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GRUNDSÄTZLICHES/338: Tupoka Ogette - "Wie ist es im Dschungel?"


Amnesty International - 1. März 2017

Tupoka Ogette - "Wie ist es im Dschungel?"

Die Anti-Diskriminierungs-Expertin Tupoka Ogette aus Berlin hat uns von ihren rassistischen Erfahrungen in Deutschland berichtet - "das Biest Rassismus" geht uns alle an.


"Die ersten acht Jahre meines Lebens habe ich in Leipzig verbracht. Als schwarze Deutsche habe ich mich nicht weniger sächsisch gefühlt als alle anderen. Nur mein Umfeld hat mir immer wieder deutlich gespiegelt, dass es mich als jemand Fremdes wahrnimmt. 'Wann gehst du eigentlich wieder nach Hause, wie ist es überhaupt im Dschungel?' Wenn man solche Fragen als Kind oft genug hört, glaubt man irgendwann selbst daran, nicht in die eigene Heimat zu passen.

Als ich neun war, nahm meine Mutter mich mit nach Tansania, in die Heimat meines Vaters. Ich hatte mir eine Art Ankommen von der Reise versprochen, aber dort galt ich als Weiße. Mittlerweile bin ich im Reinen mit meiner Identität, doch das Thema holte mich ein, als ich mit meinen Kindern nach ein paar Jahren in Frankreich zurück nach Deutschland zog. Sofort tauchten die Fragen wieder auf: 'Wo kommt ihr her, was wollt ihr hier?' Mein Sohn kam aus der Kita und sagte: 'Ich will nicht mehr so braun sein, das ist hässlich.' In dem Moment wusste ich, dass etwas passieren muss. Ich wollte die Wut darüber, was dreißig Jahre nach meinen Kindheitserfahrungen noch immer passierte, kanalisieren.

Ich hatte nicht geplant, Anti-Rassismus-Expertin zu werden. Als ich die ersten Kurse anbot, gab es ein riesiges Interesse: Vor allem von weißen Eltern, die ein schwarzes Kind adoptiert haben. Diese Paare freuen sich meist so sehr auf ihr Kind, dass sie alle möglichen Probleme zunächst ausblenden. Ist das Kind dann da, sehen die Eltern die Welt auf einmal aus einer Perspektive, die sie erschreckt. Ich bekomme Anrufe von Müttern, die erzählen, ihre Kinder hätten Angst vor anderen schwarzen Menschen, weil sie selbst nicht so aussehen wollen. Und von Vätern, deren Kinder teils nicht mehr leben wollen, weil ihre Ausgrenzungserfahrungen so extrem sind.

Mir ist es deshalb besonders wichtig, diese Kinder zu ermutigen und zu aktivieren mit 'Empowerment'-Trainings, die ich anbiete. Aber auch pädagogische Einrichtungen, die sich zu Inklusionsarbeit fortbilden müssen, buchen mich. Meist stoße ich dort auf die Haltung: Rassismus gibt es hier nicht. Dann erkläre ich, dass es das Phänomen fast überall gibt - nur möglicherweise nicht aus der Perspektive der Erzieherinnen und Erzieher oder Lehrerinnen und Lehrer.

In Deutschland ist das Wort Rassismus derart moralisch belegt, dass es kaum Spielraum für Diskussionen darüber gibt. Für mich war es unglaublich prägend, zu begreifen, dass es kein individuelles Problem ist, sondern unsere Gesellschaft von rassistischen Einstellungen durchzogen ist. Das will ich Kindern vermitteln: Nicht ihr seid das Problem, sondern der Rassismus."


Weitere Videos und Texte aus der Serie "Alltagsrassismus protokolliert" gibt es auf:
www.amnesty.de/alltagsrassismus-protokolliert

Weitere Informationen zum Thema Rassismus in Deutschland finden Sie auf:
www.amnesty.de/gegen-rassismus

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Quelle:
Mitteilung vom 1. März 2017
https://www.amnesty.de/2017/3/1/tupoka-ogette-wie-ist-es-im-dschungel?destination=node%2F2817
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2017

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