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FRAGEN/004: Gespräch mit Hermann Dierkes - "Ich unterwerfe mich keiner 'Staatsräson'" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 18. März 2010

"Ich unterwerfe mich keiner 'Staatsräson'"
Linke-Politiker steht trotz Rufmordkampagne zu Kritik an israelischer Politik.

Ein Gespräch mit Hermann Dierkes von Lenny Reimann
(Hermann Dierkes ist Vorsitzender der Linksfraktion im Rat der Stadt Duisburg)


Frage: Sie haben im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, weil Sie einen Boykott von Waren aus den von Israel besetzten Gebieten befürworten. In diesen Tagen werden Sie mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. Benjamin Weinthal etwa schlagzeilte am Dienstag in der FR »Anti-israelische Äußerungen der Linken. Läppisches Existenzrecht«. Worum geht es diesmal?

Hermann Dierkes: Seit vergangenem November stelle ich zusammen mit der Journalistin Sophia Deeg unser gemeinsames Buch »Bedingungslos für Israel?« vor. Es besteht aus etwa 20 Beiträgen, teils namhafter israelischer, palästinensischer und internationaler Autoren, die sich kritisch mit der Lage in Israel selbst, dem brutalen Überfall auf den Gazastreifen und dem deutsch-israelischen Verhältnis auseinandersetzen. Der Band ist auch eine Antwort auf die gegen mich gerichtete Rufmordkampagne, die darin beschrieben und dokumentiert ist.

Es ist dieses Buch, was diesen sogenannten Israel-Freunden - die in Wahrheit Fans der rechten israelischen Regierung, ihrer Unterdrückung und Islamophobie sind - nicht in den Kram paßt. Wie zuvor bei Ilan Pappe, Moshe Zuckermann und Norman Finkelstein versuchen diese Antidemokraten ständig zu zensieren, zu verhindern und zu verleumden. Veranstalter werden unter Druck gesetzt, Mitveranstalter sollen abspringen. Schaffen sie das nicht, reißen sie Sätze aus dem Zusammenhang, drehen dir das Wort im Mund herum, um zu skandalisieren, dich als Antisemiten und Holocaustleugner zu verunglimpfen. Eine Videoaufzeichnung von einer Veranstaltung in Berlin, die im November letzten Jahres stattfand und mit meinem Wissen seit Monaten im Internet zu sehen ist, wird aktuell als angebliche Enthüllung meines »Antisemitismus« skandalisiert. Die große Podiumsveranstaltung in der jW-Ladengalerie am 26. Februar, an der Sophia Deeg und ich zusammen mit dem Palästinenser Nidal und dem Israeli Yahav Zohar teilgenommen haben, übergehen die selbsternannten Freunde Israels mit Schweigen.

Frage: Sie engagieren sich seit Jahrzehnten in linken Initiativen, der Friedensbewegung und in den Gewerkschaften. Wie gehen Sie damit um, nun in die rechte Ecke gestellt zu werden?

Hermann Dierkes: Letztes Jahr hat mich die wüste Kampagne noch stark getroffen. Jetzt bin ich besser vorbereitet. Die enorme Solidarität - buchstäblich aus aller Welt - und die immense Arbeit an dem Buch hat mir geholfen. Vor Ort wissen alle die Haltlosigkeit der Anwürfe einzuschätzen. Zwar versuchten die Netanjahu-Lieberman-Fans massiv, die Stadtspitze dazu zu bewegen, uns den Veranstaltungsort für eine Lesung aufzukündigen. Dies mißlang jedoch. Das rechne ich den Verantwortlichen hoch an. Es hebt sich wohltuend ab von dem Einknicken der Münchner Stadtspitze oder der Leitung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die in ähnlichen Fällen Israel-kritischer Veranstaltungen die zugesagten Räumlichkeiten aufkündigten. Unsere Veranstaltung am Dienstag abend in Duisburg war mit fast 80 Teilnehmern jedenfalls ein voller Erfolg. Derzeit gibt es ein Dutzend weiterer Veranstaltungsanfragen aus der ganzen Republik.

Frage: Ihre beiden Parteifreunde Petra Pau und Gregor Gysi sind offenbar immer da zu finden, wo es gilt, gegen Sie Stellung zu beziehen. In der FR wurden die beiden zitiert: »Linke Kritik an israelischer Politik darf weder das Existenzrecht Israels noch den Holocaust relativieren oder sie führt sich selbst ad absurdum. Herr Dierkes spricht nicht für die Linke.« Inwiefern ist Kritik an der israelischen Politik in Ihrer Partei noch möglich?

Hermann Dierkes: Das Verhalten von Gregor und Petra finde ich sehr schade. Ich verstehe nicht, warum sie sich von dieser Seilschaft einspannen lassen. Ich habe aber Gregor geschrieben, daß ich mich auf den programmatischen Grundlagen der Linkspartei bewege. Und dazu zählen in diesem Zusammenhang bis heute das Selbstbestimmungsrecht unterdrückter Völker, der Einsatz für die Menschenrechte und das Völkerrecht, der Kampf gegen Rassismus jeder Schattierung, Demokratie und Meinungsfreiheit. Ich habe damit keine Probleme, und ich werde mich auch keiner vorgeblichen »Staatsräson« unterwerfen, die diese programmatischen Positionen schreddert und Die Linke unglaubwürdig macht. Ich bin optimistisch, daß die Partei in ihrer großen Mehrheit diese Positionen aufrechterhält und auch weiterhin dafür eintritt.


Sophia Deeg/Hermann Dierkes (Hg.):
»Bedingungslos für Israel?
Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten«,
224 Seiten, Neuer ISP Verlag 2010, 19,80 Euro


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Quelle:
junge Welt vom 18.03.2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2010