ihre 15-jährige Freundin Janet hatte eine Beziehung zu einem älteren Mann: "Ich war damals in der 8. Klasse, und als ich von ihm schwanger wurde, hat er mich einfach verlassen."

Mtondia ist ein kleines Dorf in der Nähe von Malindi, einem Ort an der kenianischen Küste, der gern von Touristen besucht wird. Neben Mahenzo und Janet gibt es in Mtondia 800 weitere minderjährige Mütter. Einer der Gründe dafür ist die überall in Kenia verbreitete Gewalt gegen Frauen. In touristischen Gebieten werden Mädchen häufig von den Eltern gedrängt, Beziehungen mit älteren weißen Männern einzugehen, weil sie sich davon einen Ausweg aus der Armut versprechen. Auch Kenianer bieten armen Familien Geld für ihre Töchter an.

Die Konsequenzen tragen jedoch die Mädchen allein. Bei einer Schwangerschaft müssen sie die Schule verlassen und können die Schulausbildung in der Regel nicht beenden. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums verlassen jährlich 13.000 schwangere Mädchen die Schule. Heranwachsende werden in Kenia auch nicht aufgeklärt, weder von den Eltern, noch in der Schule. Junge Mädchen wissen daher nicht, wie sie sich vor ungewollter Schwangerschaft und Aids schützen können. In den meisten afrikanischen Gesellschaften ist das Thema Sexualität stark tabuisiert.

Auch in anderen afrikanischen Ländern tritt das Phänomen auf, dass in bestimmten Gegenden besonders viele Minderjährige schwanger werden. Im südafrikanischen Township Soweto, im Ballungsgebiet von Johannesburg, gibt es Schulen, an denen 70 Prozent der Schülerinnen schwanger sind. Gruppenvergewaltigungen sind weit verbreitet, ein Drittel aller Südafrikanerinnen macht die ersten sexuellen Erfahrungen unter Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Bildungspolitiker bemühen sich, schwangeren Mädchen weiterhin den Schulbesuch zu ermöglichen. Die Hälfte aller Schwangerschaften in Südafrika wird mit einem Abbruch beendet. Seit das Land, als eines der wenigen in Afrika, 1997 ein liberales Abtreibungsrecht eingeführt hat, ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche gestiegen. Die Ursache ist der unzureichende Zugang zu Familienplanung: Verhütungsmittel sind entweder nicht erhältlich oder nicht erschwinglich, wodurch Schwangerschaftsabbrüche zu einer Maßnahme der Familienplanung werden.

Die Änderung des Abtreibungsrechts und der Ausbau von Gesundheitsdiensten hat jedoch zu einem drastischen Rückgang von Todesfällen geführt. Vor 1997 starben in Südafrika jedes Jahr 425 Frauen an den Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs, jetzt sind es nur noch 20. Auch werden Abtreibungen nicht mehr bis zum zweiten Drittel der Schwangerschaft hinausgezögert. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf von Ärzten vorgenommene Abbrüche. Südafrikanerinnen, die finanziell nicht in der Lage sind, die Leistungen staatlicher Gesundheitseinrichtungen in Anspruch zu nehmen, sind zur Beendigung ungewollter Schwangerschaften weiterhin auf traditionelle Heiler, Dorfärzte und Verwandte angewiesen. Damit setzen sie sich einem erheblichen Risiko aus, denn viele dieser Schwangerschaftsabbrüche enden tödlich oder haben lebenslange Gesundheitsschäden zur Folge. Die Anwendung des Abtreibungsrechts auch auf mittellose Frauen bleibt daher eine Herausforderung für die südafrikanische Gesundheitspolitik.

Kenianerinnen haben keine Möglichkeit, unter angemessenen medizinischen und hygienischen Bedingungen abzutreiben, nur in einigen Privatkliniken sind Ärzte gegen Bargeld bereit, das Gesetz zu übertreten. Abbrüche sind in Kenia nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Ungewollt schwangere Frauen nehmen daher häufig die Hilfe von traditionell arbeitenden Geburtshelferinnen oder Kräuterheilern in Anspruch. Meistens werden Blätter, Wurzeln oder giftige Flüssigkeiten in die Gebärmutter eingeführt, um einen Abbruch herbeizuführen. Eine Überdosis kann zum Tod führen.

Eine andere Methode vertraut auf den Einsatz von Kleiderbügeln. Komplikationen wie Blutungen, Infektionen oder eine Verletzung innerer Organe können von traditionellen Heilern nicht behandelt werden, die Patientinnen sterben.

Rund 300.000 Frauen treiben auf diese Weise jährlich in Kenia ab, 3.000 von ihnen sterben dabei. Betroffen sind hauptsächlich die Altersgruppen zwischen 15 und 24 Jahren. Damit sind Schwangerschaftsabbrüche noch vor Aids und Malaria die Haupttodesursache von Frauen in Kenia. Nach offiziellen Statistiken tragen unsichere Abtreibungen bis zu 50 Prozent zur Müttersterblichkeitsrate in Kenia bei.

Diese Zahlen haben nun Politiker alarmiert. Anlässlich der Eröffnung eines Gynäkologenkongresses am 21. Februar dieses Jahres in der kenianischen Stadt Nyeri, forderte der stellvertretende Gesundheitsminister Dr. Enock Kibunguchy eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Ärzte und Vertreter der Zivilgesellschaft setzen sich schon lange für eine Gesetzesänderung ein. Der 2005 in einem Referendum gescheiterte Verfassungsentwurf sah ebenfalls die Möglichkeit einer Liberalisierung vor. Ein neuer Verfassungsreformprozess wird erst nach den Wahlen im Dezember 2007 in Angriff genommen werden. Bereits im März 2005 musste sich die kenianische Delegation den Fragen der UN-Menschenrechtskommission stellen, warum die Regierung bisher nichts gegen die hohe Zahl von Todesfällen unternommen hat, die aus Schwangerschaftsabbrüchen resultieren.

Wie in allen afrikanischen Ländern sind Verhütungsmittel auch in Kenia Mangelware. Im Jahr 2005 stellte Präsident Mwai Kibaki 2,7 Millionen Dollar für Verhütungsmittel und Gesundheitsdienste zur Verfügung. Die Nichtregierungsorganisation "Family Health Options Kenya", die reproduktive Gesundheitsdienste anbietet, gibt allein jedes Jahr mehr als 2,7 Millionen Dollar aus und deckt damit drei Prozent aller landesweiten Ausgaben für sexuelle und reproduktive Gesundheit ab. Internationale Geber ziehen sich jedoch zunehmend von einer Finanzierung solcher Dienste zurück und konzentrieren sich auf den Kampf gegen HIV/Aids, wodurch die hohe Zahl von unsicheren Abtreibungen stabil bleibt.

Eine der Hauptursachen von ungewollten Schwangerschaften und unsicheren Abtreibungen ist sexuelle Gewalt. Ein 2006 verabschiedetes Gesetz, die "Sexual Offences Bill", zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen, erwies sich bis jetzt als wenig erfolgreich. Es sieht zwar härtere Strafen für Sexualstraftaten wie Vergewaltigungen vor. Gerichte verhängen jedoch weiterhin geringe Strafen, oder die Täter gehen straffrei aus. Eine Untersuchung der "Federation of Women Lawyers-Kenya", einer Vereinigung von Rechtsanwältinnen, ergab, dass das Gesetz nicht vollständig angewendet wird. In abgelegenen Gebieten war nicht einmal der Gesetzestext an Gerichte und Polizeiwachen verteilt worden.

Die Autorin ist Sprecherin der Kenia/Tansania/Somalia-Ländergruppe von ai.


*


Quelle:
amnesty journal, Juli/August 2007, S. 32
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2007