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GRUNDSÄTZLICHES/264: Rechte von Frauen und Mädchen stärken (ai journal)


amnesty journal 03/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Die Rechte von Frauen und Mädchen stärken
Mit der Kampagne "Hinsehen & Handeln" engagiert sich ai gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen.

Von Gunda Opfer


Frauen sind Menschenrechtsverletzungen und Gewalt in besonderem Ausmaß ausgesetzt - einfach als Folge der Tatsache, dass sie Frauen sind. Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet, spielt sich oft im Verborgenen ab und geht in vielen Ländern mit Straffreiheit der Täter einher. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (2002) ist sie die häufigste Todesursache von Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren. Menschenrechtsverletzungen an Frauen basieren auf einem Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, das vielfach mit Gewalt aufrechterhalten wird. Ursächlich ist eine weltweite Tradition, die Frauen nicht die gleichen Rechte zugesteht wie Männern und sie als "Besitz des Mannes" betrachtet. Auch in Deutschland liegen die von solcher Auffassung geprägten Zeiten nicht lange zurück (siehe unten). Auf Grund der ihnen zugewiesenen gesellschaftlichen Rolle haben Frauen oft geringere Bildungschancen, weniger finanzielle Möglichkeiten, kennen ihre Rechte nicht und sind daher nicht in der Lage, diese einzuklagen. Verfolgte Frauen sind in vielen Ländern einem männlich dominierten Polizei- und Sicherheitsapparat ausgeliefert. Dort glaubt man ihnen nicht, oder staatliche Bedienstete werden sogar selbst gewalttätig. Zwar haben die meisten Länder internationale Vereinbarungen zum Schutz von Frauen unterzeichnet, wie die "CEDAW" (siehe Schattenblick -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> AMNESTY INTERNATIONAL GRUNDSÄTZLICHES/263: Kampf gegen Gewalt gegen Frauen (ai journal)). Jedoch stehen die darin verankerten Rechte oft nur auf dem Papier und werden nicht umgesetzt.

Im Jahr 2004 startete ai die Kampagne "Hinsehen & Handeln - Gewalt gegen Frauen verhindern" (Stop Violence against Women), in deren Rahmen bisher über 20 Projekte bearbeitet wurden. Diese spiegeln die Bandbreite der Arten von Menschenrechtsverletzungen an Frauen sowie deren weltweite Verbreitung wider. Zu jedem Projekt gibt es sorgfältig recherchierte Hintergrund-Berichte, die in gezielten Forderungen an die jeweiligen Regierungen münden. ai-Mitglieder und -Gruppen verleihen diesen durch Aktionen und Unterschriftenlisten Nachdruck.

Häusliche Gewalt ist die häufigste Art von Gewalt gegen Frauen. In vielen Ländern wird sie als reine Privatsache betrachtet. Betroffen sind Frauen jeden Alters, jeder Bevölkerungsschicht und jeder Ethnie. "Das größte Risiko für Frauen, Opfer von Gewalt zu werden, geht nicht von einer >fremden Gefahr< aus, sondern von ihnen bekannten Männern, oftmals von Ehegatten oder anderen männlichen Familienmitgliedern. Was wirklich verblüfft, ist, wie sehr sich das Problem weltweit ähnelt", stellte die Studie "Ending Violence Against Women" der Johns Hopkins Universität in den USA aus dem Jahr 2000 fest. Vergleichbar durchgeführte Befragungen aus den neunziger Jahren ergaben, dass je nach Land zwischen 20 und 80 Prozent der Frauen Gewalt im häuslichen Bereich erlebt haben. in Deutschland sind es 25 Prozent (2004; siehe unten). ai hat sich diesem Thema wegen seiner Bedeutung besonders häufig gewidmet, zuletzt in den Ländern Albanien (2005), Ungarn (2007), Ukraine (2007), Weißrussland (2007), Türkei (2008). Beispiel Albanien: Laut Europäischer Kommission lebt jede dritte Albanerin in Gefahr, Schläge und Vergewaltigung durch ihren Ehemann oder Intimpartner zu erfahren. "Ehre und Schande" sind Begriffe, die viele albanische Frauen von Kindheit an prägen. Dies hält sie davon ab, über erlittene Misshandlung zu sprechen oder diese gar anzuklagen. Die Aktionen haben bereits Erfolge gebracht: In Albanien wurden neue Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt beschlossen.

Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten ist keine zufällige Begleiterscheinung eines Krieges, sondern eine bewusst eingesetzte Waffe, um Terror zu verbreiten, die Gesellschaft zu destabilisieren oder die Truppen zu "belohnen". Oft dient sie dem Ziel ethnischer Säuberung. Meist sind diese Übergriffe mit sexueller Gewalt verbunden. Die Massenvergewaltigungen in Darfur und im Kongo wurden 2004 im Rahmen der Frauen-Kampagne thematisiert. Auch in "Friedenszeiten" sind in vielen Ländern Vergewaltigungen im öffentlichen Raum durch Polizisten und Sicherheitskräfte an der Tagesordnung. Aktuelle Beispiele aus dem Jahr 2007 sind Nigeria, Uganda und Burundi.

In vielen Teilen der Welt werden Mädchen und Frauen Verbrechen im Namen der "Ehre" angetan. Man beschuldigt sie, Schande über die Familie gebracht zu haben, weil sie ein außereheliches Verhältnis eingingen oder auch nur mit einem männlichen Nachbarn plauderten. Selbst wenn eine Frau von einem Mann missbraucht wurde, "entehrt" sie damit die Familie. Verdächtigte Frauen (häufig reichen bloße Vermutungen) erhalten vielfach keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Ihre Familien sehen keine gesellschaftlich anerkannte Alternative, um den Makel ihrer Ehre zu tilgen, als die Frau zu töten oder zu verstümmeln. ai hat sich dieses Themas, speziell der "Säureattentate" in Bangladesch (2005), angenommen und zudem Monira Rahman, die dort eine Klinik für Säureopfer leitet, den ai-Menschenrechtspreis 2006 verliehen.

Frauenhandel und Zwangsprostitution haben seit dem Fall des "eisernen Vorhangs" sprunghaft zugenommen. 2,4 Millionen Menschen werden jährlich (im wahrsten Sinne des Wortes) verkauft. Die Profite betragen pro Jahr geschätzte 32 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2006 entfällt davon ein Großteil auf den Handel mit Frauen und Kindern zum Zwecke sexueller Ausbeutung. Der "Warenstrom" fließt von den armen Ländern in die wohlhabenden. Im Herkunftsland werden die Frauen mit falschen Versprechungen angeworben. Erst am Zielort wird klar, dass sie sich auf Prostitution unter unwürdigsten Bedingungen eingelassen haben. ai hat sich in mehreren Projekten dagegen engagiert: Israel (2000), Kosovo (2004), Deutschland (2006, Gemeinschaftskampagne "abpfiff" und aktuell in Griechenland.

In den meisten Ländern - auch dort, wo es um die Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen besonders schlecht bestellt ist - gibt es Netzwerke und Initiativen von Frauen, Frauengruppen oder auch herausragende Einzelpersonen, die sich gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen an Frauen auflehnen - wie einst in Europa Netzwerke und EinzelkämpferInnen die Fortschritte für Frauen bewirkt haben. Ein wichtiges Anliegen der Frauenkampagne ist es, solche Initiativen und Personen zu unterstützen.

Das Thema "Menschenrechtsverletzungen an Frauen" wird ai auch zukünftig beschäftigen. So wird die geplante Kampagne "Human Dignity" (Menschenwürde) Projekte enthalten, die mangelnden Zugang zu Informationen und adäquaten Gesundheitsdiensten vor, während und nach der Schwangerschaft als Ursache für Müttersterblichkeit - in vielen Ländern ein großes Problem - ins Zentrum stellen. "Empowering Women" wurde 1994 auf der 3. Weltbevölkerungskonferenz in Kairo als Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung jedes Landes anerkannt. Daran wollen wir weiter arbeiten.

Gunda Opfer ist Sprecherin der ai-Themengruppe
"Menschenrechtsverletzungen an Frauen".

Alle aktuellen Berichte sind abrufbar unter www.amnesty-frauen.de


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FRAUENRECHTE IN DEUTSCHLAND

19. Jahrhundert weitgehende Rechtlosigkeit der Frau; die Ehe stellt sie unter die Vormundschaft des Mannes

Ab dem 19. Jahrhundert bewirken Frauenbewegungen und
Einzelkämpferinnen schrittweise Verbesserungen

1900 entfällt das Recht des Ehemanns, seine Ehefrau zu "züchtigen" (Einführung des BGB)

1918 Zugang der Frauen zu Universitäten

1919 aktives und passives Wahlrecht für Frauen

1948 Grundgesetz Art. 2, Abs. 3: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (nur durch äußerst beharrlichen Einsatz von Elisabeth Setbert). Bewirkte u.a. schrittweise Neuausrichtung des Familienrechts im BGB

1958 im BGB entfällt das Recht des Ehemanns, ein Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kundigen

1976 im BGB entfällt Paragraph 1356 "Die Frau ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist"; erste Frauenhäuser in Deutschland (heute: Netz von fast 400 Frauenhäusern)

Seit 1988 Berichte der Bundesregierung zur Umsetzung der "CEDAW"

1997 Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand

1999 Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ("Interventions-Projekte")

2002 Möglichkeit der misshandelten Frau, den Täter der gemeinsamen Wohnung zu verweisen ("Gewaltschutzgesetz")

Noch heute verdienen Frauen für die gleiche Arbeit weniger als Männer


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AUSMASS HÄUSLICHER GEWALT WELTWEIT

Australien: 20%
China: 20%
Dänemark: 21%
Niederlande: 21%
Belgien: 25%
Norwegen: 25%
Deutschland: 25% (*)
Chile: 26%
Kanada: 27%
USA: 28%
Äquatorial Guinea: 30%
Litauen: 33%
Surinam: 35%
Taiwan: 35%
Korea Süd: 38%
Malaysia: 39%
Kenia: 42%
Südafrika: 43%
Guatemala: 49%
Costa Rica: 54%
Japan: 59%
Tansania: 60%
Pakistan: 80%

Anteil Frauen, die Gewalt im häuslichen Bereich erlebten; Vergleichbar durchgeführte Befragungen (neunziger Jahre). Befragungen nur in aufgeführten Ländern. Joni Seager: Der Fischer Frauen-Atlas 1989.

(*) Erhebung für Deutschland von 2004


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Quelle:
amnesty journal, März 2008, S. 15-16
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2008