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ASIEN/233: China - Mehr Blech als Gold (ai journal)


amnesty journal 08/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Mehr Blech als Gold

Beschönigen, verschweigen, verdrängen: Die Reaktion der Sportverbände auf Menschenrechtsverletzungen in China fällt enttäuschend aus. Eine vorläufige Bilanz der Amnesty-Kampagne "Gold für Menschenrechte" anlässlich der Olympischen Spiele in Peking.

Von Dirk Pleiter


Im Dezember 2007 startete die deutsche Sektion von Amnesty International die Kampagne "Gold für Menschenrechte", um im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele von Peking auf die weiterhin schlechte Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China aufmerksam zu machen. Beim Auftakt in Berlin mit dabei war der chinesische Rechtsanwalt und Menschenrechtsverteidiger Teng Biao. Menschen wie er sind den Behörden in China nach wie vor ein Dorn im Auge. Offensichtlich um ihn einzuschüchtern, wurde er im März 2008 für kurze Zeit willkürlich inhaftiert. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, auch weiterhin die Zustände in seinem Land kritisch zu kommentieren und, gemeinsam mit anderen, Vorschläge zu formulieren, wie der Konflikt zwischen der tibetischen Minderheit und der chinesischen Regierung gelöst werden könnte. Doch die Behörden in Peking reagierten mit inoffiziellen Mitteln der Repression: Als er, wie jedes Jahr, seine Zulassung als Rechtsanwalt verlängert wollte, wurde sie ihm verweigert.

Das Schicksal von Teng Biao könnte den einfachen Schluss nahe legen, dass die erhofften Veränderungen in China ausgeblieben sind und das Regime mit unveränderter Härte gegen Kritiker vorgeht. Dabei hatte die chinesische Regierung, als Peking vor sieben Jahren den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhielt, Verbesserungen bei den Menschenrechten zugesagt. Personen wie Teng Biao stehen jedoch für eine längerfristige Entwicklung, die das Land nachhaltig verändern kann. Menschen wie er fordern in China hartnäckig und immer vernehmlicher ein, dass die Regierung die Menschenrechte beachten und schützen soll.

Sie rechnen auch damit, dass die Gesetzesreformen weitergeführt werden. Dazu zählen beispielsweise die verfahrensrechtlichen Änderungen, durch die es seit Anfang 2007 schwieriger geworden ist, Todesurteile zu verhängen. Eine Maßnahme, die den Gegnern der Todesstrafe jedoch nicht weit genug geht. Zwar deuten die Untersuchungen von Amnesty International darauf hin, dass die Fälle von Todesurteilen und Hinrichtungen rückläufig sind. Dennoch sind die Zahlen weiterhin hoch: In über 1.860 Fällen wurde 2007 die Todesstrafe verhängt. Damit hat Amnesty International in China erneut mehr Todesurteile gezählt als in allen anderen Ländern der Erde zusammen. Nach Einschätzung von Teng Biao fehlt es in China nach wie vor an einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Strafe. Dies könnte sich ändern, wenn das wahre Ausmaß ihrer Anwendung in China bekannt wäre. Vielleicht sind die chinesischen Behörden deswegen bislang nicht der Forderung von Amnesty International nachgekommen, die entsprechenden Statistiken zu veröffentlichen.

Durchwachsen fällt auch die Bilanz beim Thema Pressefreiheit aus. Zwar haben die chinesischen Behörden viel Lob aus dem Ausland erhalten, als sie Journalisten überraschend offenen Zugang zu den Gebieten erlaubten, die durch das verheerende Erdbeben zerstört wurden. In anderen Fällen blieb die chinesische Regierung restriktiv, obwohl sie komplette Medienfreiheit im Vorfeld der Olympischen Spiele versprochen hatte. So bleibt der Zugang in die Regionen eingeschränkt, in denen ethnische Minderheiten leben. Nach den Unruhen im März war es ausländischen Journalisten und auch sonstigen unabhängigen Beobachtern praktisch unmöglich, in den Westen des Landes zu reisen, wo die tibetischen Minderheiten wohnen.

Amnesty International geht davon aus, dass bis Juni mehr als 1.000 Personen, die im Zusammenhang mit den Unruhen in Tibet festgenommen worden waren, weiterhin ohne Anklage oder rechtliches Verfahren inhaftiert waren. Viele von denen, die sich damals an den Protesten beteiligt hatten, wurden gefoltert und misshandelt. Einem großen Teil der Festgenommenen wurde der Zugang sowohl zu Angehörigen wie auch zu Rechtsanwälten verwehrt. Umgekehrt wurde es chinesischen Rechtsanwälten wie Teng Biao nicht erlaubt, inhaftierte Tibeter vor Gericht zu verteidigen.

Mit dem öffentlichen Angebot, sich für die gesetzlich festgeschriebenen Rechte der Tibeter einzusetzen, haben Menschenrechtsverteidiger ein wichtiges Zeichen gesetzt. Hier meldet sich eine sich langsam entwickelnde Zivilgesellschaft zu Wort, die zu kontrollieren und gegebenenfalls zum Schweigen zu bringen der chinesischen Regierung immer schwerer fallen dürfte. Noch befindet sich diese Entwicklung in einem frühen Stadium; die Protagonisten benötigen daher dringend Unterstützung und Solidarität: Mit den Kampagnen von Amnesty in Deutschland und in zahlreichen anderen Ländern haben Hunderttausende von Menschen mit dazu beigetragen, dass diese positiven Entwicklungen in China mehr Beachtung finden.

Angesichts des Muts von Menschen wie Teng Biao wirkt das Verhalten der Sportverbände und das Ausbleiben von Reaktionen auf eklatante Menschenrechtsverletzungen um so enttäuschender. Die Vertreter der Olympischen Bewegung glauben nur zu gerne den schön gefärbten Berichten und nehmen sie als angeblichen Beleg dafür, dass sich die Spiele positiv auf die Menschenrechte auswirkten. Sie hinterfragen aber kaum, ob es sich hier auch um grundlegende und insbesondere auch nachhaltige Veränderungen handelte.

So sind die Anfang 2007 veränderten Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten zwar lobenswert. Doch die neuen Bedingungen gelten nur bis Oktober 2008 und eben nur für ausländische Journalisten.

Geradezu skandalös ist das Schweigen des Internationalen Olympischen Komitees angesichts der Repressionen der chinesischen Regierung gegen Kritiker der Spiele, wie beispielsweise im Fall von Hu Jia und Yang Chulin. Die beiden Dissidenten wurden zu Haftstrafen von dreieinhalb bzw. fünf Jahren verurteilt.

Für Gold reicht die jüngste Menschenrechtsbilanz der chinesischen Regierung eindeutig nicht aus. Sie ist zu weit hinter ihren Versprechungen zurück geblieben, die sie bei der Vergabe der Spiele gemacht hat. Daher bedarf es weiterer Anstrengungen, um den Druck auf die chinesische Regierung aufrecht zu erhalten, damit sie ihren Verpflichtungen bei der Einhaltung der Menschenrechte nachkommt.


Der Autor ist China-Experte der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, August 2008, S. 45-46
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2008