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INTERNATIONAL/033: Proteste an der 'grünen Linie' - Bauern im Gazastreifen wollen Land zurück (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juli 2011

Nahost: Proteste an der 'grünen Linie' - Bauern im Gazastreifen wollen ihr Land zurück

Von Eva Bartlett

Palästinenser protestieren gegen die von Israel eingerichtete Pufferzone - Bild: © Eva Bartlett/IPS

Palästinenser protestieren gegen die von Israel eingerichtete Pufferzone
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Beit Hanoun, 12. Juli (IPS) - Trotz der glühenden Hitze im Gazastreifen macht sich eine Gruppe palästinensischer Frauen, Männer und Kinder auch an diesem Morgen auf den Weg gen Norden. Einmal die Woche marschieren sie von Beit Hanoun bis zur 300 Meter breiten Pufferzone vor der von Israel gezogenen 'grünen Linie'.

Noch vor etwa zehn Jahren konnten palästinensische Bauern das Land bis 50 Meter vor der Grenze für den Anbau nutzen. Die Sperrzone wurde im Laufe der Jahre auf 150 und schließlich auf 300 Meter erweitert. Die Farmer verloren damit den Zugang zu ihren Weiden und Feldern.

Nachdem die Äcker und Obstgärten inzwischen von israelischen Panzern niedergewalzt wurden, kämpfen die Bauern darum, einen Teil der Pufferzone nutzen zu können. Etwa 30 Prozent des urbaren Landes im Gazastreifen kann aufgrund der Grenzregelung Israels nicht mehr bestellt werden. Auf diesen besonders fruchtbaren Böden wuchsen früher Öl-, Zitrus- und Nussbäume. Auch Weizen, Gerste, Roggen und anderes Getreide konnte reichlich geerntet werden.

Der Mangel an Lebensmitteln trifft vor allem die Menschen im nördlichen Gazastreifen hart. Viele Bewohner haben sich daher in den vergangenen drei Jahren an friedlichen Protesten gegen die Pufferzone beteiligt. Die Demonstranten laufen etwa einen Kilometer bis zu der Stelle, an der zwei verblasste palästinensische Flaggen wehen. Sie seien bei einem der früheren Proteste gehisst worden, erklärt der 46-jährige Khalid Nassir.

Sabeer Zaneen lässt das Widerstandslied 'Unadikum' von seinem Handy in ein Megaphon schallen. Kurz darauf verliest er eine Botschaft, in der die Abschaffung der Sperrzone gefordert wird. Die beiden Männer gehören zu den Gründern der Gruppe 'Local Initiative', die die Proteste organisiert.


Häuser zerstört, Felder plattgewalzt

"Wir sind eine Widerstandsbewegung des Volkes", sagt Nassir. Viele Familien hätten miterlebt, wie ihre Häuser niedergerissen und ihre Felder von Bulldozern überrollt worden seien. Wie der Palästinenser berichtet, marschieren die Demonstranten inzwischen im dritten Jahr regelmäßig in unterschiedliche Grenzgebiete.

An diesem Tag sind die etwa 20 Leute unterwegs zum Checkpoint Eres, vorbei an der Straße, auf der wenige Privilegierte die israelischen Grenzkontrollen passieren können. Vor sich sehen sie einen der vielen israelischen Grenztürme aus Beton. "Anfangs haben wir uns nur bis etwa 300 Meter zur Grenze hingewagt. Inzwischen rücken wir aber immer näher - auf palästinensischem Land", sagt Nassir.

Nicht immer enden die Aktionen so friedlich, wie sie begonnen haben. Am 15. Mai, dem Tag des Gedenkens an die Vertreibung von rund 750.000 Palästinensern vor der israelischen Staatsgründung 1948, fanden in Gaza, im Libanon und auf den syrischen Golan-Höhen friedliche Proteste statt. Zu der kleinen Gruppe aus Beit Hanoun stießen schätzungsweise 1.000 Menschen hinzu. Israelisches Militär eröffnete schließlich das Feuer auf die unbewaffneten Demonstranten. Ein Teenager wurde getötet, mehr als hundert Personen wurden verletzt.

Anfang Juni wurde an dem Ort, an dem die beiden Flaggen gehisst wurden, der 19-jährige Mohammed Kafama durch einen Geschosssplitter verletzt. "Sie schossen ohne Vorwarnung", sagt Nassir. "Mohammed wurde sofort verwundet."

Außer Bauern und Demonstranten sind auch die Ärmsten der Armen im Gazastreifen in die Schusslinie der Israelis geraten. Aus den zerstörten Häusern im Grenzgebiet holen sich die Einwohner der Region Trümmer und Metall, da in den vergangenen fünf Jahren so gut wie keine Baumaterialien in den Gazastreifen gelangten. Bei der Suche nach verwertbaren Resten riskieren sie, einen Blindgänger auszulösen oder von israelischen Soldaten angegriffen zu werden.


Tote und Verletzte bei israelischen Angriffen

Seit dem vergangenen Jahr sind allein im nördlichen Gazastreifen mindestens elf Palästinenser getötet worden. Unter ihnen war ein 91-jähriger Bauer, der etwa 600 Meter von der Grenze entfernt von einer Granate getroffen wurde. Ein 64-Jähriger, der sich in ähnlicher Distanz zur 'grünen Linie' aufhielt, wurde mehrmals ins Herz getroffen. Weit über 300 Zivilisten trugen bei Angriffen Verletzungen davon. Viele von ihnen waren Teenager.

Wie Nassir erzählt, schließen sich manchmal auch ausländische Aktivisten und Journalisten den Demonstrationen an. Die Gruppe aus dem Gazastreifen hat außerdem Verbindungen zu Protestierenden im von Israel besetzten Westjordanland geknüpft. Das Dorf Bil'in hat dort einen kleinen Sieg errungen: Nach sechs Jahren friedlicher Proteste versetzten die Israelis den Grenzwall, so dass die Dorfbewohner bereits mehr als 60 Hektar Land zurückgewannen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2011