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GRUNDSÄTZLICHES/317: Für eine Welt ohne Folter (ai journal)


amnesty journal 01/2015 - Das Magazin für die Menschenrechte

Für eine Welt ohne Folter
Historischer Meilenstein: Vor 30 Jahren wurde die UNO-Konvention gegen Folter verabschiedet.

von Ramin M. Nowzad


Folter ist vielleicht der größte Schrecken, den sich der Mensch für den Menschen ausgedacht hat: Wer einen anderen foltert, fügt ihm nicht nur Schmerzen zu, sondern verwandelt ihn in ein Objekt, in ein bloßes Stück Fleisch. "Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt", notierte einst Jean Améry. Der große jüdische Essayist war als junger Mann selbst von der Gestapo gefoltert worden - und fand nicht ins Leben zurück. Im Jahr 1978 nahm er sich in Salzburg das Leben.

Vor dreißig Jahren, im Dezember 1984, einigten sich die Vereinten Nationen in New York auf ein historisches Vertragswerk, um dieser Menschheitsgeißel ein Ende zu bereiten: die Antifolterkonvention. Darin wurde nicht nur ein absolutes Folterverbot verankert, sondern auch festgeschrieben, welche Pflichten aus diesem Verbot entstehen: So dürfen beispielsweise keine Beweise vor Gericht verwertet werden, die unter Folter erpresst wurden. Auch dürfen Menschen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen Folter droht. Außerdem verpflichteten sich die Vertragsstaaten, Folter unter Strafe zu stellen, entsprechende Vorwürfe unabhängig und effektiv zu untersuchen, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und Opfer angemessen zu entschädigen.

Die Antifolterkonvention war ein Meilenstein im Kampf gegen Folter. Bislang haben sie 155 Staaten ratifiziert. Möglich wurde dies auch durch das Engagement von Amnesty. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 1961 für Menschen ein, denen Folter droht oder die Opfer von Folter geworden sind. Nicht zuletzt deshalb erhielt Amnesty International 1977 den Friedensnobelpreis.

"Täglich erreichen uns Berichte, wonach Menschen gefoltert werden", stellte der damalige Amnesty-Generalsekretär Martin Ennals 1968 fest. Die Berichte stammten keineswegs nur aus fernen Ländern, sondern auch aus Europa, so zum Beispiel aus dem von Salazar beherrschten Portugal oder aus dem Spanien Francos, die beide erbarmungslos gegen Regimekritiker vorgingen. Als sich Amnesty erstmals intensiv mit Folter beschäftigte, betraf dies ein Land, das als Wiege der europäischen Kultur gilt: In Griechenland hatten sich am 21. April 1967 Offiziere an die Macht geputscht. Schon in der Nacht des Staatsstreiches nahmen die Putschisten Tausende Menschen fest.

Was heute unvorstellbar ist: Folter wurde damals international kaum geächtet. Um dies zu ändern, startete Amnesty im Dezember 1972 eine weltweite "Kampagne zur Abschaffung der Folter". Die damals noch junge Menschenrechtsorganisation sammelte innerhalb eines Jahres mehr als eine Million Unterschriften - auch 110.000 Polizisten aus Europa unterstützten die Petition. Der Aufschrei blieb nicht ungehört: Im Herbst 1973 verabschiedete die UNO-Generalversammlung einstimmig eine Resolution gegen Folter. Und 1975 einigten sich die Mitgliedsstaaten auf eine Antifolterdeklaration, in der es heißt: "Kein Staat darf Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zulassen".

Doch handelte es sich dabei lediglich um eine Absichtserklärung. Die Staaten waren keineswegs verpflichtet, sie auch umzusetzen. Deshalb lancierte Amnesty im Jahr 1984 eine zweite Kampagne gegen Folter, mit dem Ziel, die Regierungen auf ein Folterverbot zu verpflichten. Mit Erfolg: Noch im selben Jahr verabschiedete die UNO die Antifolterkonvention.

Damit konnten die Staaten nun auch ausländische Täter strafrechtlich verfolgen. Wie etwa Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet, der 1998 in London verhaftet wurde. Zum Prozess kam es allerdings nicht, denn der britische Innenminister ordnete im Jahr 2000 an, den greisen General aus gesundheitlichen Gründen wieder freizulassen. Dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden, war eine der zentralen Forderungen der dritten globalen Antifolterkampagne, die Amnesty im selben Jahr startete.

Heute, dreißig Jahre nach der Verabschiedung der Antifolterkonvention, ist die Bilanz ernüchternd: Weiterhin werden in mehr als 140 Staaten Gefangene gefoltert und misshandelt. Auch westliche Demokratien haben in den vergangenen Jahren kräftig am Foltertabu gerüttelt. "Wir haben ein paar Kerle gefoltert", sagte US-Präsident Barack Obama nonchalant auf einer Pressekonferenz. Schläge, Schlafentzug, Stresspositionen, sexuelle Demütigungen, simuliertes Ertrinken - die Agenten der CIA bedienten sich schmutziger Methoden, um den Willen ihrer Gefangenen zu brechen. Bis heute wurde kein Täter zur Rechenschaft gezogen. Eine Welt ohne Folter - dies ist noch immer das Ziel, für das Amnesty kämpft. Es bleibt noch viel zu tun.

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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2014 / Januar 2015, S. 39
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2015

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