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AFRIKA/165: Simbabwe - Ende von Mugabes Alleinherrschaft? (ai journal)


amnesty journal 10/11/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Unsere Stimme ist laut genug"

Interview mit Menschenrechtsaktivistin Jenni Williams


Nach einem monatelangen Machtkampf haben sich in Simbabwe im September Oppositionsführer Morgan Tsvangirai und Präsident Robert Mugabe auf eine Koalitionsregierung geeinigt. Jenni Williams, Mitgründerin von Women and Man of Zimbabwe Arise (WOZA), hat jahrelang gegen die Alleinherrschaft von Mugabe gekämpft. Die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Im November erhält WOZA den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International.


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FRAGE: Bedeutet die neue Koalition das Ende von Mugabes Alleinherrschaft?

JENNI WILLIAMS: Sie ist ein Zeichen dafür, dass Mugabe viel von seiner Macht verloren hat. Es ist ein großer Erfolg für die Opposition und für die Moral in Simbabwe. Aber Mugabe kann man nicht trauen. Die weitere Entwicklung hängt nun auch davon ab, wie Tsvangirai und die zivilgesellschaftlichen Organisationen die neuen Möglichkeiten nutzen.

FRAGE: Warum hat Mugabe doch noch zugestimmt?

JENNI WILLIAMS: Er hatte keine andere Wahl. Die Wirtschaft liegt völlig am Boden, und er verfügt nicht mehr über die Mittel, um die Loyalität seiner Sicherheitskräfte zu erkaufen. Zudem weiß er, dass er die Parlamentswahlen im März verloren hat. Und die eindeutige Botschaft dieser Wahl lautete: Die simbabwische Bevölkerung will die Herrschaft von Mugabe nicht mehr. Hinzu kam, dass die südafrikanische Regierung wegen dem massiven Flüchtlingsstrom aus Simbabwe unter großen innenpolitischen Druck geriet. Es musste sich also etwas ändern.

FRAGE: Welche Rolle spielte der südafrikanische Präsident Mbeki in den vergangenen Monaten?

JENNI WILLIAMS: Während Mbeki in dem Machtkampf vermitteln sollte, gelang es Mugabe, seinen alten Gewaltapparat wieder zu aktivieren. Mindestens 165 Menschen starben seitdem. Mbeki war ein Komplize Mugabes, aber diese Komplizenschaft hatte einen Preis: Die lukrativsten Unternehmen wurden zu Spottpreisen von Südafrika aufgekauft, ebenso die Bergbaugesellschaften und die Minen.

Das ist ein neuer Kolonialismus. Die Menschen in Südafrika müssen aufpassen, dass sich in ihrem Land nicht ein ähnliches Machtsystem wie das von Mugabe in Simbabwe etablieren kann.

FRAGE: Mittlerweile beträgt die Inflation offiziell elf Millionen Prozent. Wie konnte sich Mugabe unter diesen Umständen so lange an der Macht halten?

JENNI WILLIAMS: Wegen dem größten Exportgut, das Simbabwe besitzt: seine Menschen. Im Zuge der Wirtschaftskrise sind viele aus dem Land geflohen. Später haben diese Flüchtlinge Geld an ihre zurückgebliebenen Familien überwiesen. Daraus hat sich eine Art informelle Ökonomie entwickelt, die auch der Regierung Mugabe nützte: Die Bevölkerung hielt sich praktisch mit Überweisungen aus dem Ausland über Wasser.

Aber es gibt auch Kreise, die von der Situation profitieren. Einige haben zum Beispiel sehr viel Geld auf dem Schwarzmarkt und mit dem Diamantenhandel verdient. Die Korruption ist sehr einträglich. In den Supermärkten gibt es kaum noch Mehl oder Öl zu kaufen, aber die Elite kann sich Hummer und Champagner leisten.

FRAGE: Ergeben sich mit dem Abkommen auch neue ökonomische Perspektiven?

JENNI WILLIAMS: Ein ebenso großes Problem wie Südafrika ist der chinesische Einfluss. China ist kein guter Partner für die wirtschaftliche Entwicklung in Simbabwe. Die Güter, die wir früher selbst produziert haben, wurden durch chinesische Importe ersetzt. Das nützt China, aber nicht uns.

Deshalb brauchen wir Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Darin liegt offensichtlich auch die Aufgabe von Tsvangirai. Mugabe hat das Abkommen auch unterzeichnet, weil er glaubt, dass es Tsvangirai gelingen könnte, die internationalen Sanktionen zu beenden. Wenn er damit scheitert, könnte auch das Abkommen plätzen.

FRAGE: Was fordert WOZA?

JENNI WILLIAMS: Unsere Forderungen sind in unserer Peoples Charta klar formuliert. Wir wollen soziale Gerechtigkeit, und wer das Gesetz gebrochen hat, muss vor Gericht. Deshalb brauchen wir während des Übergangs eine Wahrheitskommission, um die Verbrechen der Vergangenheit aufzuklären. Außerdem rufen wir zu internationalen Lebensmittelhilfen auf und möchten, dass humanitäre Organisationen ins Land kommen. Die Hilfslieferungen dürfen keinesfalls durch die Regierung kontrolliert werden, denn Lebensmittel sind in Simbabwe eine hochpolitische Angelegenheit.

FRAGE: Rechnen Sie weiterhin mit politischer Verfolgung?

JENNI WILLIAMS: Das können wir jetzt noch nicht abschätzen. Nach der nächsten Demonstration von WOZA wissen wir sicherlich mehr. Mein Prozess wegen "Anstiftung zum Unfrieden" findet am 15. Oktober statt. Ich bin gespannt, was geschieht, wenn ich nach Simbabwe zurückkehre. FRAGE: Wie konnte sich WOZA innerhalb weniger Jahre zu einer großen Bewegung entwickeln? JENNI WILLIAMS: Weil wir ein großes Herz besitzen und für eine gerechte Sache kämpfen. Und weil wir gute Freunde wie Amnesty International haben. Es liegt auch daran, dass uns die Menschen verstehen. Denn wir sprechen über die Dinge, die für sie wichtig sind. Das findet ihre Anerkennung.

FRAGE: WOZA begann als reine Frauenorganisation...

JENNI WILLIAMS: Als Mütter haben wir moralische Autorität, und wir treten sanfter auf, als es Männer für gewöhnlich tun. Deswegen fällt die Konfrontation mit der Staatsmacht nicht so heftig aus, wie es wohl der Fall wäre, wenn sich nur Männer gegenüberstehen. Unsere Geschichte hat diese Strategie bestätigt.

Zudem sind die Frauen in Simbabwe von der ökonomischen Krise besonders hart betroffen. Viele Männer haben das Land verlassen, und die Frauen müssen sich nun alleine um die Familien, die Kinder und die Kranken kümmern. Deshalb haben wir beschlossen, dass wir für uns selbst sprechen müssen. Es sind unsere Probleme, und es gibt niemanden, der sie für uns lösen kann.

FRAGE: Mittlerweile können sich auch Männer anschließen.

JENNI WILLIAMS: Ja, es kommen viele Männer zu uns, die sehr engagiert sind. Das bringt aber eine neue Herausforderung mit sich. Für die Geheimpolizei, eine männliche Domäne, ist es nun viel einfacher, uns zu infiltrieren. Wir müssen daher sehr vorsichtig sein, wen wir aufnehmen.

FRAGE: Sie mussten oft ins Gefängnis. Wie geht Ihre Familie damit um?

JENNI WILLIAMS: Ich wurde bislang 32 Mal festgenommen. Mein Mann hat mich in den ersten Jahren immer unterstützt. Aber wegen der ständigen Bedrohung und der schlechten wirtschaftlichen Lage lebt meine Familie mittlerweile in London.

FRAGE: Hatten Sie schon Angst um Ihr Leben?

JENNI WILLIAMS: Ja, sehr oft. Jeden Tag in Simbabwe muss man um sein Leben fürchten. Jedes Mal, wenn ich verhaftet werde, frage ich mich, ob es jetzt soweit ist. Wenn ich dann wieder freikomme, danke ich Gott, dass ich am Leben bin und blicke nach vorne.

FRAGE: Was gibt Ihnen die Kraft dafür?

JENNI WILLIAMS: Wir Frauen sind eine gute Gemeinschaft, wir ermutigen und helfen uns gegenseitig. Und wir erhalten viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Selbst Polizisten und Gefängniswärter sagen uns, wie wichtig unsere Arbeit ist und danken uns dafür. Diese Erlebnisse sind eine große Motivation.

Zudem ist das Abkommen für uns ein großer Erfolg, weil unsere Anliegen darin vorkommen. Das bedeutet, dass unsere Stimme laut genug ist, um gehört zu werden. Natürlich ist es eine große Anerkennung, dass uns Amnesty International den Menschenrechtspreis verleiht. Und nicht zuletzt lachen wir oft und gerne - und Lachen ist eine gute Medizin.

Interview: Anton Landgraf


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MENSCHENRECHTSPREIS

Der Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International wird seit 1998 verliehen. Ziel dieses Preises ist es, die Arbeit von Menschenrechtsaktivisten zu würdigen und sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zuletzt wurde 2006 Monira Rahman aus Bangladesch geehrt, die sich für die Opfer von Säureangriffen einsetzt. Die diesjährige Preisverleihung findet am 16. November im Berliner Ensemble statt.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2008, S. 40-41
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2008