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AKTION/576: Urgent Action - Saudi-Arabien - Lehrer festgenommen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-062/2011, AI-Index: MDE 23/007/2011, Datum: 8. März 2011 - jf

SAUDI-ARABIEN
Lehrer festgenommen


Herr MUHAMMAD AL-WAD'ANI

Ein 25-jähriger Lehrer ist am 4. März festgenommen worden, als er in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad an einer Demonstration für Reformen in Saudi-Arabien teilnahm. Am 2. März war auf YouTube ein Video von ihm eingestellt worden, in dem er zu Protesten gegen die Monarchie aufrief. Amnesty International befürchtet, dass sich der Lehrer nur deshalb in Haft befindet, weil er seine Rechte auf freie Meinungsäußerung in friedlicher Weise wahrgenommen hat. Er wäre in diesem Fall als gewaltloser politischer Gefangener zu betrachten. Muhammad al-Wad'ani wurde von mehreren Männern in Zivil festgenommen, bei denen es sich vermutlich um Mitarbeiter des Allgemeinen Geheimdienstes handelte. Die Festnahme erfolgte während einer Protestkundgebung vor der al-Rajihi-Moschee im östlichen Teil der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Die mutmaßlichen Sicherheitskräfte sollen während der Festnahme "Schiit" gerufen haben, um zu suggerieren, dass sie glaubten, bei Muhammad al-Wad'ani handele es sich um einen Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft, die in Saudi-Arabien eine Minderheit darstellt. An den Protesten zugunsten von Reformen im Königreich sollen etwa 20 bis 30 Menschen teilgenommen haben. Wie es hieß, sollen neben Muhammad al-Wad'ani noch drei weitere Männer festgenommen worden sein. Ihre Namen sind Amnesty international nicht bekannt; sie sollen kurz nach ihrer Inhaftierung wieder freigelassen worden sein.

Muhammad al-Wad'ani befindet sich derzeit ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft und ist in großer Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden. AktivistInnen in Saudi-Arabien gehen davon aus, dass er im al-Ha'ir-Gefängnis in Riad festgehalten wird. In einem auf YouTube veröffentlichten Video hatte Muhammad al-Wad'ani zu Protesten am 4. und 7. März in Riad aufgerufen. Außerdem forderte er darin zum Sturz der Monarchie in Saudi-Arabien auf und warnte den Innenminister davor, die Macht der jungen Menschen zu unterschätzen und sie ohne Anklageerhebung und Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Amnesty international ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr wenig über den persönlichen Hintergrund von Muhammad al-Wad'ani bekannt; dementsprechend gibt es auch keine konkreten Informationen über seine Glaubenszugehörigkeit.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Zwar sind Amnesty International keine Gesetzestexte bekannt, die Demonstrationen explizit untersagen würden, in der Praxis haben die saudi-arabischen Behörden ihre Ausübung jedoch stets untersagt. Menschen, die dennoch versuchen, Demonstrationen zu organisieren oder daran teilzunehmen, werden oftmals festgenommen, ohne Kontakt zur Außenwelt oder Anklageerhebung inhaftiert. Zudem untersagt man ihnen die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft vor Gericht anzufechten. Als am 27. Dezember 2008 Demonstrationen gegen die Militäraktionen Israels in Gaza stattfanden, soll ein Sprecher des Innenministeriums am 30. Dezember 2008 ein explizites Verbot für Proteste in Saudi-Arabien ausgesprochen haben. Nach den Protesten, die vergangene Woche in al-Qatif stattgefunden hatten (siehe UA-61/2011) und in zeitlicher Überschneidung mit Aufrufen zu weiteren Protestmärschen für den 11. März, veröffentlichte das Innenministerium Saudi-Arabiens am 5. März eine Stellungnahme, in der das Demonstrationsverbot nochmals bestätigt wurde. Weiterhin hieß es darin, dass Sicherheitskräfte "alle notwendigen Schritte" unternehmen würden, um Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zu unterbinden. Einen Tag später, am 6. März, unterstrich der Rat der Religionsgelehrten (Ulema) abermals das Demonstrationsverbot. Neben Demonstrationen wurden auch vor der Ausübung weiterer Mittel gewarnt, die dem Religionsgelehrtenrat zufolge zu Uneinigkeit und Spaltungen in der Gesellschaft führen würden und daher keine geeigneten Ausdrucksformen für Reformforderungen oder Hinweise an die Regierung seien. Noch am selben Tag hob der Shura-Rat (ein vom König ernanntes Beratergremium) hervor, dass Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit im Königreich oberste Priorität hätten. Der Rat forderte die Bevölkerung auf, Aufrufe zu Demonstrationen, Sitzblockaden und Protestmärschen zu ignorieren und bezeichneten sie als unvereinbar mit den Grundprinzipien des Islamischen Rechts.

KritikerInnen der saudi-arabischen Regierung drohen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste des Innenministeriums schwere Menschenrechtsverletzungen. Oft werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Anklage in Haft, manchmal auch Einzelhaft, gehalten und können weder RechtsanwältInnen noch die Gerichte einschalten, um die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. Folterungen und Misshandlungen werden ebenfalls oftmals angewendet und dienen dem Zweck, Geständnisse zu erzwingen, nicht "reuige" Gefangene zu bestrafen oder sie von weiteren kritischen Äußerungen über die Regierung abzuhalten.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich appelliere an Sie, sicherzustellen, dass Muhammad al-Wad'ani weder gefoltert noch misshandelt wird, Zugang zu jeglicher benötigter medizinischer Versorgung erhält und regelmäßig von seiner Familie und seinem Rechtsbeistand besucht werden kann.

- Ich betone, dass Amnesty International Muhammad al-Wad'ani als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachtet und sich für seine unverzügliche und bedingungslose Freilassung einsetzen wird, falls er sich nur deshalb in Haft befindet, weil er seine Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in friedlicher Weise wahrgenommen hat.

- Ich bitte Sie, die gegen Muhammad al-Wad'ani erhobenen Anklagen detailliert bekannt zu geben und sicherzustellen, dass eventuell gegen ihn eingeleitete rechtliche Schritte internationalen Standards der Fairness genügen.


APPELLE AN

INNENMINISTER
His Royal Highness
Prince Naif bin 'Abdul 'Aziz Al-Saud
Second Deputy Prime Minister and Minister of the Interior
P.O. Box 2933, Airport Road,
Riad 11134, SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Royal Highness)
Fax: (00 966) 1 403 3125 (bitte mehrmals versuchen)

KÖNIG
His Majesty
King 'Abdullah Bin 'Abdul 'Aziz Al-Saud
The Custodian of the two Holy Mosques
Office of His Majesty the King
Royal Court, Riad, SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Majesty)
Fax: (00 966) 1 403 3125 (über das Innenministerium, bitte mehrmals versuchen)


KOPIEN AN

VORSITZENDER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSKOMMISSION
Mr Bandar Mohammed 'Abdullah Al-Aiban
President, Human Rights Commission
P.O. Box 58889
King Fahad Road, Building No. 373
Riad 11515, SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Dear Dr al-Aiban)
E-Mail: hrc@haq-ksa.org

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS SAUDI-ARABIEN
S.E. Herrn
Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-8892 5179 oder 030-8892 5176
E-Mail: saudi-embassy-berlin@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 19. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE SEND APPEALS IMMEDIATELY

- Urging the authorities to ensure that Muhammad al-Wad'ani is protected from torture and other ill-treatment, and given regular access to his family, lawyers and any medical attention he may require;

- Noting that if he is being held solely for peacefully exercising his right to freedom of expression and association, Amnesty International would consider him to be a prisoner of conscience and call for his immediate and unconditional release;

- Asking for details of any charges he faces to be made public and calling on the authorities to ensure that any legal proceedings against him conforms to international fair trial standards.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN Fortsetzung

Oftmals werden Menschen so lange von der Außenwelt abgeschnitten in Haft gehalten, bis sie schließlich ein Geständnis ablegen. Der Zeitraum kann Monate, wenn nicht sogar Jahre betragen. Saudi-Arabien ist Vertragsstaat des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das die Verwendung durch Folter oder Misshandlung herbeigeführter Aussagen als Beweismittel verbietet. In Artikel 15 heißt es wörtlich: "Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde".

Die große Mehrheit der saudischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime und das offizielle Glaubensbekenntnis des Staates ist die islamische Wahhabi-Doktrin. Der schiitische Islam darf in Saudi-Arabien nicht öffentlich praktiziert werden; auch bei nicht-öffentlicher Ausübung ihres Glaubens droht den Angehörigen strafrechtliche Verfolgung. Der Staat betrachtet den schiitischen Islam mit der Wahhabi-Lehre als unvereinbar und schränkt das Recht auf dessen Ausübung ein. Angehörige des schiitischen Islams drohen willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen. Die Angst vor Strafverfolgung hindert viele an der freien Ausübung ihres Glaubens. Während der Inhaftierung findet keine Anklageerhebung statt; zudem drohen den Gefangenen Folter und andere Misshandlungen.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-062/2011, AI-Index: MDE 23/007/2011, Datum: 8. März 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011