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EUROPA/479: Kriegsarchive aus dem ehemaligen Jugoslawien sofort öffnen


Presseerklärung vom 3. Juli 2009

Fortsetzung Prozess gegen frühere Sprecherin von Carla del Ponte

Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert Öffnung aller Kriegsarchive aus dem ehemaligen Jugoslawien


Alle Kriegsarchive aus dem ehemaligen Jugoslawien müssen sofort geöffnet werden, um die Verantwortlichen für die schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Bosnien-Herzegowina für alle ihre Taten endlich zur Rechenschaft zu ziehen und den überlebenden Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies forderte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) anlässlich der Abschlussplädoyers des Vertreters der Anklage und des Anwalts der Verteidigung gegen die früherer Sprecherin von Carla del Ponte, Florence Hartmann, am heutigen Freitag vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Der französischen Journalistin Hartmann wird vorgeworfen, vertrauliche Informationen aus dem Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic veröffentlicht und so gegen Bestimmungen des Gerichts verstoßen zu haben. Ihr drohen bis zu sieben Jahre Haft und eine Geldstrafe bis zu 100.000 Euro.

2003 hatten Vertreter Serbien-Montenegros in Abwesenheit der Anklagevertreter des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) während einer erstinstanzlichen nichtöffentlichen Gerichtsverhandlung erreicht, dass die Protokolle und die stenografischen Notizen der Sitzungen des Höchsten Verteidigungsrates von Serbien-Montenegro (VVO) gesperrt wurden. Sie konnten damit in den Verfahren vor dem ICTY nicht verwendet und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden.

"Wenn es um Völkermord. Massenvertreibung und Massenmord geht, hört der Spaß auf", kritisierte Tilman Zülch, Präsident der GfbV International, "ein internationaler Gerichtshof darf die Wahrheit nicht unterschlagen".

Das Verfahren gegen Hartmann schmerze jeden aufrichtigen Menschenrechtler, da sie sich offenbar der Wahrheit und schonungslosen Aufklärung der Hintergründe der Verbrechen in Bosnien-Herzegowina verpflichtet gefühlt habe, sagte Zülch. Damit den überlebenden Opfern von Völkermord und Vertreibung endlich Gerechtigkeit widerfahre, müsse das ICTY jetzt endlich alle bisher zensierten und geheim gehaltenen Dokumente freigeben. Auch die serbische Regierung müsse dazu gedrängt werden, ihre Archive zu öffnen. Denn staatliche oder nationale Interessen dürften denen der Opfer, der Wahrheit und der Gerechtigkeit nicht übergeordnet werden.

Sowohl im Prozess gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic als auch im Verfahren Bosnien-Herzegowina gegen Serbien hat die serbische Seite mit Einverständnis des ICTY wichtige Beweise für die Verantwortung der Republik Serbien für den Genozid an den bosnischen Muslimen sowie für die Existenz von Konzentrations- und Vergewaltigungslagern, die Einschließung und jahrelange Bombardierung bosnischer Städte und für den Massenmord an den mindestens 8373 Knaben und Männern von Srebrenica zurückgehalten. Dadurch hat sie das Ansehen der internationalen Justiz bereits schwer beschädigt. Denn Bosnien konnte den Nachweis nicht führen, dass die Regierung Milosevic den Völkermord und die Massenvertreibungen in Bosnien geplant und mit Hilfe serbischer und bosnisch-serbischer Truppen durchgeführt hat. Die GfbV hatte diese Politik als "Deal mit Beweisen" kritisiert.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Den Haag, den 3. Juli 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker International
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009