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AUFRUF/062: Flugverbotszone bedeutet Krieg - Hände weg von Libyen! (Bundesausschuss Friedensratschlag)


Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag - 8.3.2011

Appell aus der Friedensbewegung: Kein Öl ins Feuer gießen!
Flugverbotszone bedeutet Krieg - Hände weg von Libyen!

- NATO-Planungen zur Libyen-Invasion beenden
- Deutsche Kriegsschiffe abziehen
- Humanitäre Hilfe muss zivile Hilfe sein
- Für Waffenruhe und Verhandlungslösung


Kassel/Berlin, 8. März 2011 - Zum Bürgerkrieg in Libyen und den militärischen Drohung aus dem Ausland erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel in einer Stellungnahme:

Die brutale Niederschlagung anfangs friedlicher Demonstrationen vor allem in den östlichen Teilen Libyens durch Sicherheitskräfte des Gaddafi-Regimes hat zu einer raschen Militarisierung des Konflikts seitens der Aufständischen und somit insgesamt zu einer gefährlichen Eskalation der Gewalt geführt, sodass sich das ölreichste Land Afrikas am Beginn eines blutig ausgetragenen Bürgerkrieges befindet. Insbesondere Berichte über den Einsatz der libyschen Luftwaffe gegen die Zivilbevölkerung ließen zahlreiche Rufe nach der Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen laut werden. Ganz abgesehen davon, dass es dafür bisher keine überprüfbaren Beweise gibt (US-Verteidigungsminister Gates sagte, dass das Pentagon keine Bestätigung dafür habe, dass Revolutionsführer Gaddafi seine Bevölkerung tatsächlich aus der Luft habe beschießen lassen; er habe das bisher nur Presseberichten entnommen), warnen wir entschieden davor, diese Option weiter zu verfolgen. Und zwar aus zwei Gründen:

1. Die Einrichtung einer Flugverbotszone ("No-Fly-Zone") stellt eine Kriegshandlung dar, die in einem laufenden Konflikt eindeutig Partei ergreift. Die eingreifende Seite muss in der Lage sein, sämtliche Militärflugzeuge abzufangen. Die libysche Luftwaffe verfügt nominell über 374 Kampfflugzeuge auf 13 Stützpunkten. Notwendig wäre zudem die Ausschaltung der libyschen Flugabwehr, was mit beträchtlichen "Kollateralschäden" verbunden sein dürfte. Auch wenn sich die diesbezüglichen NATO-Planungen noch in einem Anfangsstadium befinden sollten, haben sie schon jetzt dazu beigetragen, den Konflikt weiter anzuheizen. Das Gaddafi-Regime kann sich dadurch zum Verteidiger der nationalen Ölinteressen aufspielen und der "Nationalrat" der Opposition sieht keine Veranlassung zurückzustecken, weil er sich in der Hoffnung wähnt, die NATO käme ihm aus der Luft zur Hilfe.

2. Die Folgen einer "No-Fly-Zone" für die arabische Welt und die südlich angrenzenden Staaten sind unkalkulierbar. Denn die Geschichte der Einrichtung von "No-Fly-Zones" über dem Irak und in Bosnien-Herzegowina hat gezeigt, dass es damit nicht getan war. In beiden Fällen folgte der Einsatz von Bodentruppen. Auch für Libyen lässt sich dies nicht ausschließen. Die Folge wäre hier ein NATO-Krieg gegen die Metropole Tripolis. Die Agglomeration der libyschen Hauptstadt beherbergt etwa ein Drittel der rund sechs Millionen Einwohner Libyens. Angesichts dieser blutigen Aussichten sollten sich derartige Gedankengänge von vornherein verbieten.

Gegenwärtig deutet vieles auf einen zähen und langwierigen Bürgerkrieg hin. Beide Seiten beanspruchen für sich jeweils für das ganze Land zu sprechen, aber keine Seite kann der anderen einen entscheidenden Schlag versetzen. Die Folgen eines Bürgerkrieges wären hohe Opferzahlen und ein Anstieg der Flüchtlingsströme bei zunehmender Schwächung der Wirtschaft und einer Beeinträchtigung der Versorgungslage. Dies würde zu einer Destabilisierung einer sich im Umbruch befindenden arabischen Welt beitragen und hätte darüber hinaus unübersehbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

Jedes militärische Eingreifen von außen würde zusätzliches Öl ins Feuer gießen. Interventionsplanspielen der NATO oder der EU muss entschieden entgegen getreten werden. Wir erachten es für dringend notwendig, dass sich neutrale Vermittler finden, die sich unverzüglich um Verhandlungen mit den Konfliktparteien bemühen. Erstes Ziel muss eine Waffenruhe sein. Es ist uns unverständlich, weshalb der kürzlich vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez entworfene Friedensplan, der auf die Zustimmung Gaddafis traf, vom Westen übergangen wurde. Solange in den USA und in der EU einseitig auf den Sturz Gaddafis gesetzt wird, rückt eine Lösung des Konflikts in weite Ferne.

Für verfehlt halten wir den Einsatz der deutschen Luftwaffe in und der Marine vor Libyen. Der Flug von zwei Transall-Transportmaschinen der Bundeswehr in die libysche Wüste am 26. Februar war nicht nur überflüssig, sondern auch völkerrechtswidrig. Zuvor war übereinstimmend berichtet worden, dass die Lage an den Ölförderstätten der BASF-Tochter Wintershall in der Wüste bei Nafoora (ca. 400 km südöstlich von Bengasi in der Cyrenaika gelegen) "ruhig" gewesen sei. Die Anlage sei heruntergefahren worden, und lediglich wenige Wachleute seien zurückgeblieben. Weshalb dann trotzdem die Bundeswehr-Maschinen, von bewaffneten Fallschirmjägern der Bundeswehr begleitet, ohne Genehmigung in den libyschen Luftraum eindringen "mussten", konnte von der Bundesregierung nicht plausibel begründet werden. Für Leib und Leben der 132 Ausländer, darunter 22 Deutsche, die nach Kreta ausgeflogen wurden, hatte offensichtlich keine Gefahr bestanden. "Gefahr im Verzug" konnte also nicht geltend gemacht werden. Internationales Recht wurde gebrochen, weil die Bundeswehr unbefugt in fremden Luftraum eingedrungen ist. Weil es sich hier um einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr handelte, hätte der Bundestag zuvor zustimmen müssen. Eine nachträgliche Zustimmung, wie sie das "Parlamentsbeteiligungsgesetz" im Falle der "Gefahr im Verzug" vorsieht, greift hier nicht - und ist im Übrigen bislang auch nicht beantragt worden.

Für verfehlt halten wir auch den Einsatz von zwei Fregatten und einem Einsatzgruppenversorger, um 400 Flüchtlinge von Tunesien nach Ägypten zu transportieren. Die Kriegsschiffe sind für den Personentransport nur unzureichend ausgestattet. Warum müssen es überhaupt Kriegsschiffe sein? China beispielsweise hat für die Evakuierung ihrer 36.000 Landsleute griechische Fähren gechartert und zivile Flugzeuge genutzt. Zivile Flugzeuge hätten es für Deutschland auch getan, zumal dann die Flüchtlinge nicht drei Tage, sondern nur wenige Stunden unterwegs gewesen wären.

Wir bewerten den unsachgemäßen Einsatz militärischer Mittel als Versuch, humanitäre Hilfe zu militarisieren, d.h. militärische Maßnahmen als "alternativlos" darzustellen und damit zu legitimieren. Nicht nur in diesem Fall wären ausschließlich zivile Hilfsmaßnahmen zu Gunsten der Flüchtlinge effektiver und kostengünstiger gewesen.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag appelliert an die Bundesregierung, sowohl in der NATO und in der EU als auch im UN-Sicherheitsrat allen Bestrebungen entgegen zu treten, die ein militärisches Eingreifen in Libyen zum Ziel hätten. Was die Bevölkerung in Libyen am dringendsten braucht, sind ein Waffenstillstand und internationale Bemühungen - vor allem von Seiten der Afrikanischen Union - um eine neutrale Vermittlung zwischen den Konfliktparteien.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, (Berlin)
Peter Strutynski (Kassel)


Weitere Informationen zum Thema:
Libyen-Dossier auf der Website der AG Friedensforschung:
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/Welcome.html


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Quelle:
Pressemitteilung vom 8. März 2011
Bundesausschuss Friedensratschlag
Germaniastr. 14, 34119 Kassel
Telefon: (0561) 93717974
E-Mail: strutype@uni-kassel.de
Internet: http://www.ag-friedensforschung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011