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SÜDAMERIKA/036: Ecuador - vielversprechende Reformen (ai journal)


amnesty journal 10/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Zwischen Fußball, Furore und Vergessenheit
Der neue Präsident Ecuadors leitet vielversprechende Reformen ein.
Die Bevölkerung hat er dabei auf seiner Seite.

Von Norbert Blendinger


Wenn nicht die ecuadorianische Fußball-Nationalmannschaft für Furore sorgt, ein Vulkan ausbricht, oder ein politischer Umsturz droht, ist es still um das lateinamerikanische Land zwischen Kolumbien und Peru. Regiert wird Ecuador von Rafael Correa, der Ende vergangenen Jahres zum ecuadorianischen Präsidenten gewählt wurde. Der Finanzexperte entschied die Wahl im zweiten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit für sich, nachdem Gustavo Noboa, ein einflussreicher Geschäftsmann, die erste Wahlrunde gewonnen hatte.

Vorangegangen waren Jahre politischer Instabilität: Acht Präsidenten waren in den vergangenen zehn Jahren in den Präsidentenpalast eingezogen, mit den entsprechenden Mehrheiten wurde der Kongress als "Gegenregierung" zum amtierenden Präsidenten missbraucht, die Neutralität des Justizapparates unterlaufen. Luzio Gutiérrez, Vorgänger des amtierenden Präsidenten und ehemaliger Militär, hatte während seiner Präsidentschaft das Land politisch und sozial gespalten. In Rekordzeit war er von seinen Wahlversprechen abgerückt und hatte die Regierungskoalition mit der "Pachacutik", den Vertretern des politischen Arms der "Conaie", dem indigenen Dachverband, platzen lassen. Proteste ließ er durch Polizeigewalt im Keim ersticken. Die meisten Richter des Obersten Gerichtshofes hat er abgesetzt und versucht, eine Amnestie für ehemalige Präsidenten im Exil zu erreichen. Die Lage der Menschenrechte verschlechterte sich drastisch. Straflosigkeit, überfüllte Gefängnisse, die Unterdrückung sexueller Minderheiten und Verfolgung waren an der Tagesordnung.

Indigenen Gruppen im Amazonas-Tiefland wurde zugunsten der Ölförderung die Lebensgrundlage entzogen. Nach heftigen Protesten musste Gutiérrez im Frühjahr 2005 mit dem Hubschrauber den Regierungspalast verlassen und ins brasilianische Exil fliehen. Die Übergangsregierung leitete Gutiérrez' Vizepräsident, Alfredo Palacio.

Der neue Präsident Correa hatte vor diesem Hintergrund nicht nur "politische Aufbauarbeit" zu leisten. Die Bevölkerung war politikverdrossen und voller Misstrauen gegenüber den Repräsentanten des Systems. Doch kaum waren die Wahlergebnisse bestätigt, nahm Correa die Vorbereitung seines wichtigsten Regierungsprojektes in Angriff: Mit einer Verfassungsgebenden Versammlung ("Constituiente") möchte er die politischen Strukturen im Land nachhaltig verändern. Zunächst fehlte ihm hierfür die parteipolitische Grundlage in der Abgeordnetenkammer, da seine Partei keine Kandidaten für den Kongress stellte. Und obwohl die Abgeordnetenkammer jahrelang als "Gegenparlament" missbraucht worden war, gelang es Correa durch geschickte Verhandlungsführung, die konservative Mehrheit im Kongress zu überwinden.

Damit war der Weg frei, die Bevölkerung am 15. April dieses Jahres über die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung abstimmen zu lassen. Die Regierungskoalition errang dabei einen deutlichen Sieg. Im Anschluss daran prüfte das Oberste Wahlgericht die Liste der Kandidaten und veranlasste die Wahl der Abgeordneten für die Verfassungsgebende Versammlung am 30. September 2007. Zur Wahl stehen einhundert nationale und 24 Kandidaten aus den Provinzen sowie sechs Abgeordnete als Vertreter für die im Ausland lebenden Ecuadorianer. Mehr als 3.300 Kandidaten stellten sich für diese 130 Sitze zur Wahl. Für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sind zunächst 180 Tage angesetzt. Und die Bevölkerung unterstützt die Regierung in ihrem Kurs - in Ecuador waren derartige Signale schon lang nicht mehr zu beobachten.

Während der ersten Monate seiner Legislaturperiode wurde deutlich, dass Correa auch in anderen Politikfeldern nachhaltige Korrekturen vornehmen möchte. So lehnt er ab, die Nutzung der Luftwaffenbasis in Manta durch die US-amerikanische Luftwaffe zu verlängern. Durch eine nicht verfassungskonforme Entscheidung, deren Gültigkeit in zwei Jahren ausläuft, konnte das US-Militär im Rahmen des "Plan Colombia" Erkundungsflüge von Ecuador aus in den Süden Kolumbiens unternehmen. Nach offiziellen Angaben sollten diese dazu dienen, bilaterale Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenanbaus zu unterstützen. Nach Ansicht von ai dienten sie jedoch vielmehr dazu, die Guerillagruppe "FARC" in Kolumbien zu bekämpfen. Darüber hinaus will die Regierung darauf verzichten, das im "Yasuni-Nationalpark" gelegene Ölfeld "Ishpingo-Tampococha-Tiputini" im Amazonas-Tiefland auszubeuten. Damit will sie einen Beitrag zur Minderung der Folgen des Klimawandels leisten.

Die Zusammenarbeit mit dem "Internationalen Währungsfonds" (IWF) konnte die Regierung durch die frühzeitige Rückzahlung ihrer Schulden beenden und so auch einer zukünftigen Einflussnahme des IWF auf die Finanz- und Kreditpolitik entgegenwirken. Bestärkt in seinem Kurs erklärte Correa überdies einen einflussreichen Repräsentanten der Weltbank zur "Persona non grata". Das Misstrauen gegenüber der Weltbank entstand vor allem wegen dem Wirtschafts- und Investitionsfonds aus dem Jahr 2002. Dieser legt die prozentuale Aufteilung von Unternehmensgewinnen aus dem Ölfördergeschäft und die Höhe der Einnahmen fest, die Ecuador selbst zustehen. Der ecuadorianische Kongress hat nun eine neue Gewichtung des Fonds beschlossen: 40 Prozent der Fondsgelder fließen in Investitionen im Wirtschaftssektor und in die Begleichung der Auslandsschulden, 30 Prozent in den Bildungs- und Gesundheitssektor, 20 Prozent in Katastrophenhilfe und zehn Prozent in den Wissenschafts- und Technologiebereich. Weitere Maßnahmen im Bereich Menschenrechte und im Finanz- und Medienbereich zeigen, dass die Regierung mit Hochdruck an einer grundlegenden Reformierung der politischen Realität in Ecuador arbeitet.

Moralisch unterstützt wird sie dabei von Hugo Chávez, dem Präsidenten von Venezuela, und Evo Morales, dem Präsidenten von Bolivien. Nach jahrelanger Stagnation scheint sich für Ecuador eine neue Perspektive aufzutun. Und eine grundlegende Änderung der politischen und juristischen Strukturen hat das Land dringend nötig.

Der Autor ist Sprecher der ai-Ländergruppe Ecuador.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober 2007, S. 26-27
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2007