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ASIEN/219: Indonesien - "Homosexualität ist ein Menschenrecht" (ai journal)


amnesty journal 01/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Homosexualität ist ein Menschenrecht"

Ein Gespräch mit Kamilia Manaf, Gründerin des Frauen-Regenbogen-Instituts in Jakarta und Imelda Taurina Mandala, Mitarbeiterin des LesBiSchwulen Q-Filmfestivals über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) in Indonesien.


FRAGE: Wie bewerten Sie die Situation von LGBT in Indonesien?

KAMILIA: Es gibt kein Gesetz, das Homosexualität ausdrücklich verbietet. Allerdings werden LGBT-Themen in der indonesischen Gesellschaft weitgehend tabuisiert. Wer sein Coming-out als Schwuler, Lesbe oder "queere" Person erlebt, ist in der Regel von Diskriminierungen betroffen - in Form verbaler oder körperlicher Gewalt.

FRAGE: Seit wann gibt es eine lesbische und schwule
Emanzipationsbewegung in Indonesien?

KAMILIA: Bereits in den frühen Achtziger Jahren formierte sich eine Schwulenbewegung. Eine lesbische Bewegung gibt es seit 1995. Aber wie in vielen anderen Ländern ist die schwule Community größer und sichtbarer.

FRAGE: Woran liegt das?

IMELDA: Lesbische Frauen treffen sich meist nur an privaten Orten. Viele haben Angst gesehen und mit der Szene in Verbindung gebracht zu werden.

KAMILIA: Ihre mangelnde Präsenz hängt vor allem mit den patriarchalen Strukturen zusammen, die in der indonesischen Gesellschaft besonders ausgeprägt sind. Männer, und damit auch Schwule, befinden sich in einer privilegierteren Ausgangslage. Das fängt schon mit der Erziehung an: Jungen lernen, offensiv und aggressiv zu sein, Mädchen sollen sich höflich und zurückhaltend verhalten.

FRAGE: Junge Lesben sind die Zielgruppe des Frauen-Regenbogen-Instituts. Mit welchen Problemen haben diese Frauen zu kämpfen?

KAMILIA: Häufig erleben sie Gewalt - sowohl im Privaten als auch in der Schule oder an der Universität. In einzelnen Fällen hat man versucht, Lesben durch eine psychiatrische Behandlung zu "heilen". Hin und wieder reagiert die Familie auf das Coming-out auch mit Vergewaltigungen durch männliche Verwandte. Dadurch soll das Mädchen heterosexuell werden. Viele junge Lesben werden aus dem Elternhaus verstoßen - und als Obdachlose sind sie dann häufig sexueller Gewalt ausgesetzt.

FRAGE: Wie gehen die Lesben mit den Problemen im familiären Umfeld um?

KAMILIA: Der Familie kommt in der indonesischen Gesellschaft eine zentrale Bedeutung zu. Viele Lesben haben den Wunsch, ihre Eltern glücklich zu machen und Kinder zu bekommen. So entscheiden sich viele freiwillig für eine Heirat. Unter Besucherinnen unserer Einrichtung ist das ein viel diskutiertes Thema: Soll ich einen Mann heiraten oder nicht? Lesben, die mit einem Mann verheiratet sind, leben ihre Homosexualität höchstens heimlich.

IMELDA: Viele Indonesier denken auch heute noch, dass Sex allein der Fortpflanzung dient. Für viele ist es eine völlig neue Idee, dass es auch ein Leben jenseits der heterosexuellen Familie gibt.

FRAGE: Welche Rolle spielt die Religion bei der Diskriminierung von LGBT?

KAMILIA: Religion und LGBT werden als Widersprüche aufgefasst. Das führt dazu, dass viele LGBTs ihre sexuelle Identität für eine Sünde halten. Sie denken zum Beispiel, sie müssten heiraten.

IMELDA: Die meisten Indonesier sind muslimisch. Indonesien ist das Land mit den meisten Muslimen weltweit, und konservativ-islamistische Strömungen sind sehr einflussreich.

KAMILIA: 2002 griffen islamische Fundamentalisten LGBT-Aktivisten auf einer HIV/Aids-Konferenz in der Nähe von Yogjakarta an. Dieser brutale Angriff ist bis heute ein Trauma für die LGBT-Bewegung. Und im Januar 2007 schlugen mehrere Männer in der Provinz Aceh einen Schwulen im Namen des Islam zusammen. Auf der Polizeistation wurde das Opfer erneut misshandelt.

IMELDA: Trotzdem gibt es auch liberale muslimische Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Und fundamentalistische Tendenzen gibt es in Indonesien nicht nur im Islam, sondern auch in anderen Religionen. Auch viele Christen sind homophob eingestellt.

FRAGE: Haben sich die fundamentalistischen Strömungen erst in den letzten Jahren entwickelt?

KAMILIA: Sie sind nicht neu, haben aber in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. Die indonesische Regierung verfolgt derzeit ein Gesetzesvorhaben, das Pornographie verbieten soll. Betroffen wären nicht nur Darstellungen von Homo- und Heterosexualität in Film- und Fernsehsendungen, auch Küsse und Umarmungen in der Öffentlichkeit sollen dem Gesetz zufolge kriminalisiert werden. Die Diskussionen zeigen aber auch, wie vielfältig und kontrovers die Meinungen in der indonesischen Gesellschaft sind: Seit einem Jahr wird der Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit heiß diskutiert.

FRAGE: Welche Zukunftspläne hat das Frauen-Regenbogen-Institut?

KAMILIA: Wir wollen vor allem auf unserer bisherigen Arbeit aufbauen: Frauen soll bewusst werden, dass sie ein Recht auf eine selbstbestimmte sexuelle Identität haben. Sie haben ein Recht, ihre sexuelle Orientierung zu leben, ohne dafür diskriminiert zu werden. Zu viele LGBT denken, dass die Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind, gerechtfertigt sind. Außerdem werden wir mit einer Kampagne die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass Homosexualität ein Menschenrecht ist. Homophobe Angriffe auf LGBT verletzen die Menschenrechte.

FRAGE: Kann amnesty international Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen?

KAMILIA: International tätige Organisationen wie amnesty international können uns dabei helfen, Menschenrechtsverletzungen an LGBT zu dokumentieren und die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Bislang vertuschen die staatlichen Stellen in Indonesien entsprechende Fälle und bieten den Opfern keinen Schutz.

Interview: Florian Krauß, ai-Gruppe Menschenrechte und sexuelle Identität (MERSI)


Im Jahr 2006 gründete Kamilia Manaf das "Frauen-Regenbogen-Institut" mit Sitz in Jakarta. Es dient speziell jungen lesbischen Frauen als Anlaufstelle (www.satupelangi.com). Imelda Taurina Mandala ist seit sechs Jahren Mitarbeiterin des "Q-Filmfestival" in Jakarta, das ein breites Spektrum an internationalen und indonesischen Filmen über Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) zeigt. Der Eintritt ist in der Regel gratis. Unterstützt wird das Q-Filmfestival unter anderem durch den "Teddy", den lesbisch-schwulen Filmpreis der Berlinale.
Weitere Infos unter: www.qfilmfest.org

Weitere Informationen zu MERSI unter: www.mersi-amnesty.de


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Tolerantia-Preis 2007 für Mersi

Im November ist zum zweiten Mal der deutsch-französisch-polnische "Tolerantia-Preis" verliehen worden. Er würdigt beispielhaftes Engagement zur Überwindung von Homophobie und Hassgewalt. Die diesjährigen Preisträger sind Piotr Pacewicz, polnischer Bürgerrechtler und stellvertretender Chefredakteur der liberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", das französische Theaterprojekt "Place de Mythos" sowie die deutsche Gruppe "Menschenrechte und sexuelle Identität" (MERSI) von amnesty international. Die Preisverleihung geht auf die Initiative "Maneo" zurück, ein schwules Anti-Gewalt-Projekt in Berlin.

Weitere Infos unter: www.maneo-toleranzkampagne.de


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2008, S. 24-25
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2008