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AKTION/1257: Urgent Action - Brasilien, Indigene weiterhin bedroht


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-321/2012-1, AI-Index: AMR 19/017/2012, Datum: 1. November 2012 - ar

Brasilien
Indigene weiterhin bedroht

Weitere Informationen zu UA-321/2012 (AMR 19/016/2012, 26. Oktober 2012)



170 ANGEHÖRIGE DER INDIGENEN GEMEINSCHAFT DER GUARANI-KAIOWÁ

Die rechtswidrige Zwangsräumung von 170 Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá von Pyelito Kue/Mbarakay ist durch eine Verfügung des zuständigen brasilianischen Bundesgerichts vorläufig ausgesetzt worden. Die brutale Vergewaltigung einer Frau aus der Gemeinschaft zeigt jedoch deutlich, dass den Guarani-Kaiowá nach wie vor gewalttätige Übergriffe drohen.

Der Räumungsbefehl gegen die Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá von Pyelito Kue/Mbarakay wurde am 29. Oktober von dem zuständigen Bundesgericht solange ausgesetzt, bis anthropologische Studien abgeschlossen sind, die klären sollen, ob es sich bei dem Land um angestammtes Land der Gemeinschaft handelt. Mit dieser Entscheidung werden die von der Bundesstaatsanwaltschaft und der Regierungsbehörde für indigene Angelegenheiten (Fundação Nacional do Índio - FUNAI) eingelegten Rechtsmittel bestätigt. Die Bundesstaatsanwaltschaft begrüßte die nationalen und internationalen Kampagnen und die wichtige Rolle, die diese für die Herbeiführung der Aussetzung gespielt haben. Nachdem die SprecherInnen der Gemeinschaft in einem offenen Brief erklärt hatten, dass sie für die Verteidigung ihres angestammten Landes zu sterben bereit seien, wurde man überall auf der Welt auf ihre Notlage aufmerksam.

Die Angehörigen der Gemeinschaft leben jedoch weiterhin in Angst vor Angriffen und Vergeltungsschlägen durch bewaffnete Männer, die örtliche LandbesitzerInnen angeheuert haben sollen. Am 24. Oktober vergewaltigten acht bewaffnete Männer eine Frau aus Pyelito Kue. Ein Motorradfahrer hätte sie in die Ortschaft Iguatemi bringen sollen, fuhr jedoch stattdessen mit ihr zu einer nahegelegenen Farm, wo die Männer über sie herfielen. Die Frau sagte später bei der Polizei aus, die Männer hätten sie mehrfach vergewaltigt und ihr währenddessen ein Messer an den Hals gehalten. Danach haben sie die Frau offenbar mit vorgehaltener Waffe über die Gemeinschaft ausgefragt und sie dann verletzt und völlig verängstigt freigelassen. RechtsmedizinerInnen haben die Vergewaltigung bestätigt und die Polizei hat eine Untersuchung des Übergriffs eingeleitet.

Am 29. Oktober traf sich die stellvertretende Generalstaatsanwältin Dr. Deborah Duprat mit VertreterInnen der Gemeinschaft und forderte daraufhin bessere staatliche Leistungen für die Guarani-Kaiowá. Dr. Duprat sagte: "Wir stehen angesichts des erheblichen politischen und wirtschaftlichen Widerstands in der Region vor einem der kompliziertesten Demarkationsverfahren für indigene angestammte Ländereien, die dieses Land jemals gesehen hat." ("Estamos diante da situação mais complicada da demarcação de terras indígenas (TI) do país, pois há na região uma forte resistência política e econômica").


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Bundesstaat Mato Grosso do Sul umfasst einige der kleinsten, ärmsten und am dichtest besiedelten indigenen Regionen Brasiliens: ländliche und verarmte Regionen, umgeben von großen Soja- und Zuckerrohrplantagen sowie Viehfarmen, auf denen das Leben von Krankheit und schlechten Lebensbedingungen gekennzeichnet ist. Rund 60.000 Guarani-Kaiowá leben in prekären Verhältnissen. Der Zusammenbruch des sozialen Systems hat Gewalt und hohe Selbstmordraten hervorgebracht und zu Unterernährung geführt. Die nur schleppend verlaufende Übergabe des Landes von den LandbesitzerInnen an die indigenen Gemeinschaften hat bei den Guarani-Kaiowá große Enttäuschung ausgelöst und sie dazu veranlasst, ihrerseits mit der Besetzung angestammten Landes zu beginnen. Daraufhin wurden sie eingeschüchtert und mit Gewalt von dem Land vertrieben, das sie besetzt hatten.

Im November 2007 unterzeichneten der Justizminister, der Generalbundesanwalt, FUNAI-VertreterInnen und 23 SprecherInnen indigener Gemeinschaften ein Abkommen (Termo de Adjustamento de Conduta - TAC). In dem Abkommen verpflichtet sich FUNAI, bis April 2010 insgesamt 36 Stücke Land der Guarani-Kaiowá, einschließlich des Gebiets von Pyelito Kue/Mbarakay, zu demarkieren und an die Gemeinschaft zurückzugeben. Mangelnde Ressourcen und anhängige Gerichtsverfahren haben dazu geführt, dass der Demarkierungsprozess nach wie vor nicht stattgefunden hat.

Da die Klärung von Landkonflikten immer wieder scheitert, müssen mittlerweile mehrere Gemeinschaften der Guarani-Kaiowá am Rand von Schnellstraßen leben. Sie werden von MitarbeiterInnen der Sicherheitsdienste bedroht, welche die Guarani-Kaiowá an der Wiederbesetzung von Ländereien hindern sollen. Außerdem leiden die Guarani-Kaiowá unter gesundheitlichen Problemen, die auf die schlechten Bedingungen in den Notunterkünften und auf mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen sind. Zahlreiche Guarani-Kaiowá sind außerdem bei Verkehrsunfällen verletzt oder sogar getötet worden.

Sowohl die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker, die Brasilien im Jahr 2007 unterzeichnet hat, als auch das von der brasilianischen Regierung ratifizierte Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation garantieren indigenen Völkern das Recht auf Land, das traditionell ihnen gehört. Außerdem werden darin die Staaten aufgefordert, Mechanismen zu entwickeln, mit deren Hilfe diese Rechte zugesprochen und anerkannt werden können. Nicht zuletzt bekräftigt die brasilianische Verfassung von 1988 die Rechte der indigenen Völker Brasiliens auf ihr Land. Die Verfassung verpflichtet den Staat, das Land der indigenen Bevölkerung zu demarkieren.


SCHREIBEN SIE BITTE

LUFTPOSTBRIEFE UND FAXE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die Gemeinschaft angemessenen Zugang zu Grundversorgungsleistungen wie Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung hat, und gehen Sie Anschuldigungen über Drohungen gegen die Gemeinschaft nach.
  • Ich fordere Sie auf, ihrer Verpflichtung gemäß der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker und der brasilianischen Verfassung nachzukommen, indem Sie alle ausstehenden Demarkierungen abschließen.

APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Exmo. Sr. José Eduardo Martins Cardozo
Esplanada dos Ministérios
Bloco "T", 4º andar, 70.712-902 - Brasília/DF, BRASILIEN
(Anrede: Exmo. Sr. Ministro / Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 55) 61 2025 7803

MINISTERIN FÜR MENSCHENRECHTE
Exma Sra. Ministra Maria do Rosário Nunes
Setor Comercial Sul-B, Quadra 9, Lote C
Edificio Parque Cidade Corporate, Torre "A", 10º andar
70308-200 - Brasília/DF, BRASILIEN
(Anrede: Exmo. Sra. Ministra / Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin)
Fax: (00 55) 61 2025 9414


KOPIEN AN

MENSCHENRECHTSORGANISATION
Conselho Indigenista Missionário (CIMI)
CIMI Regional Mato Grosso do Sul
Av. Afonso Pena
1557 Sala 208 Bl.B
79002-070 Campo Grande/MS
BRASILIEN

BOTSCHAFT DER FÖDERATIVEN REPUBLIK BRASILIEN
S. E. Herrn Everton Vieira Vargas
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-7262 83 20 oder
030-7262 8321
E-Mail: brasil@brasemberlim.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Portugiesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 13. Dezember 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling for the authorities to ensure the community has adequate access to basic services, including food, water and healthcare, and to investigate any allegations of threats against them.
  • Urging the authorities to fulfil their obligations under the International Labour Organization (ILO)'s Convention 169, the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples and the Brazilian constitution by completing all outstanding land demarcations.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-321/2012-1, AI-Index: AMR 19/017/2012, Datum: 1. November 2012 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012