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GRUNDSÄTZLICHES/270: Noah Sow - Wir brauchen mehr Intoleranz (ai journal)


amnesty journal 06/07/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Wir brauchen mehr Intoleranz"

Die Radio- und Fernsehmoderatorin Noah Sow setzt sich für eine rassismusfreie deutsche Öffentlichkeit ein. Ihr neues Buch ist gerade erschienen.


FRAGE: Einige Ihrer Geschichten sind so absurd, dass sie fast komisch sind. Darf man über Rassismus lachen?

NOAH SOW: Ich finde das sehr wichtig und kann selbst schwierige Situationen ohne Humor kaum ertragen. Auf meinen Lesungen lache ich mit dem Publikum über Sprüche und vor allem über die Leute, die sie absondern. Das befreit, verbindet und senkt die Hemmschwelle, eigene Fehler einzugestehen. Bei der Konzeption der Tonalität des Buches fand ich es sehr wichtig, dass die unfreiwillige Komik mancher Situation auch deutlich wird.

FRAGE: Wie ist die Idee für das Buch entstanden?

NOAH SOW: Eine Literaturagentin machte den Vorschlag. Ich hatte erst gar keine Lust. Bis mir eine Idee kam, das Thema umzusetzen. Eine Analyse, die Spaß macht und trotzdem Informationen rüberbringt. Ein Buch, ganz ohne Kindersoldaten und Frauenbeschneidung, einfach nur über Rassismus. Die Lust der Branche nach biografischen Leidensgeschichten ist groß, und ich dachte, ein Sachbuch will keiner haben. Es ist schön, dass ich unrecht behalten habe.

FRAGE: Im Kampf gegen Rassismus wird häufig Toleranz gefordert - Sie fordern Intoleranz.

NOAH SOW: Toleranz bedeutet, ein "gegen sich gerichtetes Übel zu ertragen". Aber was gibt es zu ertragen, wenn schwarze oder türkische Nachbarn einziehen? Es ist an der Zeit, zu Intoleranz gegen Rassismus aufzurufen. Die Mechanismen müssen beim Namen genannt und nicht mit harmloseren Begriffen verschleiert werden. Es kann mir niemand erzählen, dass Weiße Rassismus nicht bemerken. Sie denken nur, sie müssten nichts dagegen tun. Wird schon jemand am Nachbartisch reagieren, ich selbst sehe lieber weg. Das ist eine Form der Toleranz, die ich sehr lahm finde.

FRAGE: Nach sechs Jahren Vorlaufzeit hat die Regierung einen Entwurf des "nationalen Aktionsplans gegen Rassismus" vorgelegt. Wie würde Ihrer aussehen?

NOAH SOW: In Zusammenarbeit mit den Kultusministerien der Länder müssten als erstes tradierte kolonialrassistische Inhalte aus Schul- und Kinderbüchern entfernt werden. Mit der Reduzierung schwarzer Menschen auf Baströckchenfolklore wird doch schon den Kindern ein völlig verqueres Bild vermittelt. Statt als normale Bürger werden Schwarze als hilfsbedürftige Individuen gezeigt, damit ist die Überzeugung der weißen Überlegenheit und ein rassistisches Weltbild vorprogrammiert. Außerdem würde ich flächendeckend Antidiskriminierungsbüros einrichten. Die Mitarbeiter müssten geschult sein. Es reicht nicht, wenn Leute, die Lust haben Gutes zu tun, Opferberatung machen, ohne sich genau auszukennen. Wenn ich in Deutschland rassistisch behandelt werde, gehe ich zur Polizei und werde vermutlich ausgelacht und nach Hause geschickt. Da nützt mir das ganze schöne Antidiskriminierungsgesetz nichts.

FRAGE: Wie hat sich Rassismus in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

NOAH SOW: Es gibt zwei Tendenzen. Zum einen reagiert die Öffentlichkeit auf jeden Erfolg, z.B. das Ersetzen des N-Wortes beim Schokokuss, mit reaktionären Angriffen. Im TV gab es noch nie so viele rassistische Witze mit dem N-Wort wie heute. Offensichtlich wird "political correctness" als Zumutung empfunden. Zum anderen wird der öffentliche Rassismus subtiler, zur Ausgrenzung werden neue Codes geschaffen. Man spricht nicht mehr von "dunklen Arabern", sondern von Migranten. Aber damit sind nie Nordeuropäer gemeint, sondern immer nur ganz bestimmte Gruppen. Auch Migrationshintergrund ist so ein getarntes Wort. Die Übersetzung ist einfach "Nicht-Arier". Warum sollten Menschen, deren Großväter aus Schweden, Kambodscha oder dem Senegal hier mal eingewandert sind, eine Gruppe sein?

FRAGE: Warum sind weiße Deutsche so gute Rassisten?

NOAH SOW: Erziehung, Tradition und eine Nicht-Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Ich war vor kurzem auf einer Konferenz, und nach meinem Beitrag über Rassismus stand ein bekannter deutscher Historiker auf und sagte, die deutsche Belastungsgeschichte sei vor allem der Holocaust, und ich solle lieber darüber reden. Es ist bezeichnend, dass sogar Historiker die Kolonialgeschichte verdrängen dürfen. Deswegen werden wir aus dem Ausland belächelt. Es fällt eben auf, dass wir nicht mit Zähnen und Klauen versuchen, den Rassismus endlich loszuwerden, um wirklich demokratisch und zivilisiert zu leben.

FRAGE: Gab es mal eine Zeit, in der Sie keine Lust mehr hatten, für Antirassismus zu streiten?

NOAH SOW: Das ist eine Frage aus einer sehr weißen Perspektive. Ich versuche Streit eigentlich zu vermeiden. Die Fakten sind klar, es gibt keine Kontroverse. Meistens wollen diejenigen streiten, die sich nicht wirklich mit dem Thema auskennen und eigentlich über sich selbst reden wollen. Das Thema ist sehr komplex, mir geht es vor allem um Informationsvermittlung. Es wäre viel schwieriger, meine Analyse für mich zu behalten.

FRAGE: In Ihrem Buch gibt es eine Liste dummer Sprüche, die Sie nicht mehr hören wollen. Ist seit Veröffentlichung des Buches einer dazu gekommen?

NOAH SOW: Es gab einige absurde Kommentare: "Müssen Sie alles so genau erklären, das macht mich wütend", oder: "Warum haben Sie denn keine Biografie geschrieben?" "Sie sind aber wütend", habe ich auch oft gehört. Besonders absurd finde ich die Frage: "Woher wissen sie denn, was sie da geschrieben haben?" Einen Koch fragt ja auch keiner, warum er kochen kann.

FRAGE: Eine Leserin schreibt, sie habe nun das Gefühl, beim Kontakt mit Schwarzen alles falsch zu machen. Besteht die Gefahr, dass Gespräche nach der Lektüre Ihres Buches sehr verkrampft ablaufen?

NOAH SOW: Ganz sicher besteht vor der Lektüre des Buches die Gefahr, dass Unterhaltungen einseitig grenzüberschreitend verlaufen. Die Zuschrift der Frau ist ein Beispiel für ein klassisches weißes Verhaltensmuster. Sobald nicht mehr alles erlaubt ist, wird die eigene Befindlichkeit in den Vordergrund gestellt. Man wird selbst zum Opfer, weil man jetzt nachdenken soll, bevor man redet.

Interview: Tatjana Schütz


Noah Sow lebt in Hamburg und arbeitet als Moderatorin in Personality-Sendungen bei WDR Einslive, HR3, Radio Fritz und YouFm.
Sie ist Vorsitzende der Media-Watch-Organisation www.derbraunemob.de.


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"Deutschland schwarz weiß"

"Ich werde Ihnen im Laufe meines Buches gehörig auf die Nerven gehen", warnte Noah Sow ihr Publikum bei der ersten Lesung in Hamburg. Und dann gelang es ihr, auch diejenigen zu überraschen, die glaubten, frei von Rassismen zu sein. Sows Definition von Rassismus ist nicht wie üblich gekoppelt an die Abwertung einer konstruierten Gruppe, sondern beginnt schon mit der Behauptung des Unterschieds, der Zuschreibung bestimmter Wesensmerkmale und Eigenschaften. Sie beschreibt in ihrem Buch Alltagssituationen und spielt mit Bildern, die wir im Laufe unserer Sozialisation verinnerlicht haben: Die Autorin selbst ist schwarz und wurde in einem Land mit einer rückständigen Kultur geboren. Ihre Großmutter hatte 16 Geschwister, und bis weit in die neunziger Jahre gab es nicht in allen Haushalten einen Telefonanschluss. Auch heute noch kämpft man dort gegen Korruption und eine hohe Staatsverschuldung. Das Land, in dem Noah Sow geboren wurde und aufwuchs, ist Bayern.

"Deutschland Schwarz Weiß" ist bei C. Bertelsmann erschienen und kostet 14,95 Euro.


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2008, S. 44-45
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2008