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AKTION/1345: Urgent Action - Indonesien, Drohende Vertreibung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-336/2012-1, AI-Index: ASA 21/002/2013, Datum: 15. Januar 2013 - we/cw

Indonesien
Drohende Vertreibung



MINDESTENS 165 ANGEHÖRIGE DER SCHIITISCHEN GEMEINDE IN SAMPANG, OSTJAVA

BehördenvertreterInnen haben gedroht, eine schiitische Gemeinde im März gegen ihren Willen umzusiedeln. Die Gemeinde lebt derzeit in Behelfsunterkünften in Ostjava unter sich immer weiter verschlechternden Bedingungen.

Am 1. Januar hat die Polizei der Provinz West-Java begonnen, die BeamtInnen, die zum Schutz der Gemeinde abgestellt waren, abzuziehen. Einer vertrauenswürdigen Quelle vor Ort zufolge, haben die Behörden der Regierungsbezirke Ostjava und Sampang den SchiitInnen Zeit bis Ende März gegeben, um zum sunnitischen Islam überzutreten. Nur dann dürfen sie in ihre Häuser zurückkehren. Andernfalls würde man sie unter Zwang entweder in einen anderen Teil der Provinz oder in einen Ort außerhalb der Insel Java umsiedeln. Die vertriebene Gemeinde hat eine Umsiedlung abgelehnt und will stattdessen ohne Angst in ihre Häuser und zu ihren Erwerbsmöglichkeiten zurückkehren. Vier Monate nachdem eine aufgebrachte Menschenmenge ihr Dorf angegriffen hat, leben noch immer etwa 165 vertriebene Menschen, darunter 48 Kinder, unter unangemessenen Bedingungen in einem Sportkomplex in Sampang in Ostjava.

Die Bedingungen in der vorläufigen Unterkunft verschlechtern sich zusehends. Ende Dezember stoppten die örtlichen Behörden die Versorgung der vertriebenen Gemeinde mit Nahrungsmitteln und Gesundheitsdienstleistungen. Zuvor hatten die Behörden bereits vom 22. November bis zum 4. Dezember keine Nahrungsmittel an die Gemeinde geliefert. Einige der Kinder in der Unterkunft sind bereits erkrankt. Die schiitische Gemeinschaft aus Karang Gayam, einem Dorf im Regierungsbezirk Sampang auf der indonesischen Insel Madura, wurde im August 2012 durch den Angriff einer anti-schiitischen Gruppe von etwa 500 Personen mit scharfen Schnittwaffen und Steinen vertrieben. Ein Mensch wurde dabei getötet und Dutzende verletzt. Die Gruppe setzte zudem 35 Häuser der schiitischen Gemeinschaft in Brand. Bislang sind fünf Personen wegen der Beteiligung an dem Angriff angeklagt worden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Im Mai 2012 hatte die indonesische Regierung im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung ("Universal Periodic Review") durch den UN-Menschenrechtsrat ihre Absicht, den Schutz der Religionsfreiheit sicherzustellen und Fällen der religiösen Intoleranz nachzugehen, nochmals bestätigt. Dennoch sind religiöse Minderheiten in Indonesien, u.a. die Glaubensgemeinschaften der Schiiten, Ahmadiyya und Christen, noch immer Belästigungen, Einschüchterungen und Übergriffen ausgesetzt. Diejenigen, die gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorgehen, werden nur selten bestraft. Einige Gemeinschaften wurden durch solche Übergriffe bereits vertrieben.

In einem ähnlichen Fall in Lombok in der Provinz Ost-Nusa Tenggara lebte eine Gemeinschaft der Ahmadiyya sechs Jahre lang in inadäquaten Behausungen, nachdem ein Mob ihre Wohnungen im Februar 2006 bei einem Angriff angezündet hatte. Die Behörden haben weder Maßnahmen ergriffen, der Gemeinschaft in ihrer Situation zu helfen, noch die Verantwortlichen der Justiz zugeführt.

Die schiitische Gemeinde auf der Insel Madura war in der Vergangenheit bereits Einschüchterungen und Angriffen ausgesetzt. Am 29. Dezember wurden eine religiöse Stätte, ein Internat und mehrere Häuser in der Umgebung in Brand gesetzt. Die Polizei ergriff keine geeigneten Maßnahmen, um die Gemeinschaft zu schützen. Statt einzuschreiten und den Angriff abzuwehren, filmten einige BeamtInnen ihn mit ihrem Mobiltelefon. Schließlich wurde nur eine Person aufgrund der Angriffe angeklagt und zu drei Monaten Haft verurteilt. Im Juli 2012 wurde Tajul Muluk, ein religiöser Führer der SchiitInnen, festgenommen und vom Bezirksgericht von Sampang nach Artikel 156 (a) des Indonesischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie zu zwei Jahren Haft verurteilt. Seine Inhaftierung erfolgte nach Berichten, dass die Abteilung des indonesischen Ulema-Rats (MUI) in Sampang im Januar 2012 im Zusammenhang mit Tajul Muluks "abweichende Lehren" eine Fatwa (religiöses Dekret) ausgerufen hatte. Das Hohe Gericht von Ostjava hat seine Strafe in einem Rechtsmittelverfahren im September auf vier Jahre erhöht. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die schiitische Gemeinschaft sofortigen Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmitteln und zu Gesundheitsdienstleistungen erhält.
  • Garantieren Sie eine sichere, freiwillige und würdevolle Rückkehr der schiitischen Gemeinschaft in ihre Häuser. Achten Sie darauf, dass dies in Absprache mit den Betroffenen geschieht und stellen Sie Unterstützung beim Aufbau von beschädigten oder zerstörten Häusern bereit.
  • Leiten Sie bitte umgehend Ermittlungen zu den Vorwürfen ein, die lokalen Regierungsbehörden zwängen SchiitInnen, ihrem Glauben abzuschwören, bevor sie in ihre Häuser zurückkehren dürfen.
  • Stellen Sie darüber hinaus sicher, dass alle an den Angriffen gegen die schiitische Gemeinschaft Beteiligten zügig in fairen Verfahren und ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen zur Verantwortung gezogen werden und die Betroffenen Entschädigung erhalten.

APPELLE AN

MINISTER FÜR JUSTIZ UND MENSCHENRECHTE
Amir Syamsuddin
Jl. H.R. Rasuna Said Kav No. 4-5
Kuningan
Jakarta Selatan 12950
INDONESIEN
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 62) 21 525 3095

LEITER DES PARLAMENTARISCHEN AUSSCHUSSES VIII
Dra. Ida Fauziyah
House of People's Representatives
Kompleks Gedung DPR
Jl. Gatot Subroto, Senayan, Jakarta, 10270, INDONESIEN
(Anrede: Dear / Sehr geehrte Frau Dra. Ida Fauziyah)
E-Mail: set_komisi8@dpr.go.id
Fax: (00 62) 21 571 5512


KOPIEN AN

VORSITZENDER DER MENSCHENRECHTSKOMMISSION
Otto Nur Abdullah
Chairperson National Human Rights Commission
(Komnas HAM), Jl Latuharhary, No.4 Menteng
Jakarta Pusat 10310
INDONESIEN
Fax: (00 62) 21 39 25 227

BOTSCHAFT DER REPUBLIK INDONESIEN
S.E. Herrn Eddy Pratomo
Lehrter Straße 16-17, 10557 Berlin
Fax: 030-4473 7142
E-Mail: nur über die Website: http://botschaft-indonesien.de/de/botschaft/organisation.htm
Kontaktformular: http://www.botschaft-indonesien.de/de/kontak/kontakt.php


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Indonesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Februar 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to ensure the displaced Shi'a community has immediate access to essential services such as food and health services.
  • Urging them to guarantee the safe, voluntary and dignified return of the Shi'a community to their homes, according to their wishes, and help them to rebuild the homes that were damaged or destroyed.
  • Urging them to investigate reports that the local and provincial authorities are coercing Shi'a followers to renounce their faith before they are allowed to return to their homes.
  • Calling on them to ensure that all those involved in the attack on the Shi'a community are speedily brought to justice in proceedings which meet international standards of fairness, without the imposition of the death penalty, and that victims are provided reparations.

WEITERE HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Das Recht auf Religionsfreiheit wird in der Verfassung Indonesiens garantiert. Zudem heißt es in Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), dessen Vertragsstaat Indonesien ist: "Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen (.) " und "Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde."

Als Unterzeichner des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Rechte (ICESCR) ist die indonesische Regierung verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Einzelne sein Recht auf angemessene Unterbringung (Artikel 1.1) sowie sein Recht auf ein größtmögliches Maß an körperlicher und seelischer Gesundheit (Artikel 12) wahrnehmen kann.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-336/2012-1, AI-Index: ASA 21/002/2013, Datum: 15. Januar 2013 - we/cw
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2013