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FRAGEN/010: Kampf um Meinungshoheit in Syrien - "Es ist wie ein Theaterstück" (ai journal)


amnesty journal 08/09/2012 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Es ist wie ein Theaterstück"

In Syrien kämpfen Regierung und Opposition um die Meinungshoheit in einem Konflikt, der bereits mehr als 14.000 Menschenleben gefordert hat. Ein Gespräch mit den syrischen Journalisten und Aktivisten Rula Asad und Amer Mattar.

Interview von Ralf Rebmann



Frage: Sie sind schon seit einigen Monaten in Deutschland. Wie informieren Sie sich über die Ereignisse in Syrien?

Rula Asad: Über verschiedene Nachrichtenseiten im Internet, Fernsehen und vor allem Facebook. Das Netzwerk ist für uns die primäre Informationsquelle. Wir nutzen es, um uns mit Freunden auszutauschen, die noch in Syrien sind, Ihre Informationen sind für uns im Zweifel glaubwürdiger als die der herkömmlichen Medien. Um Informationen sicher aus dem Land zu bringen, nutzen sie Proxy-Server und andere Hilfsmittel.

Frage: Es befinden sich auch ausländische Journalisten in Syrien. Wie unabhängig ist deren Berichterstattung?

Amer Mattar: In Syrien ist die Situation für ausländische Journalisten sehr kompliziert. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie sie in das Land kommen. Entweder sie schaffen es, heimlich einzureisen oder sie erhalten die offizielle Erlaubnis vom Regime. In diesem Fall können sich die Journalisten nicht frei bewegen. Das Regime sagt ihnen, was sie berichten dürfen und was nicht. Aber auch Journalisten, die illegal eingereist sind, können sich nur eingeschränkt bewegen.

Frage: Welche Rolle spielen Aktivisten und Bürgerjournalisten in Syrien?

Amer Mattar: Ohne sie wäre es nicht möglich, der Welt zu zeigen, was sich in dem Land wirklich abspielt. Professionelle Journalisten können nicht an jedem Ort in Syrien sein, wo eine Demonstration stattfindet. Zumal sie ja auch daran gehindert werden, sich frei zu bewegen. Bürgerjournalisten haben ihre Rolle in gewisser Weise übernommen. Für die syrische Revolution spielen sie eine zentrale Rolle.

Frage: Ist es möglich, innerhalb von Syrien über die Gewalt zu berichten?

Rula Asad: Von staatlicher Seite aus hört man nur, dass die nationale Armee nie die eigene Bevölkerung töten würde, sondern bewaffnete Gruppen von außerhalb dafür verantwortlich wären. Außerdem wurde verbreitet, dass die Regierung einen freien Dialog mit der Opposition beginnen und Reformen anschieben würde. Doch in Wahrheit werden Oppositionelle in Syrien verhaftet oder getötet. Es ist wie ein Theaterstück und die Bevölkerung glaubt daran.

Amer Mattar: Innerhalb Syriens ist es unmöglich, etwas Kritisches zu schreiben und das zu publizieren. Menschen werden dafür inhaftiert und getötet. Es gibt nur wenige Autoren, die es schaffen, kritische Artikel im Ausland zu veröffentlichen.

Frage: Wie viel Rückhalt haben die syrische Regierung und Bashar al-Assad in der Bevölkerung?

Amer Mattar: Viele halten ihn für den falschen Präsidenten, sind aber trotzdem für das Regime. Sie haben das Gefühl, dass es im Moment keine Alternative gibt. Außerdem glaubt ein Teil der Bevölkerung an Verschwörungstheorien, die mit Israel, den USA oder der Türkei zu tun haben und viele Gründe dafür liefern, zum Regime zu halten.

Rula Asad: Diese Personen vertrauen Medien, die ausschließlich der Regimelinie folgen, wie der Sender Al-Dunya und andere syrische Kanäle. Die Propaganda ist sehr umfassend. Es macht uns wütend, diese Art der Berichterstattung zu verfolgen. Ehrlich gesagt halte ich es für eine Zeitverschwendung, sich über syrische Staatsmedien zu informieren. Den Menschen, die zur syrischen Regierung halten, geht es vermutlich ähnlich: Sie halten im Gegenzug alle Informationen, die über Al-Jazeera, Al-Arabiya, CNN oder BBC verbreitet werden, für Lügen.


Amer Mattar, 23, und Rula Asad, 28, sind Journalisten und Aktivisten aus Damaskus. In Syrien haben sie unter anderem für die Zeitungen "Al-Hayat" und "Syria Today" gearbeitet. Im vergangenen Jahr kritisch über die Lage von Dürreflüchtlingen berichtet und sich für sie eingesetzt. Amer Mattar wurde infolgedessen zweimal inhaftiert und gefoltert. Derzeit ist er Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung im Heinrich-Böll-Haus Langenbroich. Rula Asads Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung endete im Juni. Sie lebt jetzt in den Niederlanden.

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Quelle:
amnesty journal, August/September 2012, S. 13
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2012