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AUFRUF/057: Unterstützung für Pinar Selek - Wiederaufnahme des Verfahrens (P.E.N.-Zentrum Deutschland)


P.E.N.-Zentrum Deutschland - Februar 2011

Aufruf zur Unterstützung von Pinar Selek


Die türkische Schriftstellerin und studierte Soziologin Pinar Selek, derzeit Stipendiatin im Writers-in-Exile-Programm des deutschen P.E.N.-Zentrums, setzt sich leidenschaftlich sowohl für die Interessen sozial benachteiligter Gruppen als auch für die Rechte ethnischer Minderheiten ein, etwa die der Kurden und der Armenier. Sie ist Autorin von Sachbüchern mit soziologischer Thematik, schreibt Kinderbücher und arbeitet zur Zeit an ihrem ersten Roman. Im Berliner Orlanda Verlag erschien kürzlich in deutscher Übersetzung ihr neustes Buch Zum Mann gehätschelt - zum Mann gedrillt, eine soziologische Studie, die sich mit männlichen Identitäten in der Türkei, speziell mit dem Einfluss des türkischen Militärs auf die Eigenwahrnehmung türkischer Männer befasst.

Ende der neunziger Jahre wurde Pinar Selek wegen angeblicher Propagandaarbeit für die PKK verhaftet, saß zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft und wurde schwer gefoltert. Erst im Gefängnis, mehrere Tage nach ihrer Festnahme, konfrontierte man sie mit dem Vorwurf, im Auftrage der PKK einen Bombenanschlag auf den Istanbuler Gewürzbasar verübt zu haben. Das Verfahren zog sich über acht Jahre hin. Nachdem etliche Gutachter unabhängig voneinander bestätigt hatten, dass die Explosion auf dem Basar nicht auf eine Bombe, sondern auf eine defekte Gasflasche zurückzuführen war, und nachdem der Hauptzeuge der Anklage eingeräumt hatte, seine Pinar Selek belastenden Aussagen unter Folter gemacht zu haben, wurde sie 2006 freigesprochen. Anfang letzten Jahres ging der Fall jedoch wegen angeblicher Formfehler vor das unserem BGH vergleichbare Oberste Kassationsgericht der Türkei. Diese höchste Instanz der türkischen Justiz hob den Freispruch von 2008 ebenso wie einen bereits zu einem früheren Zeitpunkt ergangenen auf - ungeachtetdessen, dass der Oberstaatsanwalt desselben Gerichts gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt hatte. Im Februar dieses Jahres haben wir erfahren, dass das Oberste Kassationsgericht eine Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel fordert, Pinar Selek zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe "unter verschärften Bedingungen" zu verurteilen. Das bedeutet Einzelhaft und totales Kontaktverbot; eine "Begnadigung" wäre erst nach 36 Jahren möglich.

Gegen die Aufhebung des Freispruchs durch das Oberste Kassationsgericht haben Pinar Seleks Verteidiger Berufung eingelegt, die am 23. November dieses Jahres abgewiesen wurde. Am 9. Februar 2011 beginnt vor der 12. Strafkammer des Istanbuler Gerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen unsere Stipendiatin. Für das P.E.N.-Zentrum Deutschland wird dessen Vizepräsidentin und Writers-in-Exile-Beauftragte Christa Schuenke als Prozessbeobachterin vor Ort sein.

Pinar Selek ist wegen ihres Engagements für die Bürgerrechte, aber auch und nicht zuletzt, weil sie Opfer eines eklatanten Willkürakts der türkischen Justiz ist, in ihrer Heimat zu einer Ikone der Demokratiebewegung geworden. Es ist offensichtlich, dass ultrakonservative und demokratiefeindliche Kräfte innerhalb der türkischen Justiz ihren Einfluss nutzen wollen, um eine mutige Autorin mundtot zu machen. Im Frühjahr wurde Pinar Selek in der Türkei mit dem Duygu-Asena-Preis 2010 des türkischen PEN ausgezeichnet, den sie leider nicht persönlich entgegennehmen konnte.

Pinar Selek braucht die Unterstützung der Öffentlichkeit nicht nur in der Türkei, sondern weltweit. Im Verlauf ihres ersten Verfahrens haben sich Persönlichkeiten wie Orhan Pamuk, Yasar Kemal, Noam Chomsky und Claudia Roth für Pinar Selek eingesetzt. Progressive Organisationen und Vereinigungen, Menschen aus allen Teilen des Landes und allen sozialen Schichten fordern Freiheit für Pinar Selek. Ihr Fall wird in den türkischen Medien diskutiert, an den Universitäten finden öffentliche Lesungen aus ihren soziologischen Sachbüchern statt. Auf ihrer Website http://www.pinarselek.com findet sich neben vielen aktuellen Informationen auch eine Liste mit den Namen unzähliger Verbände und Organisationen, die sich im In- und Ausland für Pinar Selek einsetzen.

Das deutsche P.E.N.-Zentrum hat Schriftsteller, Künstler, Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gebeten, Pinar Selek mit ihrem Namen zu unterstützen. Unterzeichnet haben den Aufruf des P.E.N-Zentrums Deutschland bis jetzt weit über 3.000 Menschen, darunter Fatih Akin, Elisabeth Badinter, John Banville, Judith Butler, Daniela Dahn, Dai Qing, Renan Demirkan, Ulrike Draesner, Jutta Ferbers, Wieland Förster, Heiner Geißler, Günter Grass, Gregor Gysi, Christoph Hein, Peter Härtling, Christoph Hein, Elfriede Jelinek, Reinhard Jirgl, Joachim Kaiser, Necla Kelek, Inge Keller, Tom Koenigs, Wolfgang Kohlhaase, Ursula Krechel, Norbert Lammert, Petra Morsbach, Martin Mosebach, Herta Müller, Cem Özdemir, Luk Perceval, Claus Peymann, Monika Rinck, Claudia Roth, Rüdiger Safranski, Dirk Sager, Joachim Sartorius, Wilfried F. Schoeller, Christa Schuenke, Tilman Spengler, Klaus Staeck, Wolfgang Thierse, Hans Thill, Hans-Ulrich Treichel, Jan Wagner, Martin Walser, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Herbert Wiesner, Christa Wolf und viele andere Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle sowie Angehörige aller Schichten der Gesellschaft aus über zwanzig Ländern.

Das deutsche P.E.N.-Zentrum unterstützt Pinar Seleks Kampf gegen die Willkür der türkischen Justiz und fordert die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen unsere Writers-in-Exile-Stipendiatin.

Wenn auch Sie Pinar Selek mit Ihrem Namen unterstützen möchten, genügt eine E-Mail an christaschuenke@mac.com.
Direkt online unterschreiben können Sie unter www.ps-signup.de


Links zum Thema:
http://www.pinarselek.com/public/page.aspx?id=21
http://www.pen.org.tr/tr/node/1389
http://www.turquieeuropeenne.eu/article4180.html
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2010/04/13/a0019&cHash=7ec99ddf93
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1160077/


Siehe im Schattenblick zu den Hintergründen auch unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Bürger und Gesellschaft -> Aufruf ->
AUFRUF/040: Unterstützung für Pinar Selek (P.E.N.-Zentrum Deutschland)


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Quelle:
P.E.N.-Zentrum Deutschland, Februar 2011
http://www.pen-deutschland.de/htm/aktuelles/pinar-selek,aufruf.php
Kasinostraße 3, D-64293 Darmstadt
Telefon: 06151-23120, Fax: 06151-293414
E-Mail: PEN-Germany@t-online.de
Internet: www.pen-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011