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INTERNATIONAL/028: Lateinamerika - Langer Weg zur Gerechtigkeit, Filme über Opfer von Militärgewalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juni 2011

Lateinamerika: Langer Weg zur Gerechtigkeit - Filme über Opfer von Militärgewalt

Von Elizabeth Whitman


New York, 22. Juni (IPS) - Fredy Peccerelli und sein Team aus Gerichtsmedizinern stehen vor einem Berg menschlicher Knochen, an denen schwarze Erde klebt. Daneben liegen Schuhe, Kleidung und Pässe von Toten. Es sind Überreste von Opfern des Bürgerkriegs in Guatemala, die auf dem Friedhof La Verbana aus namenlosen Gräbern exhumiert wurden.

Wie schwierig die Aufarbeitung der Vergangenheit in dem zentralamerikanischen Land verläuft, dokumentiert der Film 'Granito: How to Nail a Dictator' (2010), der kürzlich auf dem Filmfestival der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' vom 16. bis 30. Juni in New York Premiere feierte. Die Forensiker suchen Beweise, um die damalige Regierung und verantwortlichen Militärs wegen Menschenrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen. Sie wollen auch den Familien von Ermordeten und Verschwundenen helfen, mit dem Bürgerkrieg abzuschließen, der 1996 nach 36 Jahren endete.

Die Regisseure Pamela Yates, Paco de Onis und Peter Kinoy erzählen in ihrem Film von dem unermüdlichen Einsatz von Menschenrechtlern, die den früheren Diktator José Efraín Ríos Montt vor dem Nationalen Gerichtshof in Spanien zur Rechenschaft ziehen lassen wollen. Gegen Ríos Montt, der von März 1982 bis August 1983 an der Macht war, wurde in Madrid ein Menschenrechtsverfahren mit entsprechendem Auslieferungsantrag eröffnet. Das guatemaltekische Verfassungsgericht lehnte seine Überstellung jedoch ab.

Nachdem der Bürgerkrieg Ende 1996 durch ein Friedensabkommen beendet wurde, untersuchte eine Wahrheitskommission die Massenmorde und Verschleppungen von Regimegegnern, die 1982 ihren Höhepunkt erreicht hatten. Dabei wurde offensichtlich, dass sich der 'schmutzige Krieg' der Armee vor allem gegen das indigene Maya-Volk gerichtet hatte. Nach Schätzungen wurden während des Konflikts mehr als 200.000 Menschen getötet.


Film als Belastungsmaterial

Yates war 1982 in Guatemala, um den Dokumentarfilm 'When the Mountains Tremble' zu drehen. Er handelt von dem Widerstand der guatemaltekischen Guerilla gegen mehrere von den USA unterstützte Diktatoren. Das Filmmaterial wurde später dazu genutzt, einen Völkermordsprozess gegen Ríos Montt vorzubereiten.

Beide Werke von Yates werden auf dem Festival in New York gemeinsam mit 17 anderen Filmen vorgeführt, die ebenfalls einen Bezug zu Menschenrechten haben. Auch 'La Torna' (Die Belagerung) von Angus Gibson und Miguel Salazar und 'Impunity' (Straffreiheit) von Juan José Lozano und Hollman Morris prangern die Brutalität von Militärregimen an und zeigen den Schmerz von Überlebenden und Hinterbliebenen.

'La Toma' führt die Zuschauer in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá. Die Armee belagerte 1985 den von Rebellen besetzten Justizpalast. Bei den Auseinandersetzungen wurden 94 Menschen getötet. Von zwölf 'Verschwundenen' tauchten nur zwei lebend wieder auf.

Mehr als ein Vierteljahrhundert später fordern die Familien der Opfer noch immer vergebens, dass die Verantwortlichen für die Morde vor Gericht kommen. Im vergangenen Juni war zwar Oberst Alfonso Plazas Vega, der die Armeeeinheit während der Belagerung befehligt hatte, zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Doch bisher hat er seine Strafe nicht angetreten.

'Impunity' enthüllt die tief verwurzelte Korruption einer ehemaligen kolumbianischen Regierung und deren Komplizenschaft mit paramilitärischen Gruppen, die Menschen verschleppten und Massenmorde verübten. 2005 legten etwa 31.600 Paramilitärs nach einer Demobilisierung die Waffen nieder. Nur 3.600 von ihnen wurden der Justiz übergeben, und lediglich 600 kamen vor Sondergerichte, die im Zuge eines Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden eingerichtet worden waren.

2008 lieferte die Regierung in Bogotá 18 frühere Paramilitärs an die USA aus, wo sie wegen Drogenhandel und Geldwäsche juristisch belangt werden sollten. Die Menschenrechtsvorwürfe wurden dabei nicht berücksichtigt.


Prozesse kommen kaum voran

In den Menschenrechtsverfahren wurden bis Juli 2010 nur zwei Teilurteile gegen die Verantwortlichen für elf Morde gefällt. Angesichts der großen Zahl von Verbrechen und ihrer zögerlichen Ahndung werfen die Filme deutlich die Frage nach Gerechtigkeit auf. Angus Gibson, einer der Regisseure von 'La Toma', sieht den Film als "Meilenstein". Manchmal habe man den Eindruck, es gehe einen Schritt vor und zwei zurück, sagte er IPS. "Aber schon der eine Schritt nach vorn ist sehr wichtig."

Ähnlich denkt Pamela Yates. "Es gibt viele Wege, um Gerechtigkeit zu erreichen", sagte sie. Ein Prozess und eine Verurteilung reichten dazu noch nicht aus. Yates verwies auf das Beispiel des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet, der nach der Festnahme in London nach Spanien ausgeliefert wurde. Er sei zwar nie verteilt worden, doch "sein Erbe wurde zerstört".

Gleichwohl zeigen die Filme, dass die Suche nach Gerechtigkeit manchmal Jahrzehnte in Anspruch nehmen kann. Dies hängt damit zusammen, dass Beweise mühsam ermittelt werden müssen. Manchmal sei es aber auch eine Frage des politischen Willens, sagte Andrea Holley, die an der Leitung des Festivals beteiligt war.

Holley und Yates sind jedenfalls davon überzeugt, dass kollektives Handeln viel bewirken kann. Durch ihre Zusammenarbeit hätten Menschenrechtsaktivisten vor allem in Lateinamerika eine Stärkung des Justizsystems bewirkt. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.hrw.org/en/iff/granito-ny
http://www.hrw.org/en/iff/mountains-tremble
http://www.hrw.org/en/iff/latoma
http://www.hrw.org/en/iff/impunity
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56157

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. Juni 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2011