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AKTION/1027: Urgent Action - Syrien - Befürworter von Reformen vermutlich in Foltergefahr


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-112/2012, AI-Index: MDE 24/036/2012, Datum: 20. April 2012 - gs

Syrien Befürworter von Reformen vermutlich in Foltergefahr



Herr DR. MOHAMED AL-AMMAR

Der gewaltfrei für Reformen in Syrien engagierte Dr. Mohamed al-Ammar wird seit dem 19. März vermisst. Er verließ seine Arbeit in der im Süden Syriens gelegenen Stadt Dera'a, traf aber nicht zuhause ein. Amnesty International geht davon aus, dass Dr. Mohamed al-Ammar vom Militärischen Geheimdienst in Dera'a in Haft gehalten wird und die Bedingungen dem Verschwindenlassen gleich kommen. Es besteht die Gefahr, dass der Mediziner in der Haft gefoltert oder misshandelt wird.

Am 19. März gegen 18.00 Uhr verließ Dr. Mohamad al-Ammar nach derzeitigen Erkenntnissen das Krankenhaus, in dem er tätig war, um sich auf den Weg nach Hause zu machen. Normalerweise benötigt er nach Angaben aus einer syrischen Quelle für den Heimweg nur rund zehn Minuten. Als Dr. Mohamad al-Ammar um 21.00 Uhr noch immer nicht eingetroffen war, begann seine Familie, sich Sorgen zu machen. Am nächsten Morgen hatte die Familie noch immer nichts von ihm gehört. Sie wandte sich daraufhin an die örtliche Polizeistation, erhielt dort aber die Auskunft, über den Verbleib von Dr. Mohamad al-Ammar sei nichts bekannt. Auch Nachfragen der Familie an einem Kontrollpunkt zwischen Klinik und Wohnung, an der uniformierte Sicherheitskräfte vermutlich des Militärischen Nachrichtendienstes Dienst verrichten, erbrachten keine neuen Erkenntnisse. Aus derselben Quelle erfuhr Amnesty International, dass die Familie des Arztes davon ausgeht, dass Dr. Mohamad al-Ammar beim militärischen Geheimdienst in Dera'a festgehalten wird, nachdem eine inoffizielle Quelle der Familie mitgeteilt hat, dass Dr. Mohamad al-Ammar auf dem Nachhauseweg von der Klinik an dem fraglichen Kontrollpunkt festgenommen wurde. Ein ehemaliger Gefangener teilte der Familie zudem mit, er sei gemeinsam mit Dr. Mohamad al-Ammar beim militärischen Geheimdienst in Dera'a in Haft gehalten worden. Die Bedingungen dort, so der Informant, seien miserabel; Folter und anderweitige Misshandlung seien an der Tagesordnung. Dr. Mohamad al-Ammar setzt sich seit vielen Jahren im Internet, in Vorträgen und als Teilnehmer von Konferenzen für einen friedlichen Demokratisierungsprozess in Syrien ein. Seit Beginn der derzeitigen Unruhen ist der Mediziner aufgrund seines Engagements für demokratische Reformen bereits vier Mal festgenommen worden. Sollte er sich erneut in Haft befinden und allein deshalb festgenommen worden sein, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung in friedlicher Weise wahrgenommen hat, handelt es sich bei ihm einen gewaltlosen politischen Gefangenen, für dessen sofortige Freilassung Amnesty International eintritt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Demonstrationen für Reformen in Syrien begannen im Februar 2011 und entwickelten sich Mitte März, nachdem erstmals TeilnehmerInnen getötet worden waren, zu Massenprotesten. Obwohl die Demonstrationen weitgehend friedlich verliefen, reagierten die Behörden in ihrem Bestreben, die Proteste niederzuschlagen, mit großer Brutalität. Seitdem finden zwar auch weiterhin friedliche Demonstrationen statt, zunehmend nehmen die Proteste aber auch gewalttätige Züge an. Bewaffnete Oppositionsgruppen, von denen sich viele unter dem Namen "Freie Syrische Armee" in einem losen Verbund zusammen geschlossen haben, verüben Anschläge, die sich in erster Linie gegen die syrischen Sicherheitskräfte richten. Amnesty International verfügt über die Namen von mehr als 8500 Menschen, die Berichten zufolge seit Mitte März 2011 im Zusammenhang mit den Demonstrationen und damit einhergehenden Unruhen gestorben sind oder getötet wurden. Auch Angehörige der Sicherheitskräfte sind getötet worden, einige von abtrünnigen Soldaten, die ihre Waffen nun gegen die Regierung richten.

In den vergangenen zwölf Monaten sind tausende mutmaßliche GegnerInnen der syrischen Regierung festgenommen und viele von ihnen, vermutlich sogar die Mehrzahl, gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Amnesty International liegen die Namen von mehr als 330 Menschen vor, die Berichten zufolge in dieser Zeit in Haft gestorben sind. Die Organisation hat außerdem zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Häftlinge gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden. Für weitere Informationen zu Fällen von Folter und anderen Misshandlungen von syrischen Häftlingen, siehe den englischen Bericht: "I wanted to die": Syria's torture survivors speak out, März 2012,
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE24/016/2012/en. Amnesty International liegen zudem zahlreiche Berichte über offensichtliche Fälle des Verschwindenlassen vor, in denen die syrische Regierung den Familienangehörigen keinerlei Informationen über den Verbleib der "verschwundenen" Personen zukommen ließ. In den meisten dieser Fälle sollen die Festnahmen von Sicherheitskräften ausgeführt worden sein. Die syrische Regierung hat zwar am 27. März 2012 den von Kofi Annan, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, vorgelegten Sechs-Punkte-Plan wie auch das am 12. April vereinbarte Waffenstillstandsabkommen akzeptiert, gleichwohl gehen bei Amnesty International auch weiterhin Meldungen über Festnahmen und anhaltende Inhaftierungen ein. Die Bedingungen, unter denen Menschen in Syrien in Haft gehalten werden, kommen nicht selten dem Verschwindenlassen gleich.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber ausdrücken, dass Dr. Mohamed al-Ammar seit dem 19. März als vermisst gilt. Bitte geben Sie umgehend seinen Aufenthaltsort bekannt und teilen Sie mit, was mit ihm geschehen ist.

- Stellen Sie bitte sicher, dass Dr. Mohamed al-Ammar, falls er sich in Haft befindet, weder gefoltert noch misshandelt wird, zu seiner Familie und einem Rechtsanwalt seines Vertrauens Kontakt aufnehmen kann und bei Bedarf medizinisch versorgt wird.

- Ich fordere Sie höflich auf, Dr. Mohamed al-Ammar unverzüglich und bedingungslos freizulassen, sollte er sich allein deshalb in Haft befinden, weil er seine politischen Ansichten in friedlicher Weise zum Ausdruck gebracht hat.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410

INNENMINISTER
Major General Mohamad Ibrahim al-Shaar
Ministry of Interior
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 211 9578

AUSSENMINISTER
Walid al-Mu'allim
Ministry of Foreign Affairs and Expatriates
al-Rashid Street
Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 214 6253


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herr Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de
press@syrianembassy.de
secretary@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 1. Juni 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Dr Mohamed al-Ammar has been missing since 18 March and calling on the authorities to reveal immediately where he is and what has happened to him.

- Calling on the authorities to ensure that, if he is detained, he is protected from torture and other ill-treatment, allowed contact with his family, a lawyer of his choice and any medical attention he may require.

- Calling on them to released Dr. Mohamed al-Ammar immediately and unconditionally, if he is held solely for peacefully expressing his political opinion.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Dr. Mohamad al-Ammar war erstmals Ende März 2011 festgenommen und vier Tage lang ohne Einschaltung eines Richters in Einzelhaft gehalten worden, bevor die Behörden ihn schließlich ohne Anklage wieder aus der Haft entlassen hatten. Anfang Mai 2011 war er erneut festgenommen und im Zusammenhang mit seinen politischen Aktivitäten verschiedener Straftaten beschuldigt worden. Eine Anfang Juni erlassene Amnestie hatte Dr. Mohamad al-Ammar die Freiheit zurückgebracht, allerdings war er im September und Dezember 2011 erneut vorübergehend inhaftiert worden. Auch sein Sohn Suhaib al-Ammar, Student der englischen Literaturwissenschaften, war zwischen November 2011 und Januar 2012 in Haft gehalten und nach eigenen Angaben gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Diese Erfahrung, so Suhaib al-Ammar, habe ihn noch mehr um seinen Vater bangen lassen.

Die Ansprachen von Dr. Mohamad al-Ammar, in denen er zu einem friedlichen Übergang Syriens zu rechtsstaatlichen Verhältnissen aufruft, können in arabischer Sprache auf der Internetseite
http://www.youtube.com/watch?v=VNP1uCWEchE eingesehen werden. Seit April 2011 hat Amnesty International in Syrien systematische und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Die Organisation ruft seither dazu auf, die Situation in Syrien der Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterbreiten, ein internationales Waffenembargo gegen das Land zu verhängen und die Vermögenswerte von Präsident al-Assad und seinen engsten Vertrauten einzufrieren.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-112/2012, AI-Index: MDE 24/036/2012, Datum: 20. April 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012