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AKTION/972: Urgent Action - Westjordanland - Militärgericht verlängert erneut Verwaltungshaft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-127/2011-3, AI-Index: MDE 15/011/2012, Datum: 6. März 2012 - gs

Israel / besetzte palästinensische Gebiete
Militärgericht verlängert erneut Verwaltungshaft

Weitere Informationen zu UA-127/2011 (MDE 15/024/2011, 6. März 2011, MDE 15/026/2011, 2. Juni 2011, MDE 15/031/2011, 9. September 2011)


AHMAD QATAMESH, Dozent und Schriftsteller

Die gegen den palästinensischen Dozenten Ahmad Qatamesh verhängte Verwaltungshaft ist am 1. März um weitere sechs Monate verlängert worden. Ahmed Qatamesh befindet sich nunmehr seit dem 21. April 2011 ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren in Haft.

Am 1. März lief die zweite gegen Ahmad Qatamesh verhängte Verwaltungshaftanordnung aus, wurde jedoch am selben Tag ein weiteres Mal verlängert. Am 5. März fand eine Überprüfung der Anordnung durch einen Militärrichter statt, dem ein Antrag der Militärstaatsanwaltschaft vorlag, die Anordnung für rechtskräftig zu erklären. In den kommenden Tagen wird mit einer Entscheidung im Sinne der Militärstaatsanwaltschaft gerechnet.

Ahmad Qatamesh und andere im Ofer-Gefängnis Gefangene, die im von Israel besetzten Westjordanland in Verwaltungshaft gehalten werden, haben erklärt, dass sie die Rechtmäßigkeit der Militärgerichte wie auch der Verfahren bei der Verhängung von Verwaltungshaft nicht anzuerkennen. Aus diesem Grunde haben sie ihre Teilname an den Gerichtsverhandlungen verweigert. Da die Überprüfung von Verwaltungshaftanordnungen üblicherweise im Beisein der Gefangenen erfolgt, hat die Staatsanwaltschaft darauf bestanden, dass Ahmad Qatamesh zum Verhandlungstermin am 5. März im Gerichtssaal anwesend ist. Der Palästinenser bekräftigte dort seine ablehnende Haltung gegenüber dem Militärgerichtsverfahren und kehrte anschließend unverzüglich in seine Zelle zurück.

Nach Auskunft seiner Ehefrau und seines Rechtsanwalts ist Ahmad Qatamesh lediglich zehn Minuten lang von Vertretern des Israelischen Sicherheitsdienstes (Israel Security Agency - ISA) vernommen worden, die ihn der Mitgliedschaft in der Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine - PFLP) beschuldigten. Bei der PFLP handelt es sich um den bewaffneten Flügel einer Partei der Palästinenser aus dem linken politischen Spektrum. Ahmad Qatamesh hat die PFLP in den 1990er Jahren politisch und intellektuell unterstützt, ist aber nach eigenen Angaben seit 13 Jahren nicht mehr für sie aktiv. Nach Kenntnis von Amnesty International hat er sich niemals der PFLP nahe stehenden Gruppierungen angeschlossen oder Gewalt befürwortet. In jüngerer Zeit war Ahmad Qatamesh vielmehr bestrebt, eine politische Beilegung des von ihm als "Alptraum" bezeichneten gewalttätigen Konflikts zwischen den Israelis und Palästinensern herbeizuführen.

Nach Einschätzung von Amnesty International liegt die Festnahme und die Fortdauer der Verwaltungshaft von Ahmed Qatamesh darin begründet, dass er in seinen Schriften und im Rahmen seiner Lehrtätigkeit politisch Position bezogen hat und Studierende wie auch AktivistInnen des linken Spektrums, von denen einige möglicherweise der PFLP nahe stehen, in ihm einen Mentor sehen. Die Inhaftierung des Dozenten könnte somit Teil einer Strategie der israelischen Behörden sein, Druck auf die PFLP auszuüben. Amnesty International betrachtet Ahmed Qatamesh als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Akademiker und Schriftsteller Ahmad Qatamesh hat in der Vergangenheit sowohl an den israelischen als auch den palästinensischen Behörden Kritik geübt. Nach seiner Festnahme durch den Israelischen Sicherheitsdienst im Jahr 1992 hatte ein Richter nach mehr als einem Jahr Haft die Freilassung von Ahmad Qatamesh gegen Kaution angeordnet, woraufhin gegen ihn Verwaltungshaft erlassen worden war. Ahmad Qatamesh berichtete, er sei während der Verhöre gefoltert worden. Später verfasste er ein Buch über seine Erfahrungen mit dem Titel I shall not wear your tarboosh (Ich werde mir Euren Hut nicht aufsetzen). Die gegen Ahmad Qatamesh verhängte Verwaltungshaft wurde mehrfach verlängert, bis er schließlich am 15. April 1998 seine Freiheit zurückerhielt. Amnesty International hatte sich in all den Jahren gegen die anhaltende Inhaftierung von Ahmad Qatamesh ohne Anklageerhebung eingesetzt.

Die Festnahme von Ahmed Qatamesh fand am 21. April 2011 gegen 14.00 Uhr in einer Wohnung in al-Bireh nahe Ramallah im besetzten Westjordanland statt. Die Sicherheitskräfte hatten ihn im Haus seiner Familie verhaften wollen, ihn dort aber nicht angetroffen. Daraufhin hatten sie auf der Suche nach Ahmed Qatamesh die Tür eines Nachbarhauses aufgebrochen und seine Tochter nach deren Aussage mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihren Vater anzurufen. Die Ehefrau von Ahmad Qatamesh berichtete Amnesty International, ihr Mann habe den Sicherheitskräften in dem Telefonat beschrieben, wie das Haus zu finden sei, in dem er sich zu dem Zeitpunkt aufhielt. Die Ehefrau gab ferner an, die Sicherheitskräfte hätten weder die Wohnung der Familie noch das Haus durchsucht, in dem ihr Mann festgenommen wurde.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass Ahmad Qatamesh aufgrund der friedlichen Äußerung seiner politischen Ansichten in Haft gehalten wird. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, betrachtet Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.

- Ich fordere Sie höflich dazu auf, von dem Gebrauch der Verwaltungshaft abzusehen.


APPELLE AN

MILITÄRSTAATSANWALT
Major General Avihai Mandelblit
6 David Elazar Street, Hakirya
Tel Aviv, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Judge Advocate General /Sehr geehrter Herr Militärstaatsanwalt)
Fax: (00 972) 3 569 4526
E-Mail: avimn@idf.gov.il

IDF-BEFEHLSHABER IN DER WESTBANK
Major General Avi Mizrahi
GOC Central Command
Military Post 01149, Battalion 877
Israel Defense Forces, ISRAEL (korrekte Anrede: Dear Major-General Avi Mizrahi / Sehr geehrter Herr Generalmajor)
Fax: (00 972) 2 530 5724

STELLVERTRETENDER MINISTERPRÄSIDENT UND VERTEIDIGUNGSMINISTER
Ehud Barak
Ministry of Defence
37 Kaplan Street, Hakirya
Tel Aviv 61909, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 972) 3 691 6940 und
(00 972) 3 691 7915


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E. Herrn Yoram Ben Zeev
Auguste-Viktoria-Straße 74-76, 14193 Berlin
Fax: (030) 8904 5555
E-Mail: botschaft@israel.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. April 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Ahmad Qatamesh is a prisoner of conscience, detained solely for the peaceful exercise of his right to freedom of expression, and calling for his immediate and unconditional release.

- Calling on the authorities to end the use of administrative detention.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Bevor am 3. Mai 2011 die für einen Zeitraum von sechs Monaten lautende Verwaltungshaftanordnung gegen Ahmed Qatamesh ausgestellt wurde, hatte ein Mitarbeiter des Militärgerichts dem Rechtsanwalt des Palästinensers mitgeteilt, sein Mandant werde am Nachmittag des 3. Mai um 17.00 Uhr frei gelassen. Auch ein Vollzugsbeamter des Gefängnisses hatte diese Uhrzeit als Zeitpunkt der Freilassung von Ahmad Qatamesh bestätigt. Tatsächlich scheint die Anweisung zur Fortdauer der Haft einem anderen Gefangenen gegolten zu haben, da der Name von Ahmad Qatamesh auf einem entsprechenden Dokument an einer Stelle geschrieben stand, an der zunächst ein anderer Name eingetragen, aber mit Korrekturflüssigkeit wieder entfernt worden war. Zudem war in dem Dokument von einer "Verlängerung" der Haft die Rede, während Ahmad Qatamesh - abgesehen von einer Haftzeit in den 1990er Jahren - erstmals in Gewahrsam einsaß. Seinem Rechtsanwalt wurde später mitgeteilt, der Sicherheitsdienst ISA habe die Inhaftierung von Ahmed Qatamesh auf der Grundlage geheimer "Beweise" angeordnet, denen zufolge er der Volksfront für die Befreiung Palästinas angehört. Ahmad Qatamesh hat stets bestritten, Mitglied der PFLP zu sein. Wie in Verwaltungshaftverfahren üblich erhielten weder Ahmad Qatamesh noch sein Verteidiger Einblick in die "Beweisunterlagen" noch hatten sie das Recht, die Beweislage anzufechten.

Am 19. Mai bestätigte die mit dem Fall befasste Militärrichterin die Haftanordnung gegen Ahmad Qatamesh, verkürzte jedoch die Haftdauer auf vier Monate. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass die ursprüngliche Haftanordnung vom 3. Mai fehlerhaft gewesen war. Sie kam zu dem Schluss, dass die fragliche Anordnung einem anderen Gefangenen gegolten hat und umgeschrieben worden war, um sie gegen Ahmad Qatamesh einsetzen zu können. Gleichwohl entschied die Richterin, das geheime Beweismaterial des ISA rechtfertige aus Sicherheitsgründen die Fortdauer der Haft von Ahmed Qatamesh. Am 2. September 2011 erging gegen ihn eine zweite für sechs Monate ausgestellte Verwaltungshaftanordnung, die später von einem Militärrichter bestätigt wurde. Ahmed Qatamesh legte gegen die zweite Anordnung Widerspruch ein, der aber von einem militärischen Berufungsgericht abgewiesen wurde.

Die Regelungen zur Verwaltungshaft ermöglichen es den israelischen Behörden, Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren zunächst bis zu sechs Monate lang in Gefangenschaft zu halten. Nach Ablauf der sechs Monate können beliebig oft neue Verwaltungshaftanordnungen erlassen werden. Im von Israel besetzten Westjordanland sind die dortigen MilitärbefehlshaberInnen auf der Grundlage der Militärverordnung 1651 befugt, gegen PalästinenserInnen Verwaltungshaft zu verhängen. Gegen Verwaltungshäftlinge werden weder strafrechtlich relevante Anklagen erhoben noch Gerichtsverfahren eingeleitet. Sie werden vielmehr auf der Grundlage "geheimer Beweise" in Gewahrsam gehalten, die offen zu legen die israelischen Behörden unter Verweis auf Sicherheitsbelange ablehnen. Auch vor den Gefangenen selbst und ihren AnwältInnen halten die Behörden derartige "Beweise" unter Verschluss, was eine Anfechtung der Haftgründe unmöglich macht.

Am 31. Januar 2012 befanden sich nach Angaben der israelischen Strafvollzugsbehörden 309 PalästinenserInnen in Verwaltungshaft, unter ihnen 21 Abgeordnete des Parlaments der PalästinenserInnen.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-127/2011-3, AI-Index: MDE 15/011/2012, Datum: 6. März 2012 - gs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012