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AKTION/607: Urgent Action - Iran - Kurde unmittelbar von Hinrichtung bedroht


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-095/2011, AI-Index: MDE 13/035/2011, Datum: 30. März 2011 - jf

IRAN
Kurde unmittelbar von Hinrichtung bedroht


Herr SHERKO MOAREFI

Der Kurde Sherko Moarefi soll am 1. Mai in der Provinz Kurdistan im Nordwesten des Iran hingerichtet werden. Sherko Moarefi war wegen seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft in einer verbotenen kurdischen Oppositionsgruppe der "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) für schuldig befunden worden.

Sherko Moarefi war im Oktober 2008 festgenommen und wegen "Handeln gegen die staatliche Sicherheit" und der "Feindschaft zu Gott" zum Tode verurteilt worden. Im Oktober 2009 drohte Sherko Moarefi und zwei weiteren Kurden, Habibollah Latifi und Ehsan Fattahian, die baldige Hinrichtung, nachdem ein Richter in Sanandadsch - der Provinzhauptstadt Kurdistans - ein entsprechendes Urteil ausgesprochen hatte. Hierbei handelte es sich vermutlich um einen Akt der Vergeltung als Reaktion auf die Welle von Attentaten und Attentatsversuchen auf iranische RegierungsbeamtInnen, die sich im September 2009 ereignete. Die Behörden machten damals die verbotene bewaffnete kurdische "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan" (PJAK) für die Attentate verantwortlich. Die PJAK stritt jedoch jede Beteiligung ab. Ehsan Fattahian wurde am 11. November 2009 hingerichtet.

Das Todesurteil gegen Sherko Moarefi wurde zunächst von einem Berufungsgericht und anschließend auch von dem Obersten Gerichtshof des Iran bestätigt. Sein Pflichtverteidiger erklärte am 18. Oktober 2009 in einem Interview, dass das Gnadengesuch für seinen Mandanten von der Amnestie- und Begnadigungskommission abgelehnt worden sei. Sein Antrag auf gerichtliche Überprüfung sei ebenfalls abgelehnt worden.

Die Hinrichtung von Habibollah Latifi, ein Wirtschaftsingenieursstudent an der Ilam-Universität im Westen des Landes, war ursprünglich für den 26. Dezember 2010 anberaumt worden. Aufgrund internationalen Drucks durch Amnesty International und andere Organisationen fand die Hinrichtung allerdings nicht statt. Habibollah Latifi droht zwar nach wie vor die Hinrichtung; bislang ist nach vorliegenden Informationen jedoch kein neuer Termin für die Exekution festgelegt worden (siehe UA-271/2009 und Folge-UAs). Nach vorliegenden Erkenntnissen befinden sich derzeit noch 14 weitere kurdische politische Gefangene im Todestrakt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Kurden sind eine der zahlreichen ethnischen Minderheiten im Iran und leben vor allem im Westen und Nordwesten des Landes, in der Provinz Kurdistan und in Nachbarprovinzen, die an kurdische Gebiete in der Türkei und im Irak grenzen. Sie sind religiöser, wirtschaftlicher und kultureller Diskriminierung ausgesetzt (siehe Human rights abuses against the Kurdish minority
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE13/088/2008/en).
Daher stehen kurdische Organisationen wie die "Demokratische Partei Kurdistan-Iran" (KDPI) und die marxistische Gruppe Komala seit Jahren in bewaffneter Opposition zur Islamischen Republik Iran. Farhad Taram, ein mutmaßliches Mitglied der KDPI, wurde kurdischen Quellen zufolge heimlich im Februar 2011 exekutiert. Die 2004 gegründete "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan" (PJAK) verübte anfänglich Anschläge gegen iranische Sicherheitskräfte, hat aber 2009 einen Waffenstillstand verkündet. Es kommt allerdings nach wie vor zu bewaffneten Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, die die PJAK als "Selbstverteidigung" bezeichnet. Hossein Khezri, ein Mitglied der kurdischen Minderheit im Iran, ist vermutlich am 15. Januar 2011 im Nordwesten des Landes hingerichtet worden. Er war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der PJAK der "Feindschaft zu Gott" für schuldig befunden worden. Die iranischen Behörden haben verlauten lassen, dass am 15. Januar 2011 ein PJAK-Mitglied hingerichtet worden ist, den Namen der betreffenden Person jedoch nicht mitgeteilt. Am 16. Januar 2011 hat die PJAK eine Erklärung veröffentlicht, in der sie eine "angemessene Reaktion" auf die nach Meinung der Partei definitiv stattgefundene Hinrichtung von Hossein Khezri am 15. Januar ankündigt und zu einer Woche des "Widerstands" gegen den Iran aufruft. Amnesty International verurteilt ohne Einschränkung Angriffe auf Zivilpersonen, zu denen auch RichterInnen, Geistliche und lokal oder national gewählte BehördenvertreterInnen gehören, da Angriffe auf Zivilpersonen gegen grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts verstoßen. Diese Grundsätze verbieten jegliche Angriffe auf Zivilpersonen sowie willkürliche und unverhältnismäßige Angriffe. Solche Gewalttaten sind durch nichts zu rechtfertigen.

Im Iran gelten viele Vergehen als Kapitalverbrechen, unter anderem auch "Feindschaft zu Gott" (moharebeh). Gegen letzteres können vier mögliche Strafen verhängt werden, unter anderen auch die Todesstrafe. Der Anklagepunkt moharebeh wird oft bei bewaffnetem Widerstand gegen den Staat erhoben, aber auch bei anderen Verstößen gegen die nationale Sicherheit, z. B. Spionage. Mindestens 13 weitere kurdische Männer und eine Frau sollen derzeit wegen Mitgliedschaft und Mitwirkung in verbotenen kurdischen Organisationen im Todestrakt einsitzen. Zu ihnen gehören Sami Hosseini, Jamal Mohammadi, Rashid Akhkandi, Rostam Arkia, Anvar Rostami, Mostafa Salimi, Mohammad Amin Abdollahi, Ghader (oder Aziz) Mohammadzadeh, Hassan Talai, Habibollah Golparipour, Abdollah Sorouri, Loghman (oder Loqman) Moradi, Zaniar Moradi (zum Zeitpunkt seiner Festnahme erst 17 Jahre alt) sowie Zeynab Jalalian. In einigen Fällen wurden zuvor verhängte Gefängnisstrafen in Todesurteile umgewandelt.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, die für den 1. Mai 2011 anberaumte Hinrichtung gegen Sherko Moarefi auszusetzen.

- Wandeln Sie die gegen Habibollah Latifi und Sherko Moarefi sowie gegen alle weiteren kurdischen politischen Gefangenen verhängten Todesurteile unverzüglich um.

- Ich möchte betonen, dass Amnesty International das Recht und die Pflicht eines Staates anerkennt, Personen, die Straftaten begangen haben, entsprechend der internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren vor Gericht zu stellen. Die Todesstrafe als schlimmste Form der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bestrafung lehnt die Organisation jedoch ausnahmslos ab.


APPELLE AN

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street - End of Shahid Keshvar Doust Street, Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: info_leader@leader.ir

Twitter: @khamenei_ir (bitte #Iran in die Nachricht einfügen.
Die Nachricht darf nicht länger als 140 Zeichen sein, inklusive Leerzeichen und Interpunktion)

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
[C/o] Public Relations Office, Number 4, 2 Azizi Street
Vali Asr Ave., above Pasteur Street intersection
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: bia.judi@yahoo.com (Betreff: FAO Ayatollah Sadegh Larijani)


KOPIEN AN

LEITER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSBEHÖRDE
Mohammad Javad Larijani
High Council for Human Rights
[C/o] Office of the Head of the Judiciary, Pasteur St., Vali Asr Ave.
south of Serah-e Jomhouri, Tehran 1316814737
IRAN
(korrekte Anrede: Dear Sir)
E-Mail: info@humanrights-iran.ir
(Betreff: FAO Mohammad Javad Larijani)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67, 14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de oder info@iranbotschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. Mai 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urging the Iranian authorities to halt the execution of Sherko Moarefi, scheduled for 1 May.

- Calling on them to commute the death sentences of Sherko Moarefi, Habibollah Latifi and all other Kurdish political prisoners.

- Stating that Amnesty International recognizes the right and responsibility of governments to bring to justice, in conformity with international standards of fair trial, those suspected of criminal offences, but opposes the death penalty as the ultimate cruel, inhuman and degrading punishment.


WEITERE HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Im Dezember 2010 und im Januar 2011 war ein alarmierender Anstieg der Hinrichtungen im Iran zu verzeichnen, mehrheitlich wegen illegalen Drogenhandels und -besitzes. Die Zahl der offiziell angekündigten Hinrichtungen ging im Februar und März zurück, möglicherweise angesichts einer Resolution des UN-Menschenrechtsrates, in der die Entsendung eines Sonderberichterstatters für Menschenrechte in den Iran gefordert wurde. Iranische MenschenrechtsverteidigerInnen befürchten allerdings, dass nach Ende der Nouruz-Ferien (Neujahr) Anfang April wieder mehr Hinrichtungen vollstreckt werden könnten. Berichten zufolge wurden Dutzende Gefangene des Qezel Hesar-Gefängnisses, darunter auch Insassen der Todeszellen, ins Evin-Gefängnis überstellt. Mitte März kam es im Qezel Hesar-Gefängnis zu einem Aufstand; offizielle Medien sprachen von etwa 14 Toten. Wie es hieß, sollen die Aufstände unter anderem durch Versuche der Behörden ausgelöst worden sein, Insassen des Todestraktes hinrichten zu lassen
(weitere Informationen finden Sie auf Englisch unter Deaths in Iranian prison must be investigated,
http://www.amnesty.org/en/news-and-updates/deaths-iranian-prison-must-be-investigated-2011-03-17).
Im Jahr 2010 gaben die iranischen Behörden in 252 Fällen Hinrichtungen bekannt. Unter anderem wurden fünf Frauen und ein jugendlicher Straftäter exekutiert. Amnesty International hat glaubwürdige Angaben über 300 weitere Exekutionen erhalten, die nicht offiziell bestätigt wurden. Die meisten der hingerichteten Personen waren Insassen des Vakilabad-Gefängnisses, die wegen mutmaßlicher Drogendelikte verurteilt worden waren.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-095/2011, AI-Index: MDE 13/035/2011, Datum: 30. März 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2011