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RUSSLAND/065: Im Nordkaukasus werden Menschenrechtsaktivisten bedroht und ermordet (ai journal)


amnesty journal 12/2009/01/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ein schwarzes Jahr
Im Nordkaukasus werden Menschenrechtsaktivisten bedroht und ermordet.

Von Peter Franck


Das Jahr 2009 wird als ein bedrückendes Jahr für die Menschenrechtsarbeit im Nordkaukasus im Gedächtnis bleiben. Am 29. Januar wurden der Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und seine Begleiterin, die junge Journalistin Anastasija Baburowa, in Moskau erschossen. Er hatte Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus vertreten und war deshalb Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Am 15. Juli wurde Natalja Estemirowa in Grosny entführt; kurze Zeit später fand man ihre Leiche in der Nachbarrepublik Inguschetien. Seit Jahren hatte sie unerschrocken für das Menschenrechtszentrum von Memorial Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus recherchiert.

Mit Markelow und Estemirowa hat Amnesty International zwei Menschen verloren, mit denen die Organisation seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Wir wussten, dass ihre Arbeit lebensgefährlich war. Wiederholt wurde Natalja Estemirowa eingeladen, um sie wenigstens zeitweise zu schützen. Doch nicht anders als andere wollte sie immer wieder schnell zurück. Denn Menschen, die den Opfern vor Ort beistehen und ihr Vertrauen genießen, gibt es nur wenige. Natascha - wie sie von ihren Freunden und Mitstreitern genannt wurde - genoss dieses Vertrauen wie wohl kaum jemand. Gerade das machte sie unbequem und für die Mächtigen gefährlich. In im Juli veröffentlichten Bericht "Herrschaft ohne Recht" hatte Amnesty auch auf Bedrohungen von Mitarbeitern von Memorial im Nordkaukasus hingewiesen. Amnesty forderte die Behörden unter anderem auf, Menschenrechtsverteidiger wirksam zu schützen. Am 8. Juli kritisierte das russische Außenministerium den Bericht als tendenziös. Wie früher werde "zu dick aufgetragen". Das Ziel sei klar - im Auftrag bestimmter ausländischer politischer Kreise und Medien solle kurz vor "großen internationalen Events negatives Aufsehen um die Situation mit den Menschenrechten in Russland" geschürt werden. Eine Woche später war Natalja Estemirowa tot. Sie war nicht das letzte Opfer. Nicht einmal einen Monat später wurden auch Sarema Sadulajewa und ihr Ehemann in Grosny entführt und ermordet. Sie hatten in einer Organisation gearbeitet, die sich unter anderem um jugendliche Minenopfer kümmert. Und während dieser Artikel verfasst wird, geht die Nachricht von der Ermordung des inguschetischen Menschenrechtlers Makscharip Auschew ein, der am 25. Oktober 2009 in seinem Auto erschossen wurde.

Die Morde haben in Deutschland zu großer Betroffenheit geführt. Viele Menschen haben sich spontan abgehaltenen Mahnwachen angeschlossen. Zum dritten Jahrestag der Ermordung von Anna Politkowskaja verpflichteten sich 19 russische und deutsche Nichtregierungsorganisationen, im Sinne der Ermordeten weiterzuwirken. Es wird darauf ankommen, dass die vielfältigen Verbindungen zu Russland genutzt werden, um auf allen Ebenen die tiefgreifende Besorgnis in der deutschen Öffentlichkeit über die Morde zum Ausdruck zu bringen.

Der Autor ist Russland-Experte der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2009/Januar 2010, S. 47
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2009