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AKTION/1627: Urgent Action - VR China, unangekündigte Hauszerstörungen


ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-243/2013-1, AI-Index: ASA 17/036/2013, Datum: 22. Oktober 2013 - mv

VR China
Unangekündigte Hauszerstörungen



EINWOHNERiNNEN DES PEKINGER VIERTELS BAGOU

Im Viertel Bagou des Pekinger Stadtteils Haidian sind am 22. Oktober zwei Häuser ohne vorherige Benachrichtigung der betroffenen BewohnerInnen von Bulldozern zerstört worden. Den verbliebenden EinwohnerInnen des Viertels wurde gedroht, auch ihre Häuser würden bis zum 26. November abgerissen werden.

Mehr als 200 Vollstreckungs-, Gerichts- und SicherheitsbeamtInnen des Pekinger Stadtteils Haidian waren an der Zerstörung der Häuser im Viertel Bagou am 22. Oktober beteiligt. Einige von ihnen trugen kugelsichere Westen und Helme, andere trugen Handfeuerwaffen bei sich. Gegen 9.00 Uhr begannen die Beteiligten das Viertel abzusperren und die Häuser abzureißen. Die GerichtsbeamtInnen erklärten, sie würden lediglich "die Entscheidung des Bezirksgerichts von Haidian umsetzen, illegale Wohnungen niederzureißen". Zwei der sechs verbliebenen Häuser wurden im Zuge der Räumung abgerissen. Deren BewohnerInnen, He Fengting und Zhao Xiuming, hatten versucht, sie zu schützen, wurden jedoch daran gehindert, die Häuser zu betreten und mussten mitansehen, wie sie von Bulldozern zerstört wurden. Da die beiden Betroffenen völlig unvorbereitet auf den plötzlichen Abriss ihrer Häuser waren, konnten sie keinerlei persönliche Gegenstände retten und sind nun obdachlos.

Die EinwohnerInnen von Bagou reichten am 19. November 2012 vor dem Höheren Volksgericht von Peking gegen den Räumungsbefehl Rechtsmittel ein. Obwohl das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, ist mit dem Abriss der Häuser in Bagou begonnen worden. Die Behörden haben den Betroffenen weder angemessene Entschädigungen noch alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Die BewohnerInnen, die zuvor bereits ihre Häuser verloren hatten, erhielten von der Regierung zwar Entschädigungen, diese entsprachen jedoch nicht den nach chinesischem Recht festgelegten Standards und wurden von den BewohnerInnen als nicht annähernd angemessen zurückgewiesen.

Ein Reporter, der versuchte, während der Räumungsaktion Angehörige der Polizei zu interviewen, wurde bedroht. BeamtInnen versuchten zudem, seine Kamera zu entwenden. Außerdem wurde der Journalist von Personen in Polizeiuniform geschlagen, bis ihm die EinwohnerInnen von Bagou helfen konnten, das Viertel zu verlassen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die BewohnerInnen des Viertels Bagou sind nicht Eigentümer der von ihnen bewohnten Grundstücke, haben aber ein Nutzungsrecht. Nach dem Kauf des Landes begann das Bauunternehmen, die EinwohnerInnen zu schikanieren und einzuschüchtern, indem es die Strom- und Wasserversorgung abstellte, das Abwassersystem beschädigte und die Straße blockierte, die in das Wohngebiet führt. Das Unternehmen heuerte zudem Leute an, um die AnwohnerInnen zu verprügeln und in ihre Häuser einzubrechen und diese zu plündern. Im Zuge eines dieser Übergriffe, als mit Holz- und Eisenstangen bewaffnete Männer in eines der Häuser einbrachen, erlitt eine 95-jährige Frau einen tödlichen Herzinfarkt. Die BewohnerInnen meldeten den Vorfall der Polizei, die sich jedoch weigerte, eine Untersuchung einzuleiten. Am 16. August 2013 um 6 Uhr morgens umstellten 400 Angehörige der Einheit für Stadtmanagement der Bezirkspolizei von Haidian das Wohngebiet und zerstörten mit zwei Bulldozern mehr als 50 Häuser. Eine 67-jährige Frau trug leichte Verletzungen davon, als HelferInnen der Abbrucharbeiten sie gewaltsam aus ihrem Haus holten, und mindestens drei Männer wurden geschlagen. Auch hier wollte die Polizei keine Ermittlungen einleiten.

Der Ausschuss für Straßenmanagement des Bezirks Haidian verkaufte das Gelände an die Beijing Willow Investment Group Co. Ltd, die direkt von der Lokalregierung Haidian gehalten wird, um ein neues Gewerbe- und Wohnprojekt zu verwirklichen. Den dortigen BewohnerInnen wurde allerdings etwas anderes erzählt. Den betroffenen 6.000 Familien (insgesamt etwa 10.000 Personen) wurde eine Entschädigung angeboten und außerdem zugesichert, dass sie in zwei Jahren die Möglichkeit hätten, auf dem Gelände Wohnungen zu einem Standardpreis zu erwerben. Auf dem für diese Wohnungen ausgewiesenen Grundstück sind mittlerweile allerdings Luxuswohnungen und gewerbliche Gebäude errichtet worden. Viele derjenigen, die weggezogen sind, befinden sich nun in finanziellen Schwierigkeiten, da die Entschädigungssumme für eine alternative Unterkunft in Peking nicht ausreicht. Die sechs verbleibenden Familien versuchten 2006, eine Verwaltungsklage gegen das Bauunternehmen anzustrengen, aber das Amt für Gebäudebewirtschaftung von Haidian lehnte ihre Klage ab. Sie legten daraufhin jeweils 2006, 2007 und 2009 beim Mittleren Volksgericht Nr. 1 in Peking Rechtsmittel ein, die alle mit der Begründung abgelehnt wurden, es sei ordnungsgemäß vorgegangen worden. Am 19. November 2012 legten die Familien daher vor dem Höheren Volksgericht von Peking Rechtsmittel ein, die derzeit geprüft werden. Am 9. September 2013 erhielten die sechs Familien eine vom Mittleren Volksgericht Nr. 1 ausgestellte Aufforderung, ihre Wohnungen bis zum 14. September zu räumen.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Stellen Sie bitte sicher, dass den von dem Abriss der Häuser Betroffenen umgehend eine angemessene alternative Unterkunft und eine Entschädigung zur Verfügung gestellt wird.
  • Bitte sehen Sie von einer Vertreibung der verbleibenden EinwohnerInnen des Viertels Bagou im Pekinger Stadtteil Haidian ab, während ihre Rechtsmittel noch vor Gericht anhängig sind, und solange ordentliche Verfahrensgarantien wie z. B. angemessene Benachrichtung und Entschädigung nicht gegeben sind.
  • Bitte untersuchen Sie außerdem alle Einschüchterungs- und Schikanierungsversuche vonseiten staatlicher und nichtstaatlicher Akteure und sorgen Sie dafür, dass diese unverzüglich eingestellt werden.

APPELLE AN

BÜRGERMEISTER VON PEKING
Wang Anshun Shizhang
Beijingshi Renmin Zhengfu
2 Zhengyilu, Dongchengqu
Beijingshi 100744, VOLKSREPUBLIK CHINA
(Anrede: Dear Mayor / Sehr geehrter Herr Bürgermeister)
Fax: (00 86) 108 437 1700

PARTEISEKRETÄR DER STADT PEKING
Guo Jinlong Shuji
Beijingshi Weiyuanhui
3 Taijichangdajie, Dongchengqu
Beijingshi 100743, VOLKSREPUBLIK CHINA
(Anrede: Dear Secretary / Sehr geehrter Herr Parteisekretär)
Tel: (00 86) 106 512 1118 (nur auf Chinesisch)


KOPIEN AN

PRÄSIDENT DES MITTLEREN VOLKSGERICHTS NR. 1 IN PEKING
Ji Luohong Yuanzhang
16 Shijingshanlu, Shijingshanqu
Beijingshi 100040
VOLKSREPUBLIK CHINA
(Anrede: Dear President / Sehr geehrter Herr Ji)
Tel: (00 86) 106 863 9038 (nur auf Chinesisch)
E-Mail: bjlzy-mygt@china.court.org

BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
S. E. Herrn SHI Mingde
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: botschaftchina@yahoo.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 03. Dezember 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA-243/2013 (ASA 17/030/2013, 11. September 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urging the authorities to ensure that the evicted residents are immediately provided with alternative housing and adequate compensation.
  • Urging the authorities not to evict the remaining residents in Bagou village, Haidian district in Beijing while their appeal is pending in court and without following due process requirements including adequate notice and compensation.
  • Urging the authorities to investigate and stop all acts of intimidation and harassment carried out both by state and non-state actors.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Han Ying, Einwohner von Bagou und Zeuge der Räumungsaktion vom 22. Oktober, berichtete: "Nun reißen sie unsere Häuser nieder. Weder das Gericht noch der Bauunternehmer hat die betroffenen BewohnerInnen im Voraus darüber informiert. Die BewohnerInnen haben versucht, in ihre Häuser zu gelangen, um sie zu schützen. Sie wurden jedoch von einer Gruppe uniformierter Leute davon abgehalten und ihre Häuser sind nun zerstört. Das Gericht hat den rechtswidrigen Abriss der Häuser sogar unterstützt. Es ist seinen eigenen Verfahren und Regelungen bezüglich Enteignungen nicht gefolgt. Während unserer Rechtsmittelverfahren haben wir eine Menge Beweise eingereicht, die die rechtswidrigen Handlungen seitens des Bauunternehmers belegen, aber das Gericht hat keinen einzigen der Beweise zugelassen. Was heute hier passiert ist, zeigt deutlich, dass das Gericht befangen ist."

Die Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern oder von ihrem Ackerland ohne die angemessenen rechtlichen Schutzmaßnahmen und Garantien ist in China mittlerweile Routine geworden. Dies stellt eine schwere Verletzung der Menschenrechte der Betroffenen dar. Oft werden die Zwangsräumungen plötzlich und gewaltsam durchgeführt, was manchmal Todesfälle zur Folge hat. Viele der Betroffenen werden vor der rechtswidrigen Zwangsräumung lange Zeit bedroht und drangsaliert: manche von ihnen werden geschlagen, verschleppt oder, wie in mindestens einem Fall, lebendig begraben. Den Vertriebenen wird in der Regel nur eine kleine oder gar keine Entschädigung angeboten, und wenn alternative Unterkünfte bereitgestellt werden, sind diese häufig unzulänglich.

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der die Umsetzung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in den Vertragsstaaten überwacht, macht klar, dass Regierungen nur dann Räumungen vornehmen dürfen, wenn eine Reihe von Verfahrensgarantien angewendet werden. Hierzu zählen: die Möglichkeit einer wirksamen Konsultation, einschließlich einer Diskussion über mögliche Alternativen zur Räumung; eine angemessene und zumutbare Benachrichtigung; eine mit angemessenem Vorlauf erfolgte Veröffentlichung von Informationen über die geplante Räumung, einschließlich ggf. Infomationen über den geplanten Verwendungszweck des Geländes; die Anwesenheit von RegierungsvertreterInnen während der Räumung; die Pflicht derjenigen, die die Räumung vornehmen, sich auszuweisen; die Verpflichtung, Räumungen nicht bei Nacht oder sehr schlechtem Wetter vorzunehmen, außer mit der vorherigen Zustimmung der Betroffenen; das Bereitstellen angemessener Alternativunterkünfte; die Verfügbarkeit von Rechtsbehelfen; und, wo möglich, die Bereitstellung von Rechtshilfe für Personen, die ansonsten vor Gericht keine Rechtsmittel einlegen könnten. Regierungen sind zudem verpflichtet, ihre BürgerInnen vor rechtswidrigen Zwangsräumungen durch private Akteure und vor Gewalt und Schikane zu schützen. Sicherheitskräfte dürfen Gewalt nur dann anwenden, wenn sie notwendig und verhältnismäßig ist. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte legt fest, dass Räumungen selbst dann, wenn sie als gerechtfertigt angesehen werden, nur unter strenger Einhaltung der relevanten Bestimmungen der internationalen Menschenrechtsnormen und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden sollten.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-243/2013-1, AI-Index: ASA 17/036/2013, Datum: 22. Oktober 2013 - mv
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2013