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NAHOST/094: "Die Checkpoints bringen nur Haß" (ai journal)


amnesty journal 7-8/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Die Checkpoints bringen nur Hass"
Ein Gespräch mit Roni Hammermann von der israelischen Menschenrechtsorganisation Machsom Watch.

Interview: Ali Al-Nasani


FRAGE: Was gab den Impuls für die Gründung von Machsom Watch?

RONI HAMMERMANN: Zu Beginn der Intifada häuften sich Berichte über Menschenrechtsverletzungen an den Checkpoints. Als ich las, dass eine Frau an einem Checkpoint gebären musste, weil sie nicht durchgelassen wurde, war ich so erschüttert, dass ich beschloss, mir das vor Ort anzusehen. Und offensichtlich hatten sich das auch andere Frauen gedacht. Wir waren etwa ein Dutzend Frauen in Jerusalem, die zu den Checkpoints gingen. Anfangs haben wir ja nicht begriffen, was sich dort abspielt. Inzwischen haben wir viel gelernt, und heute sind es 400 Frauen in ganz Israel, die zu den Checkpoints in den besetzten Gebieten gehen. Wir sind Israelis und haben das Recht zu wissen, was in unserem Namen an den Checkpoints passiert.

FRAGE: Wie sieht die konkrete tägliche Arbeit von Machsom Watch aus?

RONI HAMMERMANN: Wir schließen uns zu zwei oder drei Frauen zusammen und gehen zu den Stoßzeiten am Morgen und am Nachmittag zu den Checkpoints. Wir beobachten, was geschieht und greifen ein, wenn es notwendig ist. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Palästinenser an uns gewandt haben, deren Haus zerstört werden sollte. Wir sprechen mit den Soldaten und appellieren an ihr Urteilsvermögen. Unsere Monats- und Jahresberichte veröffentlichen wir auf unserer Homepage. Diese Dokumentation ist unser Hauptanliegen, denn wir sind außer dem Militär die einzigen, die sich regelmäßig an den Checkpoints befinden. Wir lobbyieren auch im Parlament und beim Militär.

FRAGE: Wie sieht die Lage an den Checkpoints aus?

RONI HAMMERMANN: In den sechs Jahren, in denen wir nun vor Ort sind, haben wir eine spürbare Verschlechterung feststellen müssen. An den Grenz-Checkpoints bekommt man keinen Kontakt mehr zu den Soldaten, weil sie hinter undurchsichtigem Panzerglas sitzen. Man kann auch nicht mit ihnen sprechen. Wir Frauen von Machsom Watch sind immer weniger erwünscht. Einige Mitglieder von uns sind verhaftet worden.

Die Situation für die Palästinenser verschlechtert sich, denn es gibt immer mehr Checkpoints. Die Zahl der für Palästinenser verbotenen Verkehrswege nimmt zu, denn zwischen den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten bestehen Straßen, die für Palästinenser verboten sind. Immer häufiger werden besondere Erlaubnisse gefordert, um einen Checkpoint zu passieren. Manche Erlaubnisse gelten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, andere für einen ganzen Tag. An israelischen Feiertagen ist die Westbank ganz abgeriegelt. Im Jahr 2005 konnten Palästinenser an 132 Tagen die Checkpoints nicht passieren. Und selbst wenn sie geöffnet sind, dauert es manchmal Stunden, bis man sie passieren kann. Kranke kommen nicht ins Krankenhaus, Mütter nicht zu ihren Kindern.

FRAGE: Hatten Sie in der Vergangenheit Einfluss auf die Soldaten?

RONI HAMMERMANN: Ja. Vor allem bei kranken Kindern kann man nicht erst eine Genehmigung holen, wenn es dringend ist. Oder wenn wir gesehen haben, dass eine Person willkürlich zu lange am Checkpoint aufgehalten wurde, konnten wir darauf einwirken, dass diese Person passieren konnte. Bei Schlägereien sind wir auch physisch dazwischen gegangen. In unserer Gegenwart geht es allerdings in der Regel schneller und glatter, weshalb die Palästinenser oft sagen, wir sollten am besten rund um die Uhr am Checkpoint anwesend sein.

FRAGE: Gibt es innerhalb der israelischen Bevölkerung ein Bewusstsein dafür, was an den Checkpoints passiert?

RONI HAMMERMANN: Im Laufe der letzten Jahre ist es uns mehr und mehr gelungen, das Thema in die israelische Öffentlichkeit zu bringen. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Checkpoints innerhalb des palästinensischen Gebiets liegen und Dörfer voneinander trennen. Nicht nur wir, sondern auch einige Militärs sind inzwischen der Meinung, dass diese inneren Checkpoints nur Hass hervorbringen. Wir laden die Öffentlichkeit auch immer wieder dazu ein, uns zu den Checkpoints zu begleiten. Ich habe noch niemanden gesehen, der nach drei bis vier Stunden an so einem Checkpoint gleichgültig geblieben ist. Wir organisieren auch Touren zu der Mauer, die ja in der Westbank steht und nicht in Israel. Wir wollen zeigen, welche Auswirkungen die Mauer auf das Leben der Palästinenser hat.

FRAGE: Nun ist die Mauer ja auch eine Konsequenz aus der zweiten Intifada und den palästinensischen Selbstmordattentaten in Israel. Und die Zahl der Attentate ist in den letzten Jahren drastisch gesunken.

RONI HAMMERMANN: Der Rückgang der Attentate ist nicht auf die Mauer zurückzuführen, die ja immer noch nicht vollständig steht, sondern noch lückenhaft ist. Vielmehr gab es ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und den Palästinensern, das streng eingehalten wurde. Ein Dialog kann also die Gefahr eindämmen. Doch Israels Politik der gezielten Tötung hat dazu geführt, dass das Abkommen keinen Bestand mehr hatte. Unilaterale Schritte haben keinen Erfolg, nur gleichberechtigte Verhandlungen bringen einen Fortschritt. Wir müssen auch mit Hamas verhandeln.

FRAGE: Mit Hamas hat eine Partei die letzten Wahlen gewonnen, die das Existenzrecht Israels nicht eindeutig anerkennt und somit eine Bedrohung darstellt. Sollte man vor diesem Hintergrund nicht Verständnis haben für ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis Israels?

RONI HAMMERMANN: Für jedes erhöhte Sicherheitsbedürfnis von Israel muss man Verständnis haben. Hamas war schon bereit, mit Israel zu verhandeln, und das war eine de-facto Anerkennung. Nur durch Verhandlungen mit den gemäßigten Kräften innerhalb von Hamas, die es ja gibt, kann man eine Veränderung ihrer Programmatik herbeiführen. Vielleicht nicht sofort, aber sicherlich im Laufe der Zeit. Außerdem haben viele Leute Hamas gewählt, weil sie so verzweifelt über Fatah waren, also eher aus innerpalästinensischen Gründen.

FRAGE: Inwieweit arbeitet Machsom Watch mit anderen
Menschenrechtsorganisationen zusammen?

RONI HAMMERMANN: Wir kooperieren mit "Ärzte für die Menschenrechte", die wir auf Fälle aufmerksam machen oder mit "Bet'selem", die Material von uns bekommen. Wir sind auch ein Teil der Koalition "Frauen für einen gerechten Frieden" und machen gemeinsame Aktionen.

FRAGE: Was kann eine Menschenrechtsorganisation wie amnesty international in dieser Situation leisten?

RONI HAMMERMANN: Ich verstehe, dass amnesty international Einzelfallarbeit macht. In diesem Bereich leistet die Menschenrechtsorganisation auch sehr viel. Wir von der Organisation Machsom Watch wünschen uns eine verstärkte Kooperation, denn wir können Informationen liefern, was in den Gefängnissen, in den besetzten Gebieten und an den Checkpoints passiert. Und amnesty international kann diese Informationen aufgreifen.

FRAGE: Schauen Sie optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?

RONI HAMMERMANN: Ich bin optimistisch - sonst könnte ich meine Arbeit nicht machen, nicht immer wieder zu den Checkpoints oder Militärgerichten gehen. Ich muss optimistisch sein.


Hammermann, geboren 1940 in Israel, lebte von 1947 bis 1969 mit ihren Eltern in Wien. Sie arbeitete an der Hebräischen Universität von Jerusalem als Lektorin für slawische Literatur, später als Bibliothekarin. 2001 gründete sie mit anderen die Organisation "Machsom Watch".

www.machsomwatch.org


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Quelle:
amnesty journal, Juli/August 2007, S. 34-35
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2007