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AIKOR/103: "Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden!"


Anti-Imperialistische Korrespondenz (AIKor)
- Informationsdienst der Vereinigung für Internationale Solidarität (VIS) e.V. vom 1. April 2009 -


Liebe Leute,

zum NATO-Gipfel am 3./4. April 2009 in Strasbourg und Baden-Baden dokumentiere ich:

60 JAHRE ZUVIEL
Aus: junge Welt Beilage no nato vom 1. April 2009
Von Rainer Rupp.
URL: http://www.jungewelt.de/beilage/art/1998
[ 1 ]

ERKLÄRUNG DES GRIECHISCHEN KOMITEES
FÜR INTERNATIONALE ENTSPANNUNG UND FRIEDEN (EEDYE)

http://www.solidnet.org/cgi-bin/lpr?news/076kke3mar09.doc
[ 2 ]

DER IMPERIALE PITBULL
Von Edward S. Herman
Aus: junge Welt Beilage "no nato" vom 1. April 2009
URL: http://www.jungewelt.de/beilage/art/2002
URL: http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=11989 [ 3 ]

KRIEG OHNE GRENZEN
Obamas unlängst verkündete »neue Strategie für Afghanistan und Pakistan«
knüpft fast vollständig an die Politik seines Amtsvorgängers an
Von Knut Mellenthin
Aus: junge Welt vom 31. März 2009
URL: http://www.jungewelt.de/2009/03-31/020.php
[ 4 ]

ANGRIFFSZIELE IM SUDAN
Sunday Times: 50 Tote bei drei israelischen Luftattacken auf Waffentransporte
Von Knut Mellenthin
Aus junge Welt vom 30. März 2009
URL: http://www.jungewelt.de/2009/03-30/050.php
[ 5 ]

RAUS AUS DER NATO
Anlässlich des bevorstehenden Gipfels zum 60. Gründungstag der NATO regt
sich auch in der Türkei Widerstand gegen die westliche Militärallianz.
Von Nick Brauns
Aus: junge Welt vom 10. Februar 2009
http://www.jungewelt.de/2009/02-10/001.php
[ 6 ]



In eigener Sache:

In Solidarität mit den aktuellen Protesten gegen den NATO-Gipfel haben der Deutsche Freidenker-Verband und mehrere andere Antikriegsgruppen eine neue Kampagne gestartet. Sie kritisieren die in der Friedensbewegung und bei linken Parteien dominierende Forderung nach "Auflösung der NATO". Sie plädieren für eine Kampagne für den Rückzug Deutschlands aus dem NATO-Pakt und den Militärstrukturen der EU. "Propagieren wir beharrlich das Ziel, dass einzelne Mitgliedsländer sich einseitig aus den Strukturen der NATO zurückziehen. Jede Schwächung der NATO stärkt die Kräfte des Friedens und Fortschritts in der ganzen Welt", heißt es in dem internationalen Aufruf der Kampagne, der in 14 Sprachen vorliegt und weltweit unterzeichnet wird.

Die Anti-imperialistische Korrespondenz ist bemüht, zu der Kampagne "Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden!" durch Verbreitung wichtiger Texte in der bisherigen Form beizutragen. Neu ist, dass die Texte in der Regel auch auf der Kampagnen-Webseite www.neinzurnato.de erscheinen, die ebenfalls von mir redigiert wird. Dort können sie im Zusammenhang mit thematisch verwandten früheren Artikeln nachgelesen werden.

Der internationale Aufruf "Nein zur NATO" kann auf der Webseite von Tlaxcala, dem internationalen Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt, hier
http://www.tlaxcala.es/detail_campagne.asp?lg=de&ref_campagne=9
unterzeichnet werden.
Zur Unterschrift des Aufrufs kommt man auch über die Kampagnen-Webseite www.neinzurnato.de.

Für die Kosten der Erstellung der Webseite bitten die Unterstützer der Kampagne um eine einmalige Spende.

Spendenkonto:
VKSB (Verein für Kulturelle Selbstbestimmung e.V.),
Konto-Nummer. 23290, Sparkasse Starkenburg (BLZ 509 514 69)
Kennwort: Nein zur NATO

Mit internationalistischen Grüßen

Klaus von Raussendorff



Die dokumentierten Texte stehen auch auf der Webseite
"Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden!"
http://www.neinzurnato.de

Ältere AIKor-Infos können auf der Seite der AIKor http://www.aikor.de
unter "Info-Dienst der AIKor" runter geladen werden


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[ 1 ]

60 JAHRE ZUVIEL

Von der »Bürde des weißen Mannes« zur »globalen Verantwortung«: Die NATO strebt nach Ausdehnung ihres Einflusses und betreibt in kolonialer Tradition ihrer Mitglieder die Aufteilung der Welt. Doch gegen den imperialen Kriegspakt regt sich Widerstand

Von Rainer Rupp.

Aus: junge Welt Beilage "no nato" vom 1. April 2009


Allein die beiden jüngsten US- und NATO-Kriege in Afghanistan und im Irak haben weit über eine Million zivile Todesopfer gefordert. Hinzu kommen Millionen zu körperlichen oder seelischen Krüppeln geschossene Menschen und Millionen Flüchtlinge. Und alles im Namen von Demokratie und Menschenrechten, für die freie Marktwirtschaft und den »American style«.

Und genug ist niemals genug. Unaufhörlich drängen die US-geführte NATO und die EU danach, ihren Einfluß immer weiter auszudehnen, nach Afrika, in den sogenannten Größeren Mittleren Osten und insbesondere in die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken. Denn dort warten große Reichtümer an Öl und Gas und andere Rohstoffe nur darauf, zur Ausbeutung durch westliche Konzerne befreit zu werden.

Dafür aber müssen erstens die Zugänge durch den Kaukasus und durch Afghanistan gesichert, zweitens die lokalen Regierungen durch Zuckerbrot oder Peitsche gefügig gemacht und drittens muß Rußland geschwächt und marginalisiert werden.

Genau diese drei Ziele verfolgen NATO und EU in dieser Region, nicht zuletzt mit solch harmlos klingenden Programmen wie »NATO-Partnerschaft für den Frieden« oder dem im Mai letzten Jahres von der EU aufgelegten »Eastern Partnership« (Östliche Partnerschaft). Dabei ziehen die EU, die NATO und die USA am gleichen Strang, und zwar nicht erst seit kurzem.

NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer konstatierte bereits vor vier Jahren: »Die NATO und die EU machen ziemlich gute Fortschritte bei der Koordinierung der modernen militärischen Fähigkeiten. Ich bin optimistisch, daß wir unsere Kooperation auf weitere Gebiete ausdehnen können, wo wir gemeinsame Sicherheitsinteressen haben und wo wir uns gegenseitig ergänzen und verstärken können. Und hier meine ich Gebiete wie ... den Kaukasus und Zentralasien« (NATO International, 31. März 2005).

Der Staatssekretär im US-Außenministerium Nicholas Burns, der zuvor US-Botschafter beim Militärpakt gewesen war, begrüßte den Appell des NATO-Generalsekretärs und unterstrich seinerseits, »daß das NATO-Bündnis und die EU ihre Kooperation verstärken müssen, um jenseits der NATO-Grenzen in Europa, Afrika und Zentralasien für Sicherheit zu sorgen.« (AP, 26. Mai 2005)

In diesem Reigen durfte natürlich auch ein deutscher Verteidigungsminister nicht fehlen. Peter Struck (SPD) unterstrich damals: »Es wäre vollkommen falsch, die Fortschritte der europäischen Verteidigungsfähigkeiten getrennt von den Fortschritten innerhalb der NATO zu sehen«. Denn beide, NATO und EU zusammen, müßten vor dem Hintergrund eines sich schnell wandelnden Sicherheitsumfeldes besser für Einsätze außerhalb der NATO-Grenzen vorbereitet sein. (Deutsche Welle, 13. April 2005)

Sinn und Zweck dieser Einsätze rund um die Welt werden in den verschiedenen Weißbüchern der NATO-Armeen, so auch in dem der Bundeswehr, und ebenso im geltenden Neuen Strategischen Konzept des Pakts aus dem Jahr 1999 hinreichend beschrieben. Zwar werden die imperialen Ambitionen wie üblich mit dem Gerede um Menschenrechte und Frieden, Freiheit und Demokratie vernebelt, unterm Strich jedoch geht es stets um die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen und Märkten, und /oder um die Beherrschung geostrategisch wichtiger Positionen. Schon in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« des Bundesverteidigungsministerium vom 26. November 1992 wurde es u.a. zur Aufgabe der Bundeswehr gemacht, für deutsche Konzerne »den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« und die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels« zu sichern.

In der Tat haben EU/NATO/USA inzwischen einen großen Teil der Welt bereits unter sich aufgeteilt, mit Ausnahme der westlichen Hemisphäre, welche die USA nach wie vor für sich allein beanspruchen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die jüngst erfolgte Wiederindienststellung der Vierten US-Flotte verwiesen. Andere Regionen, ja ganze Kontinente sind bereits filetiert. Am deutlichsten wird das in Afrika. Hier haben sich die »Missionen« der EU vervielfacht, insbesondere in der rohstoffreichen Region des Kongo aber auch am strategisch wichtigen Horn von Afrika.

Unverfroren hatte der NATO-Interventionsexperte Jamie Shea in einer öffentlichen Sitzung des »Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung« des Europäischen Parlaments (EP) in Brüssel im Dezember 2006 das Konzept zur besseren Arbeitsteilung zwischen EU und NATO präsentiert, die sowohl regional als auch funktional sein müßte. Funktional sollte die EU sich mehr um die nicht-militärischen Aspekte der gemeinsamen Sicherheitsinteressen kümmern, während die militärische Hardware, also die großen Kriege zu führen, Aufgabe der NATO sei. Regional sollte das ehemalige koloniale Afrika in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen und der »Größere Mittlere Osten« in den der NATO, meinte Shea, der für seine Verdienste zur verlogenen Rechtfertigung des Angriffskrieges gegen Jugoslawien (»Wie verkauft man einen Krieg«) vom Sprecher zum Direktor für Politikplanung des Militärpakts befördert worden ist.

Vorwärts ins 19. Jahrhundert

Die imperiale Neuaufteilung der Welt zeigt, daß seit dem Untergang des realexistierenden Sozialismus 1991 eine konservative Restauration stattgefunden hat, die direkt ins 19. Jahrhundert, ins Zeitalter der Expansion des Kolonialismus zurückführt. Die drückt sich auch im Verhalten der euro-atlantischen NATO-Eliten aus. In ihrem Umgang mit anderen Ländern erkennt man den gleichen kolonialen Hochmut wie im 19. Jahrhundert, die gleichen herrischen Ansprüche, die gleiche Arroganz, mit der verbriefte Rechte der anderen in den Dreck getreten werden und die gleiche Kanonenbootpolitik, mit der »widerspenstige Eingeborene« zusammengeschossen werden.

Faktisch, wenn auch nicht formal haben die Mächte des Westens im Rahmen von EU und NATO eine Parallele zum Wiener Kongreß 1815 und zum Kongreß von Berlin im Jahr 1878 geschaffen. Zur Erinnerung: Der Wiener Kongreß fand nach dem Ende der Napoleonischen Kriege statt. Er legte die Grundlage für die sogenannte Heilige Allianz, also für die Restauration der Monarchie und des Feudalismus in Europa. Mit dem Spuk der gefährlichen republikanischen Gedanken der französischen Revolution sollte ein für allemal Schluß sein. Kurz, die Neue Weltordnung der »Heiligen Allianz« sollte sicherstellen, daß niemals wieder in Europa ein gekröntes Haupt von einer republikanischen Bewegung bedroht würde.

In der Neuzeit erlebt seit 1991 das damalige Verbot aller Formen republikanischen Denkens und Regierungsformen eine Renaissance. Man muß heute nur »republikanisch« mit »sozialistisch« oder »kommunistisch« ersetzen. In der Tat herrscht heute wieder eine neue »Heilige Allianz«, die versucht, alle politischen Parteien und Bewegungen, die die Rechte der großen Mehrheit der Menschen verteidigen, zu verteufeln, zu marginalisieren, ja sogar zu kriminalisieren. In einem systematisch von oben geführten Klassenkampf soll jeder Widerspruch, sogar jeder Gedanke an eine gesellschaftliche Alternative zur vorherrschenden neoliberalen »Wahrheit« unterdrückt werden.

Als zweites haben sich die euro-atlantischen Eliten des Großkapitals mit der Zusammenarbeit von EU und NATO ein Pendant zum Berliner Kongreß von 1878 geschaffen. Er läutete damals die kooperative Phase unter den damaligen europäischen Großmächten zur Aufteilung der Welt ein. Die begann mit der Ziehung neuer Grenzen und Einflußzonen auf dem Balkan, ohne daß die Vertreter der betroffenen Länder dazu gefragt worden wären. Wenige Jahre später wurde auf einer neuerlichen Konferenz in Berlin (15. November 1884 bis 26. Februar 1885) die Aufteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächten vorgenommen. Beteiligt waren Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich, Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden-Norwegen, Italien, Portugal und Spanien.

Ähnlichkeiten zwischen damals und heute sind unverkennbar. Damals wie heute wurde der von Macht- und Profitgier motivierte Wettlauf der europäischen Großmächte um die afrikanischen Rohstoffe vor der Öffentlichkeit mit humanitären Phrasen gerechtfertigt. Den armen Wilden auf dem »dunklen Kontinent« mußten der Erlöser Jesus Christus und die anderen Werte der europäischen Zivilisation gebracht werden. Ja, die Kolonisierung wurde sogar als schwere, opferreiche und selbstlose Aufgabe der Kolonialmächte hingestellt: als die »Bürde des weißen Mannes«.

Auch hier sind die Parallelen zur Gegenwart nicht zu übersehen. Man muß nur die operativen Schlagwörter ersetzen: »Menschenrechte« statt »Zivilisation«, »Bürde des weißen Mannes« heißt heute »globale Verantwortung übernehmen«, usw. Die Ziele sind die alten geblieben: Zugang zu Rohstoffen und Märkten und strategische Positionen zu erobern.

Um zu demonstrieren, wie sehr die Vergangenheit bereits wieder Gegenwart geworden ist, sei hier aus einem Artikel in The Times vom 12. Juni letzten Jahres zitiert. Geschrieben wurde er vom ehemaligen britischen Verteidigungsminister und späteren NATO-Generalsekretär (1999-2004) Lord George Robertson und dem ehemaligen Hohen Kommissar der EU für Bosnien-Herzegowina, Lord Paddy Ashdown, der jüngst als Koordinator für die EU und NATO in Afghanistan im Gespräch war. »Die Anstrengungen zur Schaffung europäischer Schlachtgruppen müssen vermehrt und voll kompatibel mit den NATO-Reaktionskräften gemacht werden, um so eine Basis für eine europäische Fähigkeit zur Aufstandsbekämpfung zu schaffen, die imstande ist, in zerfallenden Staaten (failed states) und ähnlichen Umfeldern zu operieren.«

Dieses an die westlichen Eliten gerichtete Manifest zur gemeinsamen Rebellenbekämpfung in den Kolonien der neuen, neoliberalen Weltordnung fährt mit der Bemerkung fort: »Diese [militärischen Fähigkeiten zur Aufstandsbekämpfung] sind unerläßlich, wenn wir gerufen werden, um in irgendwelchen unregierbaren Räumen, welche durch die Globalisierung geschaffen wurden, die staatliche Autorität wiederherzustellen.«

Der NATO-Gipfel 2009

Auf dem NATO-Gipfel in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden am 3. und 4. April feiert das westliche Establishment nicht nur den 60. Gründungtag der Organisation, die mit brutalen Interventionen und völkerrechtswidrigen Kriegen die wirtschaftliche und politische Macht der herrschenden Eliten absichern soll. Es geht auch um die Erneuerung der NATO-Strategie zur Festigung ihres Selbstverständnisses als globale Ordnungsmacht. Allerdings ist bei den Vorbereitungen nicht alles nach Plan gelaufen. Mit der Ausarbeitung der neuen Strategie, die in Strasbourg/Baden-Baden hätte abgesegnet werden sollen, ist noch nicht begonnen worden. Stattdessen gab es Streit über Sinn und Zweck der NATO. Manche Mitglieder befürchten, daß eine erneute Strategiediskussion das Bündnis sprengen könnte. Zu unterschiedlich sind in manchen Bereichen die Vorstellungen. Nicht einmal über das Forum, in dem die neue Strategiedebatte stattfinden soll, war man sich eine Woche vor dem Gipfel einig.

Ginge es jedoch nach den strammen Atlantikern, dann würde die NATO für den globalen Einsatz noch schlagkräftiger und noch gefährlicher gemacht. Blaupausen dafür haben im Vorfeld der Strategiedebatte bereits vor einem Jahr fünf NATO-Schwergewichte, darunter der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Klaus Naumann, präsentiert. In dem Papier »Towards a new Grand Strategy« wird der Kurs der NATO weiter auf globale Kriege gerichtet. Globale Militärinterventionen sollen selbstverständlich auch ohne UN-Mandat durchgeführt werden können, um NATO-Interessen zu verteidigen.

Ferner soll das bisherige Konsensprinzip im NATO-Rat abgeschafft werden, so daß jederzeit eine »Koalition der Willigen« unter Rückgriff auf NATO-Kapazitäten Krieg führen kann. Dieses Papier enthält neben der Rechtfertigung von Präventivkriegen auch den Ersteinsatz von taktischen Atomwaffen zu deren Unterstützung, z.B. wenn die NATO-Atomwaffenstaaten andere Staaten davon abhalten wollen, Atomwaffen herzustellen.

Zunehmend Widersprüche

Die von NATO/EU/USA vertretene neoliberale Weltordnung ist jedoch heute weniger fest etabliert als noch vor einem Jahr, denn im Inneren dieser Allianz zeigen sich zunehmend starke Widersprüche: unterschiedliche Einstellungen zu Rußland sorgen für Ärger, insbesondere wegen der Versuche Washingtons, die Länder des »neuen Europa« für seine Zwecke zu instrumentalisieren und gegen das »alte Europa« auszuspielen. Dieses strebt eine »strategische Partnerschaft« mit Rußland an, was von US-gestützten EU-Neulingen wie Polen, Tschechien und Ungarn blockiert wird.

Zugleich sind die »widerspenstigen Eingeborenen« in Afghanistan für Krisenstimmung in der NATO verantwortlich. Am Hindukusch, auf dem Friedhof der Imperien, stehen laut Aussagen führender US-Strategen nicht nur die »Glaubwürdigkeit« und »die Zukunft der NATO auf dem Spiel«, sondern auch der Führungsanspruch der Amerikaner über Europa.

Hinzu kommt die derzeitige schwere Krise des Kapitalismus, welche die ideologischen Fundamente der herrschenden neoliberalen Eliten zutiefst erschüttert. Die weitreichenden Folgen lassen sich nur erahnen. »Hier ist eine Weltanschauung kaputtgegangen«, sagte der deutsche Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am 16. März dieses Jahres. Und laut US-Geheimdienst CIA stellt nicht mehr der »globale Terror« die größte Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika dar, sondern die Wirtschaftskrise.

Nicht zuletzt gibt es immer mehr Menschen, insbesondere junge, die die Machenschaften der neuen »Heiligen Allianz« durchschauen und sich der Aufgabe der NATO, die neoliberale Globalisierung militärisch abzusichern, widersetzen.


Rainer Rupp ist Diplom-Volkswirt und Publizist. Ab 1977 arbeitete er in der politischen Abteilung des NATO-Wirtschaftsdirektorats in Brüssel - als Kundschafter der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung). Unter dem Decknamen »Topas« lieferte er zwölf Jahre lang wichtige Informationen aus dem Inneren des westlichen Militärpakts an den Auslandsgeheimdienst der DDR. Für seine dem Frieden dienende Arbeit wurde Rupp 1994 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Der Artikel in dieser Beilage basiert auf seinem Vortrag auf der Konferenz »Nein zur NATO - Nein zum Krieg« des Europäischen Friedensforums (epf) am 14./15. März 2009 in Berlin.

URL: http://www.jungewelt.de/beilage/art/1998


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[ 2 ]

Erklärung des Griechischen Komitees für Internationale Entspannung und Frieden (EEDYE)


Es ist jetzt 60 Jahre her seit der Gründung der NATO, die heute ihre Allgegenwart als eine höchst menschenfeindliche, verbrecherische Organisation behauptet und eine ständige Bedrohung der Völker und des Weltfriedens darstellt.

Die so genannte Nordatlantische Vertragsorganisation (NATO), die am 4. April 1949 gegründet wurde, stellte in ihrer Gründungserklärung ihren interventionistischen und aggressiven Charakter deutlich heraus, ungeachtet des Umstands, dass man der Bevölkerung fälschlicherweise versicherte, es handle sich um eine Verteidigungsorganisation.

Die Gründung der NATO war Ausdruck der Aggressivität des Imperialismus gegen die UdSSR und andere sozialistische Länder.

Dass es sich um einen defensiven Vertrag gehandelt haben soll, ist eine Lüge, wie schon dadurch bewiesen ist, dass der Warschauer Pakt 1955 gegründet und 1991 aufgelöst wurde.

Zugleich verfolgte die NATO, wie in ihrem Handbuch aus dem Jahre 1995 zynisch eingeräumt wird, das Ziel, jede Form von Wandel und Umsturz in westeuropäischen Ländern mit Waffengewalt zu blockieren. Erwiesenermaßen unterhielt deshalb die NATO abgesehen von der Kontrolle über die Streitkräfte der Mitgliedstaaten paramilitärische Organisationen und Waffenlager wie die Spezialtruppe "Sheepskin" (Schafsfell) in Griechenland und "Gladio" in Italien. Deshalb wie aber auch zum Schutz der Interessen des Kapitalismus unterstützte sie reaktionäre Regimes und Diktaturen in Griechenland und der Türkei sowie die faschistischen Regimes von Franco in Spanien und Salazar in Portugal und spielte eine führende Rolle bei der Teilung Zyperns.

Die Geschichte der NATO in ihrer Rolle als "Sheriff" des Imperialismus ist mit Verstößen gegen internationales Recht verknüpft. Sie ist gezeichnet vom Blut der Opfer ihrer direkten oder indirekten Interventionen in aller Welt.

Gerade gegenwärtig ist die Rolle und der Charakter der NATO als ein internationaler mörderischer Militärmechanismus, als entscheidendes Hilfsmittel imperialistischer Einwirkung innerhalb der Mitgliedstaaten wie außerhalb ihrer Grenzen zwecks Errichtung der "Neuen Ordnung" des Imperialismus vollständig offen gelegt.

Nach der Auflösung des Warschauer Paktes übernahm die NATO bereits 1992 beim Gipfel-Treffen in Rom und 1999 in Washington eine neue Doktrin, welche die Möglichkeit von Interventionen in der ganzen Welt vorsieht, und zwar im Zeichen neuer Gefährdungen wie Terrorismus, Rohstoffversorgung etc. Sie betrieb ihre weitere Ausdehnung, indem sie ehemalige sozialistische und andere Länder eingliederte und indem sie Sonderverträge und Abkommen mit Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas schloss. Beim Riga-Gipfel 2006 eröffnete sie die Zusammenarbeit mit Australien, Neuseeland und Japan, die bereits am Afghanistan-Krieg teilnehmen.

Bei der Gipfelkonferenz in Istanbul 2004 bestätigte die NATO den Plan für einen größeren Mittleren Osten zur Vorbereitung auf Interventionen zur Unterwerfung der Region unter den Imperialismus. In dieser ganzen Zeit entwickelte sie weiter ihre neue Struktur, die hauptsächlich auf den aggressiven, mörderischen "Schnellen Eingreiftruppen" beruht.

Unterstützt von USA, EU sowie sonstigen untergeordneten Faktoren, verfolgte die NATO - und dies mit weitgehendem Erfolg - das Ziel der Überarbeitung der VN, um sich indirekt selbst als wesentlicher Stützpfeiler und Mechanismus "friedenserhaltender Maßnahmen" der VN aufzubauen, bei denen es vorrangig um die Besorgnis geht, die imperialistischen Pläne unter dem Deckmantel der "internationalen Legitimität" durchzusetzen.

Die USA und die EU betrieben die Auflösung Jugoslawiens, und in diesem Zusammenhang entfachte die NATO den Krieg in Bosnien, plante und führte 1999 den schmutzigen Krieg gegen Serbien mit einer 78tägigen Bombardierung, welche das Land in Schutt und Asche legte und zur NATO- und EU-Besatzung des Kosovo und seiner "Unabhängigkeit" führte.

Die Kriege und Interventionen der NATO auf dem Balkan und in Afghanistan sowie die Beteiligung eines Teils der NATO an der Invasion im Irak haben bewiesen, dass der Feind, gegen den sich die imperialistische Brutalität und die Durchsetzung einer "neuen Ordnung" richtet, die Staaten sind, und zwar selbst dann, wenn sie gehorsam sind, sowie die Völker, die gegen imperialistische Verschwörung und Eroberung reagieren. Dieser Feind ist im Visier der mörderischen Aktionen der NATO, weshalb die Aufrüstung vorangetrieben und neue bedrohliche Waffensysteme entwickelt werden, wie beispielsweise der so genannte Raketenabwehr-Schild.

Griechenland und das griechische Volk zahlten den Preis für die Teilnahme an der NATO, die den Schutzschild darstellt, welcher die Interessen der Monopole und des Imperialismus garantiert.

Die Obristen-Junta, die Teilung Zyperns, der Grenzstreit in der Ägäis, die Auswirkungen der auf dem Balkan entstehenden Lage sind einige Beispiele für den "Schutz der NATO". Die Finanzierung der Militärausgaben und Kriegzüge der NATO mit dem Schweiß und Blut der arbeitenden Menschen unter der Verantwortung aller bisherigen Regierungen sind der Preis für den Schutz der Interessen der griechischen und ausländischen Monopolgruppen.

Der Imperialismus, die USA, die NATO und die EU beinhalten identische Konzepte. Trotz ihrer Gegensätze und Rivalitäten sind die ebenso wie die NATO gegen die Menschen gerichtet, sieht doch die EU im Euro-Vertrag in der NATO eine Hauptsäule und akzeptiert voll und ganz ihre Rolle.

Anlässlich ihres 60jährigen Bestehens versucht die NATO, den "Mangel an Kommunikation" mit der Bevölkerung zu überwinden und bedient sich der propagandistischen Verfälschung der Geschichte durch die Medien, die vom System manipuliert werden, die Universitäten, die mit Forschungsmitteln geködert werden, die Veranstaltungen örtlicher Gemeinden, die von ihren gutbezahlten Dienern organisiert werden.

Aber wir werden das nicht zulassen. Denn inzwischen ist jedermann nur allzu gut bekannt, dass die 60 Jahre NATO-Geschichte vom Blut des Volkes gezeichnet sind, mit Tod und Verwundung von Hunderttausenden Menschen, Zivilpersonen und Kindern gleichgesetzt werden.

Die neue Struktur und neue Doktrin der NATO sind reaktionär und abstoßen für die Menschen, die nur schweren Schlägen ausgesetzt worden sind. Deshalb ist es notwendig, die Mobilisierung und den Widerstand gegen die Imperialisten zu stärken.

Die NATO erscheint allmächtig, aber sie ist es nicht. Der Imperialismus bleibt nicht am Leben, wenn er nicht in der Lage ist, neue Märkte zu kontrollier, wenn er nicht seinen Einfluss erweitern kann, wenn er nicht andere Völker erobern und unterdrücken kann, auch die in jenen Staaten, die davon profitieren.

Der einzige Gegenpol zur NATO sind die anti-imperialistischen, friedliebenden Kräfte der Welt, die Antikriegsbewegung für Frieden, die in Zusammenarbeit mit der Bewegung der arbeitenden Klasse und den anderen populären Bewegungen der Frauen und der Jugend, der Solidaritätsbewegungen fordern, dass die NATO aufgelöst werden muss.

Dies ist die "Einbahnstraße" für alle Völker. Wir müssen die imperialistische Aggressivität stoppen. Wir müssen zur Niederlage des Imperialismus beitragen, weil dies die einzige Voraussetzung für eine friedliche Welt ist.

Die einzige Antwort auf die dunkle Front, die gegenwärtig durch USA, NATO und EU entsteht, und auf jene, welche die Versklavung der Völker unterstützen, exekutieren und fördern ist eine mächtige, friedliche, anti-imperialistische Volksfront.

Heute ist die nur verbale Verurteilung der Verbrechen und Bedrohungen der NATO nicht ausreichend. Nötig ist eine gewaltige, anti-imperialistische, friedliche Bewegung, welche alle konsequenten und radikalen Kräfte, die arbeitenden Menschen, die Jugend und breite soziale und populäre Kräfte vereint.

Die Menschen sind durchaus in der Lage, ihren Kampf zu gewinnen und ein Hindernis für die verbrecherischen Pläne der NATO und der anderen imperialistischen Kräfte zu bilden.

EEDYE und alle, die diesen Text unterzeichnen, rufen das griechische Volk und alle Massenorganisation der Volksbewegung auf zu einem langfristigen und entschlossenen Kampf mit der Forderung für:

die Auflösung der NATO
den Austritt Griechenlands aus der NATO
die Entfernung aller ausländischen Basen aus Griechenland
die Rückkehr aller griechischen Streitkräfte und anderer Missionen, die außerhalb des Landes im Einsatz sind und den Interessen des Imperialismus dienen.

NATO raus aus dem Balkan!
Lang lebe die Freundschaft der Völker!
Nieder mit der neuen imperialistischen Ordnung!


Inoffizielle Übersetzung aus dem Englischen: Klaus von Raussendorff

URL der englischen Version:
http://www.solidnet.org/cgi-bin/lpr?news/076kke3mar09.doc


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[ 3 ]

DER IMPERIALE PITBULL

Bedrohung für die Demokratie: Die NATO ist seit ihren Anfängen offensiv und aggressiv orientiert. Der Pakt ist diplomatie- und friedensfeindlich und in terroristische Operationen verstrickt.

Von Edward S. Herman

Aus: junge Welt Beilage "no nato" vom 1. April 2009


Es ist eines der irreführenden Klischees westlicher Darstellungen der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, daß die NATO als defensiver Zusammenschluß ins Leben gerufen wurde, um der Gefahr eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa vorzubeugen. Das ist falsch. Zwar wurde in der westlichen Propaganda die sowjetische Bedrohung hochgespielt, aber viele maßgebliche Staatsmänner der USA und Westeuropas waren sich bewußt, daß eine sowjetische Invasion keine reale Bedrohung darstellte. Die Sowjetunion war verwüstet und, obgleich über eine große Armee verfügend, erschöpft und erholungsbedürftig. Die Vereinigten Staaten saßen auf dem hohen Roß, der Krieg hatte ihre Wirtschaft wieder belebt, sie litten nicht unter Kriegsschäden und hatten in ihrem Arsenal die Atombombe, die sie der Sowjetunion vorgeführt hatten, indem sie eine Viertelmillion japanischer Zivilisten in Hiroshima und Nagasaki umbrachten. Ein Schlag gegen die Sowjetunion, bevor diese sich erholt und Atomwaffen hatte, wurde in Washington immerhin diskutiert, wenn auch zugunsten von »Eindämmung«, Wirtschaftskrieg und anderen Formen der Destabilisierung verworfen. Das Memorandum Nr. 68 des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten (National Security Council Report 68, kurz: NSC-68) vom April 1950 forderte unter Beschwörung der großen sowjetische Gefahr ausdrücklich ein Programm der Destabilisierung mit dem Ziel eines Regimewechsels im Land, der schließlich 1991 erreicht wurde.

So erklärte selbst ein Vertreter der harten Linie wie John Foster Dulles damals, im Jahre 1949: »Ich kenne keinen verantwortlichen hohen Mitarbeiter, Militär oder Zivilist, in dieser Regierung oder irgendeiner anderen Regierung, der glaubt, die Sowjetunion plane Eroberung durch offene militärische Aggression.« Aber man achte auf die Formulierung von Dulles: »offene militärische Aggression«. Die Bedrohung bestand eher in möglicher sowjetischer Unterstützung linker politischer Gruppierungen und Parteien in Westeuropa. Senator Arthur Vandenberg, eine treibende Kraft der NATO, erklärte offen, die Funktion des NATO-Militäraufbaus sei »hauptsächlich für den praktischen Zweck, eine angemessene Abwehr gegen innere Subversion zu gewährleisten.« Die viel größere Unterstützung rechter Kräfte durch die Vereinigten Staaten war natürlich keine Hilfe bei innerer Subversion oder eine Bedrohung der Demokratie; nur mögliche sowjetische Hilfe für die Linke fiel in diese Kategorie.

Die nicht-deutschen westeuropäischen Eliten machten sich mehr Sorgen über den deutschen Wiederaufstieg und eine deutsche Gefahr und waren ebenso wie die US-Vertreter mehr darum bemüht, die Macht der Linken in Europa niederzuhalten als besogt um irgendeine sowjetische Bedrohung, und die Vereinigten Staaten drängten die Europäer, ihre Streitkräfte aufzubauen und Waffen von US-Herstellern zu kaufen! Obgleich die sowjetische Militärgefahr wissentlich aufgebauscht, ja sogar erfunden war, war sie doch sehr nützlich, um die Linke in Verruf zu bringen, indem man sie mit Stalin und dem Bolschewismus und einem angeblichen Programm einer sowjetischen Invasion und einer mythischen Welteroberung in Verbindung brachte.

Tatsächlich war der Warschauer Pakt weit mehr ein »defensiver« Zusammenschluß als die NATO. Seine Aufstellung erfolgte zeitlich nach der NATO, war eindeutig eine Reaktion, und zwar eine Struktur der schwächeren Seite mit weniger zuverlässigen Partnern. Und am Ende brach er zusammen, wobei in dem langfristigen Prozeß der Destabilisierung und Demontage des Sowjetregimes die NATO eine wichtige Rolle spielte. Zum einen war die Aufrüstung und Stärke der NATO Teil der US-Strategie, die Sowjetunion dazu zu zwingen, Mittel für Waffen auszugeben, statt sie für die Wohlfahrt, das Glück und die Loyalität ihrer Bevölkerung verfügbar zu machen. Zum anderen leistete sie, indem sie eine echte Sicherheitsbedrohung schuf, der Repression Vorschub, die wiederum der Loyalität im Lande sowie dem Ansehen des Staates im Ausland Abbruch tat. Während der ganzen frühen Periode gaben sich die Sowjetführer die größte Mühe, mit dem Westen eine Art Friedensregelung auszuhandeln, einschließlich der Aufgabe der DDR; aber davon wollten die USA und folglich auch ihre europäischen Verbündeten nichts wissen.

Innere Subversion

Wie gesagt, aus offizieller Sicht der USA - und folglich auch der Großmedien - war nur die sowjetische Einmischung in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg eine »innere Subversion« und daher schlecht und bedrohlich. Doch jenseits einer solchen Orwellschen Welt hätte man eingestehen müssen, daß die USA die Sowjetunion weit überflügelten, indem sie in den Jahren nach 1945 nicht nur »innere Subversion«, sondern auch wirklichen Terrorismus förderten. Die Linke hatte während des Zweiten Weltkrieges an Kraft gewonnen, weil sie tatsächlich gegen Nazi-Deutschland und das faschistische Italien kämpfte. Gegen die sich daraus ergebenden Ansprüche der Linken auf politische Teilhabe und Macht sperrten sich die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln, einschließlich direkter Kriegshandlungen in Griechenland und durch massive Finanzierung anti-linker Parteien und Politiker in ganz Europa. In Griechenland unterstützten sie die äußerste Rechte, darunter viele Kollaborateure des Faschismus, und schafften es, ein widerwärtiges rechtsgerichtetes autoritäres Regime einzusetzen. Sie unterstützten weiterhin das faschistische Spanien und akzeptierten das faschistische Portugal als Gründungsmitglied der NATO, wobei Waffen der NATO Portugal halfen, weiter Kolonialkriege zu führen. Und auch anderswo unterstützten die Vereinigten Staaten, die führende NATO-Macht, rechtsgerichtete Politiker und ehemalige Nazis und Faschisten, während sie natürlich behaupteten, pro-demokratisch zu sein und gegen Totalitarismus zu kämpfen.

Am interessantesten war vielleicht die Unterstützung paramilitärischer Gruppen und des Terrorismus durch die USA und die NATO. In Italien unterhielten sie Bündnisbeziehungen mit rechten staatlichen und politischen Interessengruppen, Geheimgesellschaften wie »Propaganda Due« (P-2) und paramilitärischen Gruppen, die mit Polizeiunterstützung eine von ihnen sogenannten »Strategie der Spannung« betrieben, in deren Rahmen eine Serie terroristischer Aktionen ausgeführt wurden, die man der Linken in die Schuhe schob. Die berühmteste war der Bombenanschlag auf den Bahnhof Bologna im August 1980 mit 86 Toten. Die Ausbildung und Einbeziehung ehemaliger Faschisten und faschistischer Kollaborateure in Operationen von Polizei, CIA und NATO war in Italien außergewöhnlich, aber auch anderswo in Europa durchaus üblich.

Die NATO stand in direktem Zusammenhang mit der »Operation Gladio«, einem von der CIA in Zusammenarbeit mit Regierungen und Sicherheitsapparaten der NATO-Länder organisierte Programm zum Aufbau geheimer Kader und zur Lagerung von Waffen in einer Reihe europäischer Staaten, angeblich zur Vorbereitung auf eine drohende sowjetische Invasion, doch tatsächlich als Bereitschaftsmaßnahme gegen »innere Subversion« und zur Verfügung, um rechte Gruppen zu unterstützen. »Gladio« wurde bei einer Reihe von Gelegenheiten von rechten paramilitärischen Gruppen genutzt, um terroristische Operationen durchzuführen (darunter der Bombenanschlag in Bologna und viele terroristische Vorfälle in Belgien und Deutschland).

Auch in Griechenland kamen die Planungen von »Gladio« und NATO 1967 zum Einsatz, um eine »innere Bedrohung« zu bekämpfen, und zwar die demokratische Wahl einer liberalen Regierung. Dagegen wurde der »Plan Prometheus« der NATO vom griechischen Militär in die Tat umgesetzt, indem es die bestehende Ordnung durch eine Folter praktizierende Militärdiktatur ersetzte. Weder die NATO noch die Regierung von US-Präsident Lyndon B. Johnson erhoben Einwände. Während des faschistischen Zwischenspiels kamen andere Gladio-Kräfte aus Italien und anderswoher nach Griechenland zur Ausbildung, um zu lernen, wie man mit »innerer Subversion« umgeht.

Kurz, seit ihren Anfängen erwies sich die NATO als offensiv, nicht defensiv orientiert, diplomatie- und friedensfeindlich, verflochten mit breit gefächerten terroristischen Operationen und anderen Formen politischer Einmischung, die undemokratisch waren, ja eine Bedrohung der Demokratie darstellten (und die, wäre etwas Ähnliches von der Sowjetunion ausgegangen, als unerhörte Einmischung verurteilt worden wäre).

Die post-sowjetische NATO

Mit dem Ende der Sowjetunion und jenem bedrohlichen Warschauer Pakt verschwand auch die theoretische Begründung der NATO. War diese Begründung auch ein Betrugsmanöver gegenüber der Öffentlichkeit, so mußte die NATO doch ihre Daseinsberechtigung neu begründen, und dementsprechend übernahm sie auch bald eine umfangreichere und aggressivere Rolle. Kaum war mit dem Untergang der Sowjetunion die Notwendigkeit der Unterstützung Jugoslawiens entfallen, so wirkte die NATO schon bald mit ihren Mitgliedsstaaten USA und Deutschland zusammen, um gegen diesen früheren westlichen Alliierten Krieg zu führen und zu zerschlagen, und zwar in Verletzung des Verbots des Angriffskrieges durch die Charta der Vereinten Nationen.

Mitten im Bombenkrieg gegen Jugoslawien beging die NATO im April 1999 in Washington, D.C. vergnügt ihren 50. Geburtstag, feierte ihre Erfolge und erklärte mit charakteristischer Orwellscher Rhetorik ihre Treue zum Völkerrecht, und dies mitten im Zuge einer schreienden Verletzung der UN-Charta. Ursprünglich hatte das Gründungsdokument der NATO von 1949 im Namen der Mitgliedsländer einleitend »ihren Glauben an die UN-Charta« bekräftigt; diese hatten sich in Artikel 1 verpflichtet, »in Übereinstimmung mit der UN-Charta jeden Streitfall ... auf friedlichem Wege ... zu regeln.«

Diese Sitzung im April 1999 produzierte ein Dokument mit einem »Strategischen Konzept«, das für die NATO ein angeblich neues Programm entwarf, war doch die Plausibilität ihrer Funktion für »gemeinsame Verteidigung« zwecks Verhinderung eines sowjetischen Einmarsches entfallen. Nach wie vor betont die Allianz den Wert der »Sicherheit«, doch nunmehr hat sie »sich zu wesentlich neuen Aktivitäten im Interesse einer weiter gefaßten Stabilität« verpflichtet. Neue Mitglieder sowie »Partnerschaftsabkommen« werden in Aussicht gestellt, doch weshalb sie nach dem Kalten Krieg angesichts der globalen Macht der USA und ihrer Verbündeten noch erforderlich sind, bleibt unklar. Es wird eingeräumt, daß »ein umfangreicher konventioneller Angriff auf die Allianz höchst unwahrscheinlich ist«, aber unerwähnt bleibt selbstverständlich die Möglichkeit »eines umfangreichen konventionellen Angriffs« durch Mitglieder der Allianz. Man trumpft auf mit der Rolle der NATO auf dem Balkan, als einem anschaulichen Beispiel für die neue »Verpflichtung zu weiter gefaßter Stabilität«. Aber diese Bündnisaktion war nicht nur ein Fall völkerrechtlich definierter Aggression - »illegal aber legitim«, wie es in der Orwellschen Sprache der tonangebenden Apologeten hieß - auch spielte die NATO bei der Destabilisierung des Balkans im Kontrast zu ihrem Schriftstück eine entscheidende Rolle, indem sie zur Entfesselung ethnischer Kriege beitrug und sich der Suche nach einer diplomatischen Lösung für das Kosovo verweigerte; infolgedessen konnte Jugoslawien mit einem Bombenkrieg überfallen werden, der just in dem Moment abrollte, als dieses Dokument herausgebracht wurde.

Das »Strategische Konzept« erhebt den Anspruch, sich für Rüstungskontrolle einzusetzen, tatsächlich aber hat die NATO von Anfang an ständig weitere Aufrüstung gefördert, und so wurde auch allen neuen Mitgliedern wie Polen und Bulgarien auferlegt, ihre »inter-operativen« Waffensysteme aufzustocken, d.h. mehr Waffen einzukaufen, und zwar von Lieferanten in den USA und anderen westlichen Ländern. Seit Erscheinen dieses Dokuments 1999 haben die USA, die NATO-Führungsmacht, ihren Militärhaushalt mehr als verdoppelt und ihren Waffenexport erheblich gesteigert. Sie haben weiter auf weltraumgestützte Militäroperationen gedrängt, sind einseitig vom ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen von 1972 zurückgetreten, haben die Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrages von 1996 verweigert und den Landminen-Vertrag von 1997 sowie den UN-Vertrag zur Einschränkung des internationalen Handels mit verbotenen leichten Waffen abgelehnt. Mit NATO-Unterstützung haben sie einen neuen Rüstungswettlauf entfesselt, an dem sich viele Verbündete und Klienten der USA wie auch ihre Rivalen und als Angriffsziele in Frage kommende Länder beteiligt haben.

Im Dokument von 1999 nimmt die NATO ferner für sich in Anspruch, den Atomwaffensperrvertrag zu unterstützen, betont aber gleichzeitig, wie wichtig Atomwaffen für die Leistungskraft der NATO sind. Daher wird darin ein zentraler Bestandteil des Nichtverbreitungsvertrages abgelehnt, der mit dem Versprechen der Atommächte zu tun hat, auf die Beseitigung von Nuklearwaffen hinzuwirken. Was das bedeutet, ist klar: Die Begeisterung der NATO für die Nichtverbreitung betrifft nur ihre Angriffsziele wie den Iran. Atomwaffen »leisten einen einzigartigen Beitrag dazu, die Risiken eines Angriffs gegen die Allianz unberechenbar und untragbar zu machen.« Hätte aber der Iran solche Waffen, könnte er die »Risiken eines Angriffs« der »Allianz«, wie vom NATO-Mitglied USA und seinem Partner Israel angedroht, untragbar machen. Das kommt natürlich nicht in Frage.

In dem Abschnitt über Sicherheit erklärt das Strategische Konzept, man kämpfe für ein internationales Umfeld »auf der Grundlage der Stärkung demokratischer Institutionen und der Verpflichtung zu friedlicher Konfliktlösung, in der kein Land in der Lage wäre, ein anderes durch die Androhung von Gewalt einzuschüchtern oder zu zwingen«. Die Heuchelei ist an dieser Stelle geradezu schwindelerregend. Ist doch die eigentliche Essenz der Politik und Praxis der NATO das Androhen von Gewalt, und die Sicherheitspolitik der USA besagt ausdrücklich, daß die Planungen darauf gerichtet sind, die militärische Überlegenheit aufrechtzuerhalten und jede rivalisierende Macht daran zu hindern, diese Überlegenheit in Frage zu stellen, um global zu herrschen, d.h. die USA planen, durch Einschüchterung zu herrschen.

Die NATO behauptet nun, niemanden zu bedrohen und spricht im Strategischen Konzept sogar über mögliche gemeinsame »Operationen« mit Rußland. Wieder erreicht die Heuchelei ein hohes Niveau. Wie wir wissen, gab es ein Versprechen der USA an Gorbatschow, als er einwilligte, Ostdeutschland dem Westen anzuschließen, daß die NATO nicht »einen Zentimeter« weiter östlich rücken würde. Clinton und die NATO brachen dieses Versprechen im Handumdrehen, indem sie alle ehemaligen osteuropäischen Satelliten der Sowjetunion und die baltischen Staaten in die NATO aufnahmen. Nur Narren, die einer Selbsttäuschung erliegen und/oder Propagandisten würden nicht zugeben, daß dies eine Bedrohung der Sicherheit Rußlands ist - in dieser Region die einzige Macht, die allenfalls theoretisch die Mitgliedsländer der NATO bedrohen könnte. Aber das Strategische Konzept der NATO stellt sich dumm; nur Bedrohungen ihrer Mitglieder werden zur Kenntnis genommen.

Obwohl »Unterdrückung, ethnische Konflikte« sowie die »Verbreitung von Massenvernichtungswaffen« der neuen NATO angeblich ernste Sorgen bereiten, sind ihre Beziehungen mit Israel eng; weder der israelischen Politik der Unterdrückung und ethnischen Säuberung oder seinem halbherzig eingestandenen beträchtlichen Atomarsenal wurde (oder wird künftig) irgendein Hindernis in den Weg gelegt; weder der israelische Krieg gegen den Libanon 2006 noch seine mörderischen Angriffe auf Gaza sind ein Hinderungsgrund für innige Beziehungen, wie ja auch der unprovozierte Angriff der USA und Großbritanniens auf den Irak der Solidarität der NATO-Mitglieder keinen Abbruch getan hat. In seiner Eigenschaft als privilegierter Klient der USA ist Israel definitionsgemäß frei, gegen alle im Strategischen Konzept enthaltenen hohen Prinzipien zu verstoßen. (Der von Obama für den Posten des Sicherheitsberaters vorgesehene James Jones hat im Verlauf des letzten Jahres tatsächlich eine Besetzung des Gazastreifens und sogar der Westbank durch NATO-Truppen lauthals herbeireden wollen, und damit ist er innerhalb des US-Establishment keine einsame Stimme.)

Die neue NATO ist ein US-amerikanischer und imperialer Pitbull. Dieser hilft gegenwärtig bei der verstärkten Aufrüstung in der Welt, fördert den militärischen Aufbau der ehemaligen sowjetischen Satelliten in Osteuropa und der baltischen Staaten - inzwischen Satelliten der USA und der NATO - , arbeitet eng mit Israel zusammen, derweil dieser NATO-Partner seine Untermenschen [im Original auf deutsch/Anm.d.Übers.] einer ethnischen Säuberung und Enteignung unterzieht, hilft seinem Herrn und Meister, Klientelstaaten an der südlichen Grenze Rußlands zu errichten, besiegelt offiziell die Stationierung von US-Abwehrraketen in Polen, der Tschechischen Republik, Israel und in bedrohlicher Weise sonstwo weit entfernt von den Vereinigten Staaten und dringt auf die Verflechtung der US-Planungen mit einem breiteren »Schild« der NATO. Damit wird Rußland zu aggressiverem Verhalten und beschleunigter Aufrüstung geradezu gezwungen (genau wie früher durch die NATO).

Besetzung des Irak

Und selbstverständlich unterstützt die NATO die Besetzung des Irak. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer brüstet sich regelmäßig, daß alle 26 NATO-Staaten an der »Operation Iraqi Freedom« innerhalb des Irak oder in Kuwait beteiligt sind. Jedes einzelne Balkanland mit Ausnahme Serbiens hat im Irak Truppen gehabt und hat sie jetzt in Afghanistan. Die Hälfte der Staaten der ehemals sowjetischen Länder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) hat ebenfalls Truppen für den Irak zur Verfügung gestellt, einige davon auch in Afghanistan. Diese Länder sind Truppenübungsplätze zum Anlernen und »Inter-Operationalisieren« der neuen »Partner«, und zum Erschließen einer neuen Rekrutierungsbasis für Söldner für die zunehmenden »out-of-area«-Operationen der NATO, die sich an den US-Kriegen in Afghanistan und Pakistan immer aktiver beteiligt.

Die NATO prahlt, wie gesagt, mit ihrer Rolle in den Balkan-Kriegen, die ebenso wie die Kriege in Irak, Afghanistan und Pakistan einen Verstoß gegen die UN-Charta darstellten. Gesetzlosigkeit ist zwangsläufiger Bestandteil des neuen »Strategischen Konzepts«. Statt der früheren (verlogenen) »kollektiven Selbstverteidigung« ermächtigen sich die NATO-Mächte auf ihrem Expansionskurs selbst, militärische Feldzüge »out-of-area« oder sogenannte »nicht-Artikel V-Missionen« außerhalb des NATO-Gebiets durchzuführen. Wie der Rechtswissenschaftler Bruno Simma schon 1999 bemerkte, »ist die Botschaft, welche diese Stimmen in unserem Zusammenhang vermitteln, klar: Falls sich herausstellt, daß ein Mandat oder eine Legitimation durch den Sicherheitsrat für bevorstehende »nicht-Artikel V-Missionen« mit Streitkräften nicht zu erreichen ist, muß die NATO immer noch in der Lage sein, eine solche Zwangsvollstreckung durchzuziehen. Daß die Allianz dazu in der Lage ist, ist in der Kosovo-Krise demonstriert worden.«

Die neue NATO schätzt sich glücklich, ihrem Herrn und Meister zu helfen, rund um den Globus Macht zu demonstrieren. Außer der Hilfe bei der Einkreisung und Bedrohung Rußlands betreibt sie »Partnerschaftsabkommen« und führt gemeinsame Militärmanöver durch, so mit den sogenannten Ländern des Mittelmeer-Dialogs (Israel, Ägypten, Jordanien, Marokko, Tunesien, Mauretanien und Algerien). Ferner unterhält sie neue Partnerschaften mit den Staaten des Golf-Kooperationsrats (Bahrain, Kuwait, Saudi-Arabien, Oman, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate) und hat damit den militärischen Einsatzbereich der NATO von der Atlantikküste Afrikas bis hin zum Persischen Golf ausgedehnt. In gleichen Zeitraum erfolgte eine ununterbrochene Serie von NATO-Besuchen und Seemanövern mit den meisten dieser neuen Partner sowie im vergangenen Jahr der erste bilateralen Militär-Vertrag der NATO mit Israel.

Der Pitbull ist bestens disponiert, Israel zu helfen, seine massiven Rechtsverletzungen fortzusetzen, den USA und Israel zu helfen, den Iran zu bedrohen und möglicherweise anzugreifen sowie das kooperative Programm zur Befriedung ferner Völker in Afghanistan und Pakistan und sicher auch noch anderswo auszuweiten - alles angeblich im Interesse des Friedens und der im Strategischen Konzept erwähnten »weiter gefaßten Stabilität«. Die NATO selbst liefert - wie die UNO - unter dem Anschein des Multilateralismus einen Deckmantel für einen gesetzlosen und praktisch unkontrollierten imperialen Ausdehnungsdrang. Tatsächlich stellt die NATO als aggressiver globaler Arm der USA und anderer eingebundener regionaler Imperialismen eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit der Welt dar. Die NATO schickt sich an, ihren 60. Geburtstag zu feiern, und obwohl sie schon 1991 hätte aufgelöst werden müssen, hat sie sich statt dessen ausgedehnt, nimmt eine neue bedrohliche Rolle an, die in ihrem Strategischen Konzept von 1999 vorgezeichnet ist, und erfreut sich eines schreckenerregenden, bösartigen Wachstums.


Übersetzung aus dem Englischen: Klaus von Raussendorff

Edward S. Herman ist emeritierter Professor für Finanzwirtschaft an der Universität von Pennsylvania/USA und Medienanalyst. Eine Langfassung seines Artikels erschien zuerst bei Global Research und Z Magazine.
URL: http://www.jungewelt.de/beilage/art/2002
URL des Originals: http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=11989)


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KRIEG OHNE GRENZEN

Obamas unlängst verkündete »neue Strategie für Afghanistan und Pakistan« knüpft fast vollständig an die Politik seines Amtsvorgängers an

Von Knut Mellenthin

Aus: junge Welt vom 31. März 2009


Barack Obama hat am 27. März seine seit Wochen angekündigte »umfassende neue Strategie für Afghanistan und Pakistan« vorgestellt. Er selbst benutzte diese Bezeichnung schon im zweiten Satz seiner Ansprache, gleich nach dem »Good morning«. Die Klarstellung macht Sinn, denn ohne weiteres würde man das, was der US-Präsident dann vortrug, weder für eine Strategie noch für neu halten. Dazu fehlte auch das, was Grundlage jeder neuen Strategie sein müßte: Eine ernsthafte Untersuchung und Auseinandersetzung mit der Frage, warum über sieben Jahre nach Beginn der amerikanischen Militärintervention die Situation nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan so ist, daß Obama sie im ersten Satz seiner Aussagen zur Sache als »increasingly perilous«, zunehmend gefahrvoll, beschrieb. Faktoren, über die nicht nur die Kabuler Regierung, sondern die ganze Welt spricht, wie die immer stärkere »Entfremdung« der afghanischen und pakistanischen Bevölkerung durch die kontraproduktive amerikanische Kriegführung, tauchten in der Rede des US-Präsidenten überhaupt nicht auf. Kein Wort des Bedauerns oder einer menschlichen Regung für die zahllosen zivilen Opfer von Luftangriffen und Kommandoeinsätzen, schon gar nicht das Versprechen, es künftig besser machen zu wollen.

Als einzige Kritik an der Strategie seines Vorgängers sagte Obama gleich mehrmals in seiner Rede, daß in Afghanistan bisher zu wenig »Ressourcen« eingesetzt worden seien, weil diese falscherweise auf den Irak konzentriert worden seien. Versteht man unter »Ressourcen« hauptsächlich Soldaten, wie es Obama zu tun scheint, hat der Vorwurf immerhin eine gewisse innere Logik. Darüber hinausgehend trifft diese Kritik aber nicht das wirkliche Problem: Die US-Regierung hat seit Kriegsbeginn in Afghanistan insgesamt 31 bis 32 Milliarden Dollar für militärische und zivile »Hilfe« ausgegeben - allerdings aus vielen Gründen nicht wirkungsvoll. Auch darüber jedoch kein Wort in Obamas Ansprache, was von Anfang an daran zweifeln läßt, daß es perspektivisch wesentlich anders laufen wird. Die Ankündigung, man wolle sich künftig mehr um die Ausbildung afghanischer Soldaten und den wirtschaftlichen Aufbau kümmern, ist jedenfalls überhaupt nicht neu, auch wenn sie von Politikern rund um den Erdball enthusiastisch beklatscht wurde, als hätte der 44. Präsident der USA soeben das Rad, das Feuer und das Ei des Kolumbus gleichzeitig erfunden. Man möge daraufhin die Reden seines Vorgängers oder die Debatten des Deutschen Bundestages durchgehen.

Warum beispielsweise die schon unter George W. Bush sehr hoch gesteckten Ziele für den Aufbau afghanischer Militär- und Polizeikräfte sowohl quantitativ wie qualitativ bei weitem verfehlt wurden, wäre für eine ernsthafte Analyse der Lage ein zentrales Thema. Obama aber beantwortete die Frage nicht nur nicht, sondern stellte sie nicht einmal. Er teilte lediglich mit, daß die afghanischen Streitkräfte bis zum Jahr 2011 auf 134000 Mann verdoppelt werden sollen und daß auch die Polizei ähnlich stark ausgebaut werden soll. Von einer Verstärkung auf 122000 Mann hatte Robert Gates allerdings auch schon im vorigen Jahr gesprochen, als er noch Verteidigungsminister unter Bush war. Die zusätzlichen 12000 Mann, die in Obamas Plan neu hinzugekommen sind, rechtfertigen gewiß nicht die feierliche Bezeichnung »neue Strategie«.

»Amerikanisierung« des Krieges

Zusätzlich zu der Verstärkung der US-Truppen um 17000 Mann, die er schon im Februar angeordnet hatte, gab der Präsident jetzt bekannt, daß er weitere 4000 Soldaten als Ausbilder und Einsatzberater der einheimischen Armee nach Afghanistan schicken will. Danach wird Washingtons Truppenstärke dort rund 60000 Mann betragen - mehr als doppelt soviel wie die übrigen NATO-Kräfte zusammen. Die Dominanz der USA in der Aufstandsbekämpfung und Besatzungspolitik wird durch diese Verstärkung noch deutlicher werden. US-Medien sprechen bereits von einer »Amerikanisierung des Krieges«. Gemeint ist damit vor allem, daß man auf Einwände der Verbündeten und der Kabuler Regierung künftig noch weniger Rücksicht nehmen muß als bisher. Auch im Süden des Landes, wo britische, kanadische und niederländische Einheiten relativ eigenständig tätig waren, wird das US-Militär künftig die Führung übernehmen. Inwiefern mit der Verstärkung der amerikanischen Truppen jedoch irgendeine Art von »neuer Strategie« verbunden sein soll, erläuterte Obama nicht. In Berlin hat man aber dankbar registriert, daß in der Rede keine direkten Forderungen nach mehr Soldaten der NATO-Verbündeten und nach deutscher Beteiligung an Kampfeinsätzen enthalten waren.

Daß der Präsident nicht nur die militärische Komponente des Krieges eskalieren will, sondern zugleich eine »massive Aufstockung ziviler Maßnahmen« angekündigt hat, bekam besonders starken Beifall von deutschen Regierungs- und Oppositionspolitikern. Tatsächlich hat Obama zwar gesagt, daß in Afghanistan »landwirtschaftliche Spezialisten und Erzieher, Ingenieure und Anwälte« benötigt werden, und das nicht nur in Kabul, »sondern von Grund auf in den Provinzen«. Er hat auch einen »substantiellen Anstieg unserer zivilen Kräfte« versprochen. Mehr jedoch nicht: keine konkrete Zahlen, keine spezifischen Details.

In der Presse war vor der Rede des Präsidenten von einer Aufstockung der in Afghanistan tätigen amerikanischen »Zivilisten« um mindestens 50 Prozent auf sage und schreibe »mehr als 900« die Rede. Ein »Zivilist« auf 60 Soldaten. In einem Land mit über 30 Millionen Einwohnern, das wirtschaftlich und strukturell ganz unten auf der internationalen Skala steht und dessen gesamtes Bruttoinlandprodukt eines Jahres ungefähr dem Betrag entspricht, den die US-Regierung dort in vier Monaten für die Aufstandsbekämpfung ausgibt.

Bei den »Zivilisten« wird es sich neben Regierungsangestellten vielfach um Personal von Privatfirmen handeln. Aus Kostengründen ist das Personal von USAID, der für Auslandshilfe zuständigen Organisation des State Department, in den letzten zwei Jahrzehnten so heruntergefahren worden, daß man sich nicht nur überwiegend auf Privatfirmen (private contractors) stützen muß, sondern daß man nicht einmal genug Leute hat, um deren Arbeit zu kontrollieren. Zu dieser Feststellung kommt die internationale Hilfsorganisation Oxfam in einem gerade veröffentlichten Bericht. Sie übt in diesem Zusammenhang auch grundsätzliche Kritik an der Arbeit der US-Bürokratie in Afghanistan. Auch darüber kein Wort in Obamas Rede, der es im übrigen sogar vermied, irgendeine Angabe über den finanziellen Umfang der künftigen »zivilen Hilfe« für Afghanistan zu machen. Das mußte umso mehr auffallen, da er für Pakistan sehr wohl einen entsprechenden Betrag nannte, nämlich jährlich 1,5 Milliarden Dollar für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre.

Einbeziehung Pakistans

Obama hat in seiner Rede Afghanistan und Pakistan erstmals hochoffiziell als gemeinsamen Kriegsschauplatz definiert. »Die Zukunft Afghanistans ist untrennbar mit der Zukunft seines Nachbarn, Pakistan, verbunden. In den fast acht Jahren seit dem 11. September sind Al-Qaida und ihre extremistischen Verbündeten in die entlegenen Grenzgebiete Pakistans umgezogen. (...) Für das amerikanische Volk ist diese Grenzregion zum gefährlichsten Platz der Welt geworden. (...) Die Terroristen innerhalb der Grenzen Pakistans sind nicht einfach nur Feinde Amerikas oder Afghanistans - sie stellen eine ernste Gefahr auch für das Volk Pakistans dar. (...) Al-Qaida und ihre extremistischen Verbündeten sind ein Krebsgeschwür, das Pakistan von innen umzubringen droht.«

Das amerikanische Volk müsse verstehen, »daß Pakistan unsere Hilfe braucht, um gegen Al-Qaida vorzugehen«, sagte Obama, vermied aber auch zu diesem Thema präzise Aussagen. Vage umschrieb er die Aufgaben mit einem einzigen Satz: »Wir müssen unsere Militärhilfe deshalb konzentrieren auf die Geräte, die Ausbildung und die Unterstützung, die Pakistan braucht, um die Terroristen auszurotten.«

Alles das war im Prinzip natürlich auch schon unter Bush praktiziert worden. Obamas neuer Akzent liegt einzig und allein in der Aussage: »Nach Jahren mit gemischten Ergebnissen werden wir keinen Blankoscheck ausstellen.« Soll heißen, die »Militärhilfe« wird künftig an die Bedingung geknüpft, daß die US-Regierung mit den pakistanischen Bemühungen, in den nordwestlichen Stammesgebieten Krieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung zu führen, zufrieden ist. Läßt der Eifer der pakistanischen Regierung und ihrer Streitkräfte zu wünschen übrig, drohen Abzüge.

Es liegt auf der Hand, daß das eine völlig destruktive, geradezu idiotische Herangehensweise ist. Denn die »Militärhilfe« ist ja kein Geschenk, das man Politikern und Generälen macht - zumindest nicht in der Hauptsache -, sondern sie soll Pakistan befähigen, sich wirkungsvoller an dem US-geführten »Krieg gegen den Terror« zu beteiligen, der aus PR-Gründen wohl künftig einen neuen Namen verpaßt kriegen wird. Die pakistanischen Militärs bestrafen zu wollen, indem man ihnen die Mittel für den Bürgerkrieg kürzt, den sie im Interesse der USA führen sollen - auf so einen Einfall muß man erst einmal kommen. Aber die amerikanische Öffentlichkeit applaudiert begeistert, weil die Grundidee, Undankbarkeit für Geschenke der USA müsse hart bestraft werden, den gern als »Patriotismus« beschönigten tumben Chauvinismus gegenüber der Welt jenseits der eigenen Grenzen anspricht.

Drohnenangriffe fortgesetzt

Ein zentrales Problem der amerikanisch-pakistanischen Beziehungen und des Ansehens der USA in Pakistan sind die Raketenangriffe unbemannter Flugkörper, deren Zahl schon unter Bush seit August 2008 - also zeitgleich mit dem Rücktritt des von der US-Regierung protegierten Militärpräsidenten Pervez Muscharraf - sprunghaft gesteigert wurde. Obama hat diese Praxis seit seinem Amtsantritt im Januar fortsetzen lassen, obwohl die pakistanische Regierung diese Aktionen nicht nur als Verletzung der Souveränität des Landes kritisiert, sondern sie auch als politisch kontraproduktiv verurteilt. Das pakistanische Parlament hat in diesem Sinn mehrfach einstimmige Beschlüsse gefaßt. Eine im Oktober 2007 - also noch vor der massiven Steigerung der Drohnenattacken - veröffentlichte Untersuchung zeigt, daß nur eine geringfügige Mehrheit der Pakistaner das Vorgehen der eigenen Sicherheitskräfte gegen »Al-Qaida« billigt, nämlich 44 Prozent; 36 Prozent äußerten sich ablehnend. Was aber Aktionen US-amerikanischer oder anderer ausländischer Streitkräfte gegen pakistanisches Gebiet angeht, stimmten nur fünf Prozent zu, während 80 Prozent dagegen waren. Und die geschickt gewählte Formulierung »Al-Qaida« verfälschte das Ergebnis sogar noch: Hätte man richtigerweise nach Militäraktionen gegen Bewohner der Stammesgebiete gefragt, wäre die Ablehnung noch stärker ausgefallen.

Vor wenigen Wochen sorgte eine Meldung der New York Times, die US-Regierung erwäge eine Ausweitung der bisher auf Nordwestpakistan beschränkten Drohnenattacken auf die Provinz Belutschistan, für zusätzliche Aufregung in Pakistan. Außerdem ist immer noch die Frage von amerikanischen Kommandoaktionen auf pakistanischem Boden offen. Präsident Bush hatte im vorigen Jahr solche Vorstöße grundsätzlich genehmigt. Es gab jedoch bisher nur einen derartigen Überfall, Anfang September 2008, bei dem nach örtlichen Berichten sehr viele unbeteiligte Bewohner, vor allem Frauen und Kinder, von den amerikanischen Spezialtruppen getötet wurden. Danach folgten keine weiteren Aktionen dieser Art, doch wurde die Anordnung von Bush anscheinend bisher nicht aufgehoben. Auch dazu wäre eine Klarstellung Obamas im Rahmen seiner »neuen Strategie« dringend notwendig gewesen.

Aber die gesamte Problematik, bei der es um das Bild der USA in der pakistanischen Bevölkerung und somit eigentlich um die politische Grundlage der gesamten Strategie geht, war dem Präsidenten in seiner Ansprache kein Wort wert. Sein einziger Satz zum Thema war: »Wir werden darauf bestehen, daß Aktionen unternommen werden - auf die eine oder andere Weise - wenn wir Erkenntnisse über hochgradige terroristische Ziele haben.« Das läßt sich überhaupt nur auf eine Art interpretieren: Die Angriffe werden fortgesetzt.

Am 29. März legte Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS nach: »Wenn wir ein hochwertiges Ziel im Visier haben, greifen wir es nach Konsultation mit Pakistan an.« Diese Formulierung räumt genau betrachtet der Regierung in Islamabad kein Vetorecht ein. Wohl aber wird die große Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung künftig nach US-Attacken erst recht der Meinung sein, daß ihre Regierung insgeheim einverstanden sei und als Marionette im Dienste der Vereinigten Staaten agiere.

Selbst aus der inneren Logik der US-Administration müßte man vernünftigerweise zur Schlußfolgerung kommen, daß die äußerst begrenzten Erfolge, die bestenfalls durch die Drohnenangriffe möglich sind, auf gar keinen Fall den politischen Schaden aufwiegen, den diese anrichten. Das wird in den Analysen mancher amerikanischer Think-tanks zutreffend festgestellt, ist aber beim Präsidenten anscheinend noch nicht angekommen. Zwar bekannte sich Obama in seiner Rede vordergründig zu der banalen Wahrheit: »Eine Kampagne gegen den Extremismus kann nicht mit Kugeln oder Bomben allein zum Erfolg führen.« Aber als Antwort darauf hatte er nur 1,5 Milliarden Dollar jährlich anzubieten, die »das pakistanische Volk« in den nächsten fünf Jahren als gezielte Aufbauhilfe erhalten soll: für »Schulen, Straßen, Krankenhäuser und zur Stärkung der pakistanischen Demokratie«, wie Obama sagte. Die darin enthaltene zynische oder gedankenlose Kalkulation, man könne die totale Mißachtung des Willens der Bevölkerung durch Geschenke kompensieren, stellt natürlich eine Beleidigung dar, die bei den Adressaten nicht unbemerkt bleiben wird.

Außerdem muß man dieses Versprechen vor dem Hintergrund der Tatsache sehen, daß Pakistan am Rande des Staatsbankrotts steht. Das Land wird jährliche Zuschüsse von mehreren Milliarden brauchen, um auch nur sein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Letztlich werden die zusätzlichen Hilfsgelder also ohnehin nur dazu dienen, direkt oder auf Umwegen Löcher im Etat zu flicken, wie es schon in der Vergangenheit geschah. Nach Schätzungen von Experten ist sogar ein erheblicher Teil der von den USA gezahlten Militärhilfe - über zehn Milliarden seit 2001 - in den Haushalt geflossen. Auf der anderen Seite sind die Anleihen Pakistans beim Weltwährungsfonds IWF, zuletzt 7,6 Milliarden Dollar im November 2008, mit harten Bedingungen verbunden, die sich unmittelbar in soziale Einschnitte für die Bevölkerung umsetzen. Aber zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage Pakistans fand sich kein Wort in der Rede des US-Präsidenten.

Originalton Bush

Statt kritischer Analyse, »neuer Strategie« und konkreten Ankündigungen bot Obama platte Agitation mit Durchhalteparolen. So begann er seine Rede denn auch mit dem Versuch, die Notwendigkeit der Kriegführung in Afghanistan, und künftig wohl zunehmend auch in Pakistan, scheinbar rational zu begründen. »Al-Qaida und ihre Verbündeten - die Terroristen, die die Angriffe vom 11. September 2001 - planten, befinden sich in Pakistan und Afghanistan. Geheimdienstliche Erkenntnisse und Einschätzungen warnen davor, daß Al-Qaida von ihren sicheren Schlupfwinkeln in Pakistan aus Angriffe auf das Territorium der USA plant.« »Das ist nicht einfach nur ein amerikanisches Problem - weit entfernt. Es ist vielmehr eine Bedrohung höchsten Grades für die internationale Sicherheit.« »Wir haben ein klares, genau umrissenes Ziel: Al-Qaida in Pakistan zu stören, aufzulösen und zu besiegen, und zu verhindern, daß sie künftig in eines dieser Länder zurückkehrt.«

Das ist nur noch Originalton Bush, ohne jeden Realitätsbezug. Der US-Präsident bietet seinen Untertanen das einzige Argument an, das sich für eine zeitlich und räumlich unbegrenzte Fortführung dieses Krieges mit einiger Aussicht auf Erfolg verkaufen läßt. Und das sind eben letztlich weder die Rechte der afghanischen Frauen und Mädchen noch die Demokratisierung der Welt nach amerikanischem Vorbild, sondern das ist die Drohung mit einem neuen 11. September. Nimmt man diese Begründung ernst, dann ist die direkte Einbeziehung Pakistans in den Krieg, mit Kampftruppen der USA und vielleicht auch ihrer Verbündeten, nur noch eine Frage der Zeit.

Aus Obamas Rede klingt nicht die Spur eines intellektuellen oder humanen Verständnisses für die Tatsache, daß der »Krieg gegen den Terror« - oder wie immer man ihn künftig umtaufen wird - nicht gegen Monster von einem anderen Stern geführt wird, sondern gegen wirkliche Menschen, Afghanen und Pakistaner, die keinerlei aggressive Absichten gegen die USA oder irgendeinen Ort außerhalb ihres eigenen Lebenskreises haben. Würde er diese Realität anerkennen, könnte der US-Präsident auch nicht davon sprechen, daß die amerikanischen Streitkräfte dort gegen einen Feind kämpfen, »der dem afghanischen Volk nichts als Terror und Unterdrückung zu bieten hat«. Und dann könnte er auch nicht simplifizierend behaupten, der Gegner bestehe nur aus einem kompromißlosen harten Kern einerseits und aus gezwungenen oder angeheuerten Menschen andererseits. Wenn es wirklich so einfach wäre, wäre überhaupt nicht einzusehen, warum die USA gemeinsam mit ihren NATO-Verbündeten den Krieg nicht schon längst gewonnen haben.

URL: http://www.jungewelt.de/2009/03-31/020.php


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ANGRIFFSZIELE IM SUDAN

Sunday Times: 50 Tote bei drei israelischen Luftattacken auf Waffentransporte

Von Knut Mellenthin

Aus junge Welt vom 30. März 2009


Nach einem Bericht der Sunday Times hat Israel im Januar und Februar zweimal Konvois auf sudanesischem Gebiet angegriffen, die iranische Waffenlieferungen für die Hamas transportierten. Angeblich sollten sie über Ägypten in den Gazastreifen geschmuggelt werden. Mindestens 50 Menschen seien bei den Angriffen getötet worden. Außerdem sei ein iranischer Frachter, der Waffen an Bord hatte, im Roten Meer versenkt worden.

Für die Militärschläge seien unbemannte Flugkörper vom Typ Hermes 450 benutzt worden, die von einem israelischen Unternehmen produziert werden. Die Drohne dient zur Luftüberwachung über längere Zeiträume, sie kann aber auch mit zwei US-amerikanischen Hellfire-Raketen ausgerüstet werden. Israel hatte vor dem Südossetien-Krieg im August 2008 mehrere Dutzend Hermes 450 an Georgien geliefert.

Nach Angaben der britischen Sonntagszeitung, die sich aber auf anonyme Quellen - »westliche Diplomaten« - beruft, habe Israel zugeschlagen, weil Fajr3-Raketen transportiert worden seien. Deren Reichweite, die das Blatt mit »mehr als 40 Meilen« (über 64 Kilometer) angibt, würde es ermöglichen, vom Gazastreifen aus Tel Aviv und angeblich sogar den israelischen Atomreaktor in Dimona zu erreichen.

Eine ägyptische Zeitung hatte vor einer Woche zunächst über einen US-amerikanischen Luftschlag berichtet. Ein CBS-Korrespondent, der diese Meldung nachrecherchierte, bekam von US-Militärs die Auskunft, es habe tatsächlich ein Angriff stattgefunden, aber durch israelische Flugzeuge.

Militärstellen in Tel Aviv wollten die Berichte bisher weder dementieren noch bestätigen. Das entspricht der dort üblichen Praxis. Noch-Regierungschef Ehud Olmert erklärte am Donnerstag voriger Woche auf einer Sicherheitskonferenz in Herzliya, ohne direkt zu den Gerüchten Stellung zu nehmen: »Wir operieren überall, wo wir terroristische Infrastruktur treffen können - an nahegelegenen Orten, an weiter entfernten Orten (...) und wir treffen sie auf eine Weise, die die Abschreckung verstärkt. (...) Es ist nicht zweckmäßig, ins Detail zu gehen, jeder kann seine Vorstellungskraft benutzen. (...) Es gibt keinen Ort, wo Israel nicht operieren kann. So einen Ort gibt es nicht.«

URL: http://www.jungewelt.de/2009/03-30/050.php


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RAUS AUS DER NATO

Von Nick Brauns

Aus: junge Welt vom 10. Februar 2009


Anlässlich des bevorstehenden Gipfels zum 60. Gründungstag der NATO regt sich auch in der Türkei Widerstand gegen die westliche Militärallianz. 24 linke Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Während hierzulande von Friedensaktivisten nebulös die »Auflösung« der NATO gefordert wird, machen sich die Aktivisten in der Türkei für den Austritt ihres Landes aus dem Kriegsbündnis stark. Zu den Unterstützern der Kampagne gehören die im Parlament in Ankara vertretene kurdische Partei für eine Demokratische Gesellschaft DTP, die Türkische Kommunistische Partei, die linken Parteien SDP, ÖDP und EMEP sowie die Grünen, die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes KESK sowie die Menschenrechtsvereine IHD und Mazlum-Der.

Parallel zu den europaweiten Protesten gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden Anfang April wollen die türkisch-kurdischen Pazifisten und Kriegspaktgegner in Istanbul auf die Straße gehen. Neben dem NATO-Austritt fordern sie den Rückzug der türkischen Soldaten aus Afghanistan und die Schließung der NATO-Stützpunkte in Izmir, Konya, Sile, Balikesir und Marmaris.

Die Türkei hat seit ihrem NATO-Beitritt 1952 für das westliche Kriegsbündnis eine besondere strategische Bedeutung. Im Kalten Krieg wurde sie als Bollwerk gegen die Sowjetunion und die Unabhängigkeitsbestrebungen der arabischen Staaten in Stellung gebracht. Der Militärputsch vom 12. September 1980, der sich gegen die erstarkte Arbeiterbewegung und die kurdische Freiheitsbewegung richtete, fand unter dem Schutz von NATO-Manövern in der Türkei statt. Im Rahmen der Allianz wurde die Türkei vor allem mit Waffen aus Deutschland hochgerüstet, die im Krieg gegen die kurdische Unabhängigkeitsbewegung in den 90er Jahren zum Einsatz kamen.

Die Türkei dient der NATO heute als das neben Israel wichtigste Sprungbrett in den Nahen Osten. Hier befindet sich strategische Infrastruktur wie die Airbase Incirlik bei Adana sowie Spionageposten entlang der syrischen, irakischen und iranischen Grenze. Mit über einer halben Million Soldaten unterhält die Türkei die nach den USA zweitgrößte NATO-Armee. Türkische Truppen beteiligten sich 1999 am Krieg gegen Jugoslawien und sind heute in Afghanistan im Einsatz.

Am Hindukusch wächst die Ablehnung gegen die NATO und die US-Truppen mit jedem Kriegstag. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des »Afghan Institute for Social and Public Opinion Research« für die TV-Sender ARD, ABC und BBC hervor. Laut der am Montag veröffentlichten Erhebung hält die Mehrheit der Bevölkerung die vergangenen Jahre für »verlorene Jahre«. Mittlerweile fordert eine Mehrheit (51 Prozent) einen schnellen Abzug der Besatzungstruppen - im umkämpften Südwesten des Landes sind es sogar 71 Prozent. In manchen Regionen hält inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Anschläge auf US- und NATO-Soldaten für gerechtfertigt, landesweit ist es immerhin jeder Vierte. »Der Westen hat den Kampf um die Herzen und Köpfe der Afghanen erst einmal verloren«, kommentierte Arnd Henze, stellvertretender WDR-Auslandschef, das Umfrageergebnis.

URL: http://www.jungewelt.de/2009/02-10/001.php


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Quelle:
Anti-Imperialistische Korrespondenz (AIKor) - Informationsdienst der Vereinigung für Internationale Solidarität (VIS) e.V.
vom 1. April 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009