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AKTION/1704: Urgent Action - Ägypten, 1200 Familien vertrieben


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-037/2014, AI-Index: MDE 12/010/2014, Datum: 21. Februar 2014 - we

Ägypten
1200 Familien vertrieben



Vertrieben:
MINDESTENS 1200 FAMILIEN

Noch immer obdachlos:
MINDESTENS 300 FAMILIEN

Die Behörden des Gouvernements Kairo haben am 18. Februar mindestens 1200 Familien vertrieben und ihre Häuser abreißen lassen. Berichten zufolge wurden die Betroffenen nicht gewarnt und den meisten keine alternativen Unterkünfte zur Verfügung gestellt. 300 Familien sollen noch immer obdachlos sein.

Ägyptische Sicherheitskräfte haben am 18. Februar im Bezirk Ezbet Al-Nakhl in Kairo mindestens 1200 Familien aus ihren Häusern vertrieben. Mindestens 16 Männer wurden während der Zwangsräumung festgenommen. Es gab im Vorhinein keinen Versuch der Behörden eine wirksame Konsultation mit den BewohnerInnen zu initiieren, außerdem wurden die Betroffenen nicht über die bevorstehende Räumung informiert. Zwei Tage nach der Räumung sollen 400 der betroffenen Familien laut der ägyptischen Regierung in alternativen Unterkünften im Vorort El-Marg untergekommen sein. Einige der Familien berichteten Amnesty International jedoch, dass sie gezwungen waren auf der Straße zu schlafen, bevor man ihnen Wohnungen bereitstellte. Mindestens 300 Familien sollen zudem noch immer obdachlos sein.

AugenzeugInnen berichteten Amnesty International, dass die Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Luft geschossen haben, um die BewohnerInnen einzuschüchtern, die sich gegen die Räumung wehren wollten. Sie beobachteten zudem, wie PolizeibeamtInnen zwei Frauen an den Haaren hinter sich her zogen, Kinder schlugen und Männer festnahmen, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen. Es ist nicht bekannt, wie viele Familien genau in Ezbet Al-Nakhl gelebt haben. Zuverlässige Quellen geben jedoch an, dass wesentlich mehr Menschen dort wohnten, als es amtliche Zahlen ausweisen. Der Gouverneur von Kairo erklärte, dass es sich um 400 Familien handele und bezog sich dabei auf die Ergebnisse der aktuellsten Zählung der Regierung von Ende 2012. Betroffene Familien und Rechtsbeistände sagten Amnesty International jedoch, dass in Ezbet Al-Nakhl vor der Räumung mindestens 1200 Familien gelebt haben, von denen jetzt mindestens 300 obdachlos sind.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Angehörige der Ägyptischen Kommission für Rechte und Grundfreiheiten, die während der Räumung vor Ort waren, sagten Amnesty International, dass die Sicherheitskräfte - einschließlich den Zentralen Sicherheitskräften, Sondereinsatzkräften und Kriminalpolizei - die Familien am 18. Februar aus ihren Häusern vertrieben haben. Wer sich weigerte zu gehen, wurde nach draußen geschleift und geschlagen. Sie berichteten zudem, dass die Regierung die Besitztümer der BewohnerInnen in Müllfahrzeugen abtransportieren ließ und dass die Sicherheitskräfte JournalistInnen den Zugang verweigerten, sodass diese nicht über das Geschehen berichten konnten.

Die Regierung stellte nur 400 der vertriebenen Familien alternative Unterkünfte zur Verfügung, weil eine von der Regierung durchgeführte Befragung der BewohnerInnen des betroffenen Gebiets Ende 2012 ergeben hatte, dass dort 400 Familien lebten. BewohnerInnen sagten Amnesty International jedoch, dass diese Zahl nichts mehr mit der Realität zu tun habe und es sich um mindestens 1200 Familien gehandelt habe. Rechtsbeistände und Nachbarschaftsorganisationen aus dem betroffenen Bezirk bestätigten diese Zahl.

Einige der BewohnerInnen wandten sich am 21. Februar an den Staatsanwalt. Sie erstatteten Anzeige wegen des Vorgehens der Sicherheitskräfte und weil sie mehrere Nächte auf der Straße verbringen mussten, da man ihnen keine alternative Unterkunft angeboten hatte.

Betroffene Familien berichteten Amnesty International zudem, dass sie versucht hatten, den PolizeibeamtInnen klarzumachen, dass sie nicht die Möglichkeit haben, irgendwo unterzukommen. Diese antworteten jedoch nur "Damit haben wir nichts zu tun". Ein Anwohner drohte einem Polizeibeamten, dass er sich selbst anzünden würde, wenn man sein Haus zerstöre. Der Beamte gab dem Mann ein Streichholz und sagte ihm, dass niemand ihn davon abhalten werde. Die Sicherheitskräfte nahmen mindestens 16 Männer willkürlich fest, die versuchten sich gegen die Räumung zu wehren. Die Männer wurden anschließend ohne Anklage wieder freigelassen.

MenschenrechtsverteidigerInnen, die sich mit dem Fall beschäftigen, sagten Amnesty International, die Räumungen seien durchgeführt worden, weil die Regierung dort eine Brücke bauen lasse, die inoffiziell die "Mostorod-Achse" genannt wird.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie eindringlich auf, sicherzustellen, dass schnellstmöglich allen von der Zwangsräumung betroffenen BewohnerInnen alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden, die Grundbedürfnisse hinsichtlich Bewohnbarkeit, Lage und Grundversorgung erfüllen.
  • Sorgen Sie dafür, dass all diejenigen, deren Rechte im Rahmen der Zwangsräumung verletzt wurden, Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln erhalten.
  • Ich möchte Sie hiermit daran erinnern, dass Zwangsräumungen gemäß der neuen Verfassung Ägyptens verboten sind. Stellen Sie bitte sicher, dass zukünftige Räumungen in Übereinstimmung mit internationalen Standards durchgeführt werden, was eine wirksame Konsultation der BewohnerInnen, die vorherige schriftliche Benachrichtigung der Betroffenen und die Bereitstellung angemessener alternativer Unterkünfte einschließt.

APPELLE AN

GOUVERNEUR VON KAIRO
Galal Mostafa Mohamed Saeed
7 Abdin Square, Al Gomhoriya Street
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Governor / Sehr geehrter Herr Gouverneur)
Fax: (202) 2 3904620 oder (202) 2 3907387
E-Mail: cairogov@cairo.gov.eg oder cairogov@idsc.net.eg

GESCHÄFTSFÜHRER DER ENTWICKLUNGSGESELLSCHAFT FÜR INFORMELLE SIEDLUNGEN
'Khalid Abdul Aziz Ghiberti
Informal Settlements Development Facility
PO Box 16 - 11852
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear 'Khalid Abdul Aziz Ghiberti / Sehr geehrter Herr 'Khalid Abdul Aziz Ghiberti)
Fax: (202) 2 2634000
E-Mail: isdf@isdf.gov.eg

STAATSANWALT
Hesham Mohamed Zaki Barakat
Office of the Public Prosecutor
Supreme Court House, 1
"26 July" Road
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Counsellor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 202) 2 577 4716 oder 2 575 7165
(nach Büroschluss abgeschaltet, GMT+2)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S.E. Herr Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy
Stauffenbergstraße 6/7
10785 Berlin
Fax: 030-4 77 10 49
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. April 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the Egyptian authorities to ensure that all the residents forcibly evicted are provided with adequate alternative housing as a matter of urgency that meets the needs of habitability, location and availability of basic services.
  • Calling on them to ensure that all those whose rights have been violated as a result of the forced evictions have access to effective remedies.
  • Reminding them that Egypt's new Constitution outlaws forced evictions and urging them to ensure that any future evictions are conducted in line with international standards, with residents being genuinely consulted, notified in writing in advance and provided with adequate alternative accommodation.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Paragraph 63 der im Januar 2014 verabschiedeten Verfassung verbietet rechtswidrige Zwangsräumungen. Unter Paragraph 78 wird garantiert, dass der Staat angemessene Unterkünfte zur Verfügung stellt. Paragraph 59 der Verfassung besagt, dass jede Person das Recht auf ein sicheres Leben hat und dass der Staat Sicherheit und Verlässlichkeit für die EinwohnerInnen seines Hoheitsgebiets bieten muss.

Das Völkerrecht verbietet rechtswidrige Zwangsräumungen. Die Behörden haben immer wieder die Verfahrensgarantien missachtet, die das Völkerrecht vorschreibt, um solche Zwangsräumungen zu verhindern. Zu diesen Verfahrensgarantien gehört eine wirksame Konsultation mit den betroffenen Gemeinschaften hinsichtlich Umsiedlungsmöglichkeiten, das Bereitstellen ausreichender Informationen zu den Räumungsvorhaben, die vorherige schriftliche Benachrichtigung über die Räumung sowie die Bereitstellung angemessener alternativer Unterkünfte und Entschädigungsleistungen für erlittene Verluste. Im Dezember 2013 zeigte sich der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte besorgt über die "weitverbreiteten" Zwangsräumungen in Ägypten und die fehlende Möglichkeit für die Betroffenen, wirksame Rechtsmittel einzulegen. Der Ausschuss forderte Ägypten auf, sicherzustellen, dass das Recht auf eine angemessene Unterkunft und Mietsicherheit sowie der Schutz von Besitztiteln gesetzlich garantiert werden.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-037/2014, AI-Index: MDE 12/010/2014, Datum: 21. Februar 2014 - we
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2014