Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/013: Brasilien - Millionen Schusswaffen, Kampagne gegen privaten Waffenbesitz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011

Brasilien: Millionen Schusswaffen, tausende Opfer - Kampagne gegen privaten Waffenbesitz

Von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 5. Mai - In Brasilien sind zurzeit etwa 16 Millionen Schusswaffen im Umlauf und 80 Prozent davon befinden sich in privater Hand. Der Großteil ist nicht registriert. Nun sollen möglichst viele Besitzer im Rahmen einer Kampagne entwaffnet werden.

Konkreter Anlass für das Vorhaben ist ein Amoklauf, bei dem kürzlich an einer Schule in Realengo im Westen Rio de Janeiros zwölf Jugendliche getötet wurden. Am 7. April feuerte Wellington Menezes de Oliveira, ein ehemaliger Schüler, aus zwei Revolvern 60 Schüsse ab. Er hatte die Waffen auf dem Schwarzmarkt erworben.

"Waffen machen aus unserem Volk Gewalttäter", kommentierte Justizminister José Eduardo die fatale Vorliebe der Brasilianer für Waffen. Gleichzeitig kündigte er an, dass die Kampagne zur Abgabe von Waffen noch im Mai beginnen wird.

Bei einer ähnlichen Aktion von 2004 und 2005 konnten mehr als eine halbe Million Waffen sichergestellt und zerstört werden. Den Besitzern hatte man in Aussicht gestellt, sie nicht zu bestrafen. Auch wurden sie finanziell entschädigt.

Wie Ruben César Fernandes von der Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Viva Rio' betont, hat man einiges aus der vergangenen Kampagne gelernt. So soll die neue Kampagne weniger bürokratisch ablaufen. Wer sich zur freiwilligen Waffenabgabe entschließt, muss keine persönlichen Angaben machen. Auch soll der Zugang zu den Entschädigungszahlungen zwischen 67 und 300 US-Dollar je nach Art der Waffe vereinfacht werden.

"Nach dem Amoklauf in Realengo wurde in der Bevölkerung der Ruf nach Gegenmaßnahmen laut. Also ist die Kampagne gegen privaten Waffenbesitz im Grunde ein Begehren des Volkes", sagte der Leiter von Viva Rio, die sich für sozialen Frieden und Entwicklung einsetzt. "Auch wollen wir die Bürger davon überzeugen, dass Schusswaffen unter strenger Aufsicht von Experten eingesetzt werden sollten."


Die wenigsten Waffen in der Hand der Sicherheitskräfte

Die Nichtregierungsorganisation 'Sou da Paz' (Ich möchte Frieden) berichtet, dass sich von den 16 Millionen Waffen im Land nur zwei Millionen in den Händen staatlicher Sicherheitskräfte befänden. Mit einer Vielzahl werden Verbrechen begangen. Allerdings besitzen viele Brasilianer eine Waffe zum persönlichen Schutz. Ein Argument, das auch der Amokschütze Menezes de Oliveira vorbrachte, um an Tod bringenden Revolver zu kommen.

Fernandes zufolge ist die Anti-Waffen-Kampagne nicht nur als soziales Druckmittel gegen die hohe Nachfrage nach Waffen gedacht. Pistolen und Gewehre aus privaten Haushalten zu entfernen bedeute auch, tödlichen Unfällen unter Einfluss von Alkohol vorzubeugen.

Bisher gibt es noch keine gesicherten Zahlen darüber, wie viele Todesfälle bisher durch Kampagnen gegen privaten Waffenbesitz verhindert werden konnten. Neben der Verbesserung der öffentlichen Sicherheit hat auch die Verschärfung des Waffengesetzes von 2003 Einfluss auf die Situation. Doch wie Fernandes berichtet, ist die Zahl der Morde jedoch erst seit 1970 rückläufig. Seiner Organisation zufolge konnten in den letzten zwei Jahren 5.000 Menschenleben gerettet werden.

Die freiwillige Entwaffnungsaktion zielt in erster Linie auf die Einsicht von Frauen. Sie sind es meist, die Waffen ihrer Männer, Väter, Söhne und Brüder abgeben. "Frauen, häufig Opfer innerfamiliärer Gewalt, wissen um die Gefahr, die von Waffen ausgeht", meint Fernandes. Für die Männer seien die Waffen Fetische, mit denen sie Macht, Stärke und sexuelle Potenz demonstrieren wollten.

Unterdessen wurde der Vorschlag des Senatspräsidenten und ehemaligen Staatschefs José Sarney (1985-1990), noch einmal über ein generelles Verbot des Waffenverkaufs abzustimmen, abgelehnt. Bereits im Oktober 2005 stimmten die Brasilianer bei einem Volksentscheid mit einer gewaltigen Mehrheit von 60 Prozent gegen ein vollständiges Waffenverbot. (Ende/IPS/jb/2011)


Links:
http://www.vivario.org.br/
http://www.soudapaz.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98087

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011