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AKTION/619: Urgent Action - Libyen - Vergewaltigungsvorwürfe - Opfer festgenommen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-098/2011, AI-Index: MDE 19/013/2011, Datum: 1. April 2011 - ar

LIBYEN
Vergewaltigungsvorwürfe - Opfer festgenommen


Frau EMAN (IMAN) AL-OBAIDI

Die Libyerin Eman al-Obaidi befindet sich in Haft, größtenteils ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie hatte mehrere Angehörige von Muammar Gaddafis Sicherheitskräften der Vergewaltigung beschuldigt. Die Frau ist in großer Gefahr, gefoltert zu werden. Die Sicherheitskräfte, gegen die Eman al-Obaidi den Vorwurf der Vergewaltigung erhoben hat, sollen die Frau ihrerseits wegen Verleumdung angeklagt haben. Eman al-Obaidi sagte am 26. März im Rixos-Hotel in Tripolis im Gespräch mit ausländischen Journalist_innen, dass Angehörige von Muammar Gaddafis Sicherheitskräften sie festgehalten und vergewaltigt hätten. Kurz darauf wurde das Gespräch abrupt unterbochen und Eman al-Obaidi von libyschen Sicherheitskräften in Zivil gewaltsam aus dem Hotel gezerrt. Als man sie in einen Wagen ohne Nummernschild stieß, rief sie: "Schaut, was sie mir angetan haben!" und zeigte auf Blutergüsse und Prellungen an ihrem Körper. Sie befindet sich seitdem an einem unbekannten Ort. Amnesty International ist in großer Sorge um ihre Sicherheit. Sie könnte möglicherweise unter Folter dazu gezwungen werden, die Anschuldigungen zurückzunehmen.

Die libyschen Behörden haben bisher keinen Grund und keine rechtliche Grundlage für Eman al-Obaidis Inhaftierung genannt. Die von ihr erhobenen Vorwürfe der Vergewaltigung, Folter und Misshandlung wurden nicht untersucht. Stattdessen versuchen die Behörden, Eman al-Obaidi in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen, indem sie behaupten, dass sie an psychischen Problemen leide und als Prostituierte arbeite. Aussagen von Regierungsvertreter_innen zufolge werden die von Eman al-Obaidi erhobenen Vergewaltigungsvorwürfe deshalb nicht untersucht, weil sie sich geweigert haben soll, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen.

Laut Aussage der Behörden weisen die beschuldigten Sicherheitsbeamten die Anschuldigungen von sich und strengen eine Klage wegen Verleumdung gegen Eman al-Obaidi an. Derzeit ist noch unklar, ob es sich hierbei um einen Zivilprozess oder um einen Strafprozess mit Unterstützung der Regierung handeln wird.

Eman al-Obaidis Vater hat die Behauptungen der Behörden dementiert, denen zufolge seine Tochter unter psychischen Problemen leiden soll. Seinen Aussagen nach verfügt Eman al-Obaidi über einen juristischen Abschluss und arbeitete gerade an ihrem Hochschulabschluss der Universität Tripolis. Ihre Mutter sagte: "Ich schäme mich nicht für meine Tochter. Ich bin stolz auf das, was sie getan hat, weil sie damit eine Schranke durchbrochen hat, die zuvor noch keiner durchbrechen konnte [.] Meine Tochter wird von Muammar Gaddafi und seinen Anhängern als Geisel gehalten." Dem Vernehmen nach fürchten sich Frauen in Libyen davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da dies für sie als große Schande gelten würde. Eman al-Obaidis Mutter gab an, dass ihr Beamt_innen in einem Anruf anboten, ihre Tochter sofort freizulassen und die Familie zu belohnen, wenn Eman al-Obaidi die Vergewaltigungsvorwürfe fallen ließe. In einem direkten Gespräch mit ihrer Tochter sagte diese ihr jedoch, dass sie die Anschuldigungen nicht zurücknehmen werde.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 27. März sendete der staatliche Fernsehsender al-Libiya TV Stimmenaufzeichnungen und Aufnahmen von Eman al-Obaidi, wie sie - laut Moderator - mit einer Gefängniswärterin und ihrer Schwester sprach, die sie in Haft in der Abteilung für Sicherheit besuchte. Ihre Schwester drängte sie in den Aufnahmen dazu, einer Untersuchung durch einen staatlichen Arzt zuzustimmen. Unklar ist, ob ihre Schwester diese Aussage freiwillig machte oder dazu gewungen wurde. Seit Muammar Gaddafi vor über 40 Jahren an die Macht kam, werden in Libyen systematisch schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass die Verantwortlichen jemals dafür vor Gericht gestellt werden. Zu solchen Menschenrechtsverletzungen zählen willkürliche Festnahmen und Inhaftierung ohne Anklage, Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen, unfaire Gerichtsverfahren und außergerichtliche Hinrichtungen. Dissens, einschließlich der friedlichen Äußerung von Kritik und Forderungen nach Veränderung, wird von den libyschen Behörden nicht toleriert. Personen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen möchten, werden routinemäßig inhaftiert. Frauen werden sowohl rechtlich als auch in der Praxis diskriminiert. Weibliche Opfer von Vergewaltigung oder anderen Sexualverbrechen sollen sich in Libyen allgemein dagegen sträuben, diese Verbrechen anzuzeigen - zum einen, weil die Gefahr besteht, dass sie des Ehebruchs beschuldigt werden (ein "Verbrechen", das mit bis zu fünf Jahren Haft oder Prügelstrafen geahndet werden kann), und zum anderen, weil es als Schande gilt und als Kränkung der Familienehre empfunden wird, Opfer einer solchen Tat geworden zu sein.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, Eman al-Obaidi sofort und bedingungslos freizulassen und ihre Sicherheit nachhaltig zu garantieren.

- Leiten Sie bitte umgehend eine umfassende, gründliche und unabhängige Untersuchung der von Eman al-Obaidi gegen Angehörige der Sicherheitskräfte erhobenen Vergewaltigungs-, Folter- und Misshandlungsvorwürfe ein und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.


APPELLE AN

REVOLUTIONSFÜHRER
Colonel Mu'ammar Al-Gaddafi
Office of the Leader of the Revolution
Tripoli
LIBYEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)

VORSITZENDER DER "GADDAFI-STIFTUNG FÜR ENTWICKLUNG"
Executive Director
El Fatah Tower, 5th Floor B No.57
PO Box 1101
Tripoli
LIBYEN
(korrekte Anrede: Dear Sir)
Fax: (00 218) 21 335 0263
E-Mail: media@gdf.org.ly


KOPIEN AN

HILFSORGANISATION
Omar Almukhtar Street
Tripoli - Libya
(korrekte Anrede: Dear Madam)
Fax: (00 218) 21 334 3329/7/6 (bitte mehrmals versuchen)
E-Mail: info@waatasemu.org

VOLKSBÜRO DER SOZIALISTISCHEN LIBYSCH-ARABISCHEN VOLKS-DSCHAMAHIRIJA
S.E. Herrn Jamal Ali Omar El-Baraq
Podbielskiallee 42, 14195 Berlin
Fax: 030-2005 9699
E-Mail: info@libysche-botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. Mai 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on the authorities to immediately and unconditionally release Eman al-Obaidi, to guarantee her safety and allow her safe passage to her.

- Urging the Libyan authorities to conduct an immediate, full and thorough independent investigation into her alleged rape and other torture and ill-treatment by members of the Libyan security forces and to bring those responsible to justice.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-098/2011, AI-Index: MDE 19/013/2011, Datum: 1. April 2011 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2011