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MELDUNG/061: Aufruf an die deutsche Politik, keine Waffen an die Kriegsparteien in Syrien zu liefern


Presseerklärung vom 3. Juni 2013

Aufruf an die deutsche Politik und Öffentlichkeit

- Keine Waffen an die Kriegsparteien in Syrien!
- Demokratiebewegung und Minderheiten stärken!



Der blutige Bürgerkrieg in Syrien hat sich zu einem Stellvertreterkrieg entwickelt, in dem die Zivilbevölkerung immer stärker zwischen die Fronten gerät. Während das schiitisch geprägte Regime unter Baschar al Assad Iran und den arabischen Irak, aber auch Russland im Rücken hat, finanzieren Saudi-Arabien und andere sunnitisch dominierte Verbündete die Gegner des Diktators. Die ethnischen und religiösen Minderheiten Syriens haben Anlass zu befürchten, dass es ihnen unter einer neuen Regierung kaum besser gehen wird. Denn nach mehr als 40 Jahren Herrschaft einer einzigen Partei und eines einzigen Clans - der Baath-Partei - ist Syrien nun mit einer neuen Bedrohung konfrontiert: der totalitären islamistischen Ideologie, die Jihadisten und Salafisten aus der ganzen Welt mit Gewalt durchsetzen wollen.

Schon unter Assad, der eine harte Arabisierungspolitik verfolgt, waren Minderheiten oft Unterdrückung, Angriffen und Vertreibungen ausgesetzt. Die Kurden, Turkmenen, Tscherkessen, arabischen Christen, Assyrer-Aramäer, Armenier, Ismailiten, Drusen und Yeziden stellen zusammen fast die Hälfte der rund 21 Millionen Einwohner des multiethnischen und multireligiösen Landes. Im derzeitigen Bürgerkrieg drohen seit Beginn des Jahres 2013 gezielte Hetze und Anschläge islamistischer Gruppen vor allem gegen die mindestens 1,5 Millionen Christen Syriens zu eskalieren. Am 22. April 2013 wurden in der Nähe von Aleppo im Norden des Landes sogar zwei christliche Würdenträger entführt - Ibrahim Hanna, Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche von Aleppo, und Bischof Boulos Yazigi von der griechisch-orthodoxen Kirche. Ihr Fahrer wurde erschossen.

Trotz des Kriegsausbruchs im Sommer 2011 bemühen sich die Christen in Syrien ähnlich wie die Repräsentanten der rund zwei Millionen Kurden um einen friedlichen und demokratischen Wandel. Doch trotz ihrer "Neutralität" gehören die Christen schon jetzt zu den Verlierern des Krieges. Denn während nahezu alle anderen ethnischen und religiösen Gruppen teils massive Unterstützung aus dem Ausland erhalten, stehen die Christen allein. Sie müssen Tod und Zerstörung ohnmächtig mitansehen oder mussten fliehen.

Nach vier Jahrzehnten Unterdrückung durch das Assad-Regime sind jetzt nicht nur die Christen, sondern auch die Religionsgemeinschaften der Yeziden, Ismailiten und Drusen sowie die muslimischen Kurden von islamistischen Kämpfern bedroht. Deshalb fordern die Unterzeichner:

Westliche Länder dürfen an die extremistische syrische Opposition keine Rüstung liefern! Sie müssen vielmehr auf die türkische Regierung einwirken, die logistische Unterstützung für die Islamisten zu unterbinden!

Russland muss seine fortgesetzten Rüstungsexporte an das Assad-Regime sofort einstellen!

Alle Pläne des Westens, in Syrien militärisch zu intervenieren, dürfen nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ein vollständiges Konzept für die Lösung der bestehenden innersyrischen Konflikte "auf dem Tisch liegt". Die Minderheiten und die gesamte Zivilbevölkerung müssen nicht nur vor Assads Luftwaffe, sondern auch vor marodierenden bewaffneten Gruppen jeglicher Couleur vor Ort geschützt werden. Die Bevölkerung in Syrien darf nach einem militärischen Eingreifen nicht ihrem Schicksal überlassen werden wie etwa in Somalia.

Die Unterzeichner dieses Aufrufs unterstützen die Forderung nach Religions- und Meinungsfreiheit in einem neuen Syrien. Sie würden es begrüßen, wenn der Staat föderativ aufgebaut wäre, weil so einer strukturellen Machtkonzentration entgegenwirkt wird. Es darf in keinem Fall wieder vorkommen, dass Repräsentanten einer einzigen Bevölkerungsgruppe, wie momentan Baschar al-Assad und seine alawitischen Verbündeten, die Macht übernehmen und über die multireligiöse und multiethnische Bevölkerung Syriens herrschen.


Unterzeichner:
  • Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
  • Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V
  • Anba Damian, Generalbischof der Koptischen Kirche in Deutschland
  • Arbeitsgruppe Anerkennung - Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.
  • Dr. Claudia Rammelt, Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
  • Dr. phil. Tessa Hofmann, Philologin und Soziologin (Freie Universität Berlin)
  • Jürgen Hoppe, Journalist
  • Komkar, Verband der Vereine aus Kurdistan in Deutschland e.V.
  • Mehmet Tanriverdi, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland - BAGIV e.V
  • Mor Julius Dr. Hanna Aydin, syrisch-orthodoxer Bischof
  • Pfr. Christian Kurzke, Kirchenkreis Gera.
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Tamcke, Georg-August-Universität Göttingen
  • Prof. Dr. Ulrich Pätzold, Journalist
  • Zentralrat der Yeziden in Deutschland

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 3. Juni 2013
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2013