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NORDAMERIKA/097: Interview mit Pardiss Kebriaei, Anwältin von Guantánamo-Häftlingen (ai journal)


amnesty journal 06/07/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Interview mit Pardiss Kebriaei

"Deutschland kann Schutz bieten"


Pardiss Kebriaei ist Anwältin des New Yorker Zentrums für Verfassungsmäßige Rechte (CCR). Dort hilft sie mit, ein Netzwerk von Anwälten zu koordinieren. Sie vertritt außerdem Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantánamo.


FRAGE: Wie geht es Ihren Mandanten in Guantánamo?

PARDISS KEBRIAEI: Meine beiden Mandanten, Abdul Nasser Khan Tumani und sein Sohn Mohammed Khan Tumani aus Syrien, sind seit sieben Jahren inhaftiert. Mohammed ist seit zwei Jahren im "Camp Six" untergebracht. Dort herrschen die schärfsten Haftbedingungen, die Zellen sind nur fünf Quadratmeter groß und haben keine Fenster. Nach sieben Jahren Haft ist seine physische und psychische Gesundheit stark angegriffen. Ende vergangenen Jahres versuchte er, sich die Pulsadern aufzuschneiden.

FRAGE: Was wird den beiden vorgeworfen?

PARDISS KEBRIAEI: Sie wurden 2001, als sie vor dem beginnenden Krieg aus Afghanistan fliehen wollten, in Pakistan festgenommen und an das US-Militär übergeben. Mohammed war gerade einmal 17 Jahre alt, als er in US-Gefangenschaft kam. Sie sollten gestehen, dass sie Al-Qaida angehören, was sie trotz Folter immer verneinten. Über das afghanische Kandahar wurden sie nach Guantánamo überstellt, wo sie sich seit 2002 befinden.

FRAGE: Präsident Obama hat angekündigt, Guantánamo schließen zu wollen. Wie reagieren Ihre Klienten darauf?

PARDISS KEBRIAEI: Wie alle anderen Gefangenen auch: extrem frustriert und zynisch, da sie trotz aller guten Nachrichten keine Veränderungen ihrer alltäglichen Situation erleben. Jeder Tag in Guantánamo ist ein Tag zuviel. Wir hoffen, dass ihre Fälle bald vor Gericht kommen. Bis dahin wird es kaum Verbesserungen geben.

FRAGE: Wie erleben Sie als Anwältin die neue Regierung?

PARDISS KEBRIAEI: Das Versprechen, Guantánamo zu schließen, hat uns sehr ermutigt. Aber bis jetzt sind die meisten Fälle immer noch nicht verhandelt worden. Die neue Regierung nimmt mittlerweile dieselben Positionen ein wie die Bush-Administration: Sie gibt uns nicht die Informationen, die wir benötigen, um die Fälle für das Gericht vorzubereiten. Zudem verzerren sie nach wie vor die Wahrheit über unsere Mandanten und die Umstände, unter denen sie gefangen gehalten werden.

FRAGE: Kann die Bundesregierung den Prozess beschleunigen?

PARDISS KEBRIAEI: Mohammed und sein Vater Abdul Nasser gehören zu den 50 bis 60 Inhaftierten, die ein sicheres Drittland benötigen. Sie können nicht nach Syrien, da ihnen dort Folter droht. Deutschland könnte daher eine sehr wichtige Rolle in diesem Prozess einnehmen und Mohammed und Abdul Nasser Schutz bieten. In diesem Falle könnten beide Guantánamo bereits morgen verlassen. Denn selbst, wenn sie vor Gericht gewinnen, bleiben sie solange inhaftiert, bis ihnen ein anderes Land Schutz anbietet.

FRAGE: Was erwarten Sie von der US-Regierung?

PARDISS KEBRIAEI: Sie muss die Hauptverantwortung übernehmen. Doch bis jetzt hat die USA noch keinen einzigen Gefangenen aufgenommen. Wir wissen noch nicht, ob sich diese Haltung unter Präsident Obama ändern wird. Doch so lange die USA niemanden aufnimmt, lehnen sich auch die anderen Staaten zurück - und nehmen damit in Kauf, dass unschuldige Menschen weiterhin eingesperrt und misshandelt werden. Deshalb muss auch die internationale Gemeinschaft die Verantwortung übernehmen, damit dieser siebenjährige Alptraum endlich endet.

Interview: Ferdinand Muggenthaler


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2009, S. 15
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2009