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AKTION/636: Urgent Action - Syrien - Berichte über Folter an inhaftierten Protestierenden


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-087/2011-2, AI-Index: MDE 24/016/2011, Datum: 21. April 2011 - gs

Syrien Berichte über Folter an inhaftierten Protestierenden

Weitere Informationen zu UA-087/2011 (MDE 24/013/2011, 23. März 2011, und MDE 24/014/2011, 30. März 2011)


ZAHLREICHE FESTGENOMMENE MÄNNER, FRAUEN UND KINDER

Darunter weiter in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt:
Herr BARA'AH KALZIYEH
Herr MOHAMMED MOUNIR AL-FAQIR
Herr MOHAMMED DARWICH
Herr USAMA QASHOU'
Herr IBRAHIM QASHOU'

Nun auch in Haft:
MOHAMMED ZAID MASTOU, Journalist
KHALED SID MOHAND, Journalist
AHMED MA'TOUQ, politischer Aktivist
MOHAMMED DIA'A AL-DIN DAGHMASH, Menschenrechtsverteidiger
MAHMOUD 'ISSA , Menschenrechtsverteidiger

52 Menschen, die in Syrien im Zusammenhang mit den anhaltenden Protesten festgenommen worden waren, sind inzwischen wieder freigelassen worden. Gegen sechs von ihnen ist Anklage erhoben worden. Vier weitere ProtestlerInnen befinden sich nach wie vor in Haft, haben allerdings Kontakt zur Außenwelt aufnehmen dürfen. Fünf der inhaftierten Demonstrierenden haben sich hingegen bislang noch nicht mit der Außenwelt in Verbindung setzen dürfen. Über den Verbleib und den rechtlichen Status von 76 anderen festgenommenen Protestierenden herrscht noch Ungewissheit. Amnesty International geht davon aus, dass sich mehrere hundert Menschen wegen ihrer Teilnahme an Protestveranstaltungen an unbekannten Orten in ganz Syrien in Haft befinden. Gleichzeitig gehen Berichte über Folter ein. Präsident Bashar al-Assad sicherte am 15. April ein zweites Mal zu, die im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten festgenommenen Menschen aus der Haft zu entlassen. Von der Freilassung ausgenommen seien lediglich Personen, denen "Straftaten gegen die Nation und die Bürger" zur Last gelegt werden. Tatsächlich befinden sich aber anscheinend noch immer mehrere hundert ProtestteilnehmerInnen in Haft. Es besteht die Gefahr, dass sie Folter oder Misshandlung erleiden.

In jüngster Zeit wurden neben anderen folgende Personen verhaftet: der Journalist und syrisch-norwegische Staatsbürger Mohammed Zaid Mastou, den die Sicherheitskräfte am 6. April offenbar unter Anwendung von Gewalt in einem Internetcafé festnahmen; der freiberuflich unter anderem für die Zeitung Le Monde tätige algerische Journalist Khaled Sid Mohand, dessen Verhaftung am 9. April erfolgte; der tags darauf, am 10. April, inhaftierte politische Aktivist Ahmed Ma'touq; der Menschenrechtler Mohammed Dia'a al-Din Daghmash, den der Militärische Sicherheitsdienst am 16. April festnahm und Mahmoud 'Issa, ein weiterer Menschenrechtler, den Angehörige des politischen Sicherheitsdienstes am 19. April inhaftierten. Es besteht die Gefahr, dass die genannten Männer gefoltert oder misshandelt werden. Bei ihnen allen handelt es sich möglicherweise um gewaltlose politische Gefangene. Bara'ah Kalziyeh, Mohammed Mounir al-Faqir, Mohammed Darwich, Usama Qashou' und Ibrahim Qashou' befinden sich nach wie vor in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

In den zurückliegenden zwei Wochen haben die Proteste in Syrien zugenommen. In Städten wie Dera'a und Homs verlangen die Demonstrierenden grundlegende Reformen des politischen Systems und ein Ende der Vormachtstellung der Baath-Partei von Staatspräsident Assad. Trotz anhaltender Repression und ungeachtet des Einsatzes von Schusswaffen gegen Protestierende griffen die Demonstrationen auf alle Landesteile über und führten schließlich am 21. April zur Aufhebung des seit 48 Jahren währenden Ausnahmezustands. Die Regierung kündigte an, ein neues Gesetz zum Recht auf friedliche Protestveranstaltungen erlassen zu wollen, Einzelheiten hat sie allerdings bislang noch nicht bekannt gegeben. Derzeit hat es den Anschein, als wären die angekündigten Reformen nicht weitreichend genug und kämen zu spät, um die Proteste und die Rufe nach Veränderungen zu beenden.

Seit dem Beginn der Proteste am 15. März sollen die Sicherheitskräfte in Damaskus und anderen Orten wie Dera'a, al-Tall, al-Samamayn, Homs, Latakia, Banias und Duma mindestens 238 Menschen getötet und viele weitere verletzt haben, weil sie mit unverhältnismäßiger und zum Teil tödlicher Gewalt gegen die Demonstrierenden vorgegangen sind. Darüber hinaus haben die Sicherheitskräfte mehrere hundert Personen festgenommen und nach Auskunft von in Syrien tätigen nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen viele der Häftlinge gefoltert oder anderweitig misshandelt. Insbesondere in Dera'a, Duma und Banias, den Hochburgen der Demonstrationen, sollen derartige Übergriffe stattgefunden haben. Ein Menschenrechtsverteidiger berichtete Amnesty International, ein in Banias tätiger Krankenhausarzt habe ihm am 4. April erzählt, dass er in der Klinik 30 kurz zuvor aus der Haft entlassene Männer gesehen habe, von denen viele Rippenbrüche und Prellungen aufwiesen. Einige der Männer hätten den Vorwurf erhoben, gefoltert worden zu sein, indem man ihnen gewaltsam Stöcke in den Anus eingeführt habe.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber ausdrücken, dass sich trotz der von Präsident Assad am 25. März und erneut am 15. April erlassenen Anweisung, alle in Verbindung mit den Protesten Inhaftierten freizulassen, nach wie vor Menschen in Haft befinden.

- Bitte lassen Sie unverzüglich und bedingungslos alle gewaltlosen politischen Gefangenen frei und lassen sie alle übrigen Gefangenen entweder frei oder klagen Sie sie einer international als Straftat erkennbaren Handlung an und gewähren Sie ihnen Gerichtsverfahren, die internationalen Standards für faire Prozesse entsprechen und die Todesstrafe ausschließen.

- Stellen Sie sicher, dass die Häftlinge weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt werden. Gewähren Sie ihnen zudem umgehend Zugang zu ihren Familien, Rechtsbeiständen ihrer Wahl und, falls nötig, medizinischer Behandlung.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace, al-Rashid Street, Damascus
SYRIEN (korrekte Anrede: Your Excellency/Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410
INNENMINISTER
Major General Mohamed Ibrahim al-Sha'aar
Ministry of Interior,
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency/ Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 222 3428


KOPIEN AN

AUßENMINISTER
Walid al-Mu'allim
Ministry of Foreign Affairs
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency/Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 214 6251
BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herrn Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de oder
press@syrianembassy.de, secretary@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 2. Juni 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern about the continuing detentions despite President Assad's instructions on 25 March and 15 April that all those detained in connection with the protests are to be released.

- Calling for the immediate and unconditional release of all prisoners of conscience, and for all other detainees to be either released or brought to trial on recognizable charges and in full conformity with international fair trial standards and without recourse to the death penalty.

- Urging the Syrian authorities to ensure that all detainees are protected against torture or other ill-treatment, are granted immediate access to their families, lawyers of their choosing and any medical treatment they may need.


FORTSETZUNG HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Amnesty International ist eine Videoaufnahme übermittelt worden, die zeigt, wie am 12. April in der Ortschaft al-Baydah mehrere Männer festgenommen wurden
(siehe
http://www.youtube.com/watch?v=sjZ-kcLjeUE&feature=youtu.be&skipcontrinter=1).
Amnesty International erhielt mehrere weitere Videos, auf denen Männer und Kinder zu sehen sind, die Prellungen und anderweitige offenbar unter der Folter zugefügte Verletzungen aufweisen
(siehe
http://www.youtube.com/watch?v=cvTafrhLAik&NR=1
http://www.youtube.com/watch?v=mXLOfeLK1gk
http://img818.imageshack.us/g/814y.jpg/).

Zusätzlich zu ProtestteilnehmerInnen wurden auch BlogerInnen, RechtsanwältInnen und JournalistInnen festgenommen. In 142 Fällen der zwischen dem 8. und 28. März inhaftierten Menschen weiß Amnesty International, was mit den Protestbeteiligten geschehen ist. 57 Menschen sind in der Zeit vom 20. März bis 16. April wieder freigelassen worden, von denen sechs strafrechtlich relevanter Delikte angeklagt worden sind und mit einem Gerichtsverfahren rechnen müssen.

Zu den aus der Haft entlassenen Demonstrierenden gehören Frau Duha Hassan und der Ingenieur Mohammed Radwan, ein Mann ägyptischer und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft. Beide sind am 1. April freigelassen worden. Im April kam auch Mohammed al-Khatib frei, am 3. April der Rechtsanwalt Hussein Issa, zwei Tage später Abu Baker Ayoub Sha'ban. Am 5. beziehungsweise 6. April erhielten die unter Anklage stehenden Männer Hussein al-Labwani und Mahmoud al-Ghorani ihre Freiheit zurück, am 14. April der Blogger Ahmad Hudaifa. Abd al-Hakim Mukareb, Mohammed 'Amer al-Khalid, Mohammed Ahmed Houriyeh und Ahmed Tayseer Hamoud sitzen weiterhin im Gefängnis ein, werden jedoch nicht mehr ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Die drei Männer stehen unter Anklage. Sie erwartet ein Prozess vor einem Gericht der Militär- oder der Zivilgerichtsbarkeit. Amnesty International ermittelt derzeit noch ihren Haftort und die im Einzelnen gegen die Männer erhobenen Anklagen.

Über die in den weiteren Informationen vom 30. März genannten Rechtsanwälte Nidal al-Sheikh Hamoudeh, Suleiman Nahili und Tamer al-Jahamani liegen keine neuen Erkenntnisse vor. Möglicherweise befinden sie sich nach wie vor ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-087/2011-2, AI-Index: MDE 24/016/2011, Datum: 21. April 2011 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2011