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NAHOST/118: Neue Verfassung von Irakisch-Kurdistan Vorbild für Minderheitenpolitik


Presseerklärung vom 30. Juni 2009

Nationalitätenpolitik im Nahen Osten

Neue Verfassung von Irakisch-Kurdistan ist Vorbild für Nationalitäten- und Minderheitenpolitik des Nahen Ostens


Als wegweisendes Vorbild für die Nationalitätenpolitik und die Lösung von Minderheitenproblemen im Nahen Osten hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die neue Verfassung des autonomen Bundesstaates Irakisch-Kurdistan bezeichnet. "Darin sind die Rechte aller größeren in Irakisch-Kurdistan lebenden Volksgruppen ausdrücklich verankert einschließlich des Rechts auf Selbstverwaltung sowie Glaubensfreiheit", erklärte der Präsident der GfbV-International, Tilman Zülch am Dienstag in Göttingen. Auch kleinere Gemeinschaften könnten sich so ungehindert entfalten." Das Regionalparlament in Arbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, hat den Verfassungsentwurf in der vergangenen Woche verabschiedet. Jetzt sollen die Bürger des Bundesstaates bei den für den 25. Juli geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen für Annahme oder Ablehnung der neuen Verfassung stimmen.

Die Wünsche aller Nationalitäten wurden in der neuen Verfassung berücksichtigt. So heißt es dort in Artikel 15: "Die Bevölkerung des Bundeslandes Irakisch-Kurdistan setzt sich zusammen aus Kurden, Arabern, Turkmenen, Chaldäern-Aramäern-Assyren, Armeniern und anderen Bürgern Kurdistans/Irak." Artikel 35 lautet: "Diese Verfassung gewährleistet die nationalen, kulturellen und administrativen Rechte der Turkmenen, Araber, Chaldäer-Aramäer-Assyrer, Armenier einschließlich ihres Rechtes auf regionale Autonomie in den Regionen und Gemeinden, in denen diese Volksgruppen eine Mehrheit bilden." Artikel 36 garantiert in vollem Umfang Glaubensfreiheit nicht zuletzt für die christlichen Konfessionen und die Religionsgemeinschaft der Yeziden.

Neben dem Kurdischen und Arabischen sind das Turkmenische, das Neuaramäische und das Armenische als Sprachen der kleineren Nationalitäten anerkannt. In Gemeinden oder Regionen, wo diese die Mehrheit bilden, wird ihnen lokale oder regionale Autonomie zuerkannt. Auch das Recht auf muttersprachlichen Unterricht wird von der Verfassung von der Grundschule bis zur Universität gesichert.

Ein Wahlgesetz für Kurdistan legt ferner fest, dass von 111 Sitzen des Regionalparlaments elf Sitze für nicht-kurdische Nationalitäten vorgesehen sind. Für Turkmenen und Christen jeweils fünf Sitze und ein Sitz für die kleine armenische Volksgruppe. Auch für die Provinzräte ist eine weitgehende Quotenregelung für die kleineren Gemeinschaften eingeführt worden: In Sulaimaniya ist ein Sitz für die Chaldäer-Aramäer-Assyrer reserviert, in Arbil sind es drei Sitze für Turkmenen, zwei für aramäischsprachige Christen, einen für Armenier, während in Dohuk zwei Sitze aramäischsprachigen Christen und einer Armeniern vorbehalten ist. Die kleineren Völker werden in allen Gremien dank dieser garantierten Sitze über mehr Repräsentanten verfügen, als es ihrem Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung entspricht.

In Kurdistan/Irak bestehen schon heute ein turkmenisches sowie ein neuaramäisches Bildungssystem mit 58 aramäischen, 16 turkmenischen und zwei armenischen Schulen. Beide Nationalitäten besitzen Medien (Presse, Funk, Fernsehen, sowie Kulturinstitute) in ihren Sprachen. Ferner gibt es eine private türkische Universität sowie ein theologisches Seminar der chaldäisch-katholischen Kirche für die Priesterausbildung, das nach der jüngsten Massenflucht der Christen aus Bagdad in die kurdische Hauptstadt Arbil verlegt wurde.

Die GfbV ist in Arbil/Irakisch-Kurdistan mit einer Sektion vertreten, der Repräsentanten aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften angehören.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 30. Juni 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009