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NAHOST/101: Irak - Das gefährlichste Land der Welt (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Das gefährlichste Land der Welt
Der Irak-Krieg hat fast fünf Millionen Menschen in die Flucht getrieben, vor allem nach Syrien und Jordanien. Dort leben sie unter unzumutbaren Bedingungen.

Von Tatjana Schütz


Die Kamera zeigt einen Mann von den Schultern abwärts. Er sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, vor seiner Brust hält er ein zerknicktes Stück Papier vorsichtig zwischen den Fingern. "Das ist die Sterbeurkunde meines Vaters. Ich hatte schon drei Familienmitglieder verloren, als auch noch meine Tochter bei einer Explosion starb. Danach sind wir aus dem Irak geflohen", sagt er. Seine Frau hockt neben ihm, sie hält den Totenschein ihres Bruders in den Händen. Die Explosion, die ihre Tochter tötete, zerfetzte ihr den linken Unterschenkel. Heute lebt das Ehepaar in Damaskus und möchte unerkannt bleiben.

Fünf Jahre dauert der Krieg im Irak, der 4,7 Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat. 2,7 Millionen innerhalb des Landes, zwei Millionen in die Nachbarländer, vor allem nach Syrien und Jordanien. Inzwischen versuchen beide Staaten den Zuzug der Flüchtlinge zu stoppen. Die Stimmung gegenüber den Irakern ist feindselig: Sie erhalten keine Arbeitserlaubnis, ihre Kinder gehen oft nicht in die Schule, sondern versuchen als Schuhputzer oder fliegende Händler etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen. Dem UNO-Flüchtlingshilfswerk fällt es zunehmend schwerer, genügend Nahrung und die notwendigsten Medikamente bereitzustellen. Der ursprüngliche Versorgungsplan für 300.000 Iraker in Syrien könne wegen fehlender finanzieller Mittel nicht eingehalten werden, so dass bereits ab August eine medizinische Grundversorgung nicht mehr sichergestellt werden könne, teilte ein Sprecher mit.

Bisher haben die EU-Länder wenig zum Schutz der irakischen Flüchtlinge beigetragen. Im Gegenteil: Einige Länder haben begonnen, Menschen in den Irak abzuschieben oder Druckmittel einzusetzen, um sie zur Rückkehr zu bewegen. "Der Irak ist immer noch eines der gefährlichsten Länder weltweit", stellt Ruth Jüttner, Irak-Expertin von Amnesty International fest. "Statt Menschen in den Irak zurückzuschicken, müssen die europäischen Staaten endlich ihre internationalen Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz ernst nehmen."

Es gibt allerdings Ausnahmen: Einige EU-Staaten haben im Rahmen bestehender Aufnahmeprogramme irakischen Flüchtlingen eine Zuflucht geboten. Deutschland hat bisher kein solches "Resettlement"-Programm. Amnesty drängt die Regierungen von Bund und Ländern, nicht nur einmalig irakische Flüchtlinge ins Land zu lassen. Vielmehr soll sich auch die Bundesrepublik in einem solchen Programm dazu verpflichten, jährlich eine nennenswerte Zahl schutzbedürftiger Menschen aufzunehmen. "Syrien allein hat etwa eine Million irakische Flüchtlinge aufgenommen. Ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich zusehends, immer mehr sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen", sagt Jüttner. "Es ist überfällig, dass Länder wie Deutschland ihren Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise leisten." Positiv sei anzumerken, dass die deutschen Bundesländer sich im Frühjahr grundsätzlich dazu bereit erklärt hätten, Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. "Jetzt müssen der Ankündigung Taten folgen", so Jüttner.

Amnesty fordert von den EU-Staaten, auf Abschiebungen in den Irak zu verzichten, die Nachbarländer und die internationalen Organisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge zu unterstützen und selbst irakische Flüchtlinge dauerhaft aufzunehmen.


Weitere Informationen, Interviews und Filmmaterial unter: www.amnesty.org/en/library


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 42
Herausgeber: amnesty international
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Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2008