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INTERNATIONAL/117: Israel - Neue Dissidenten mit digitaler Stimme (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Juli 2012

Israel: Neue Dissidenten mit digitaler Stimme

von Pierre Klochendler



Jerusalem, 3. Juli (IPS) - Ein israelischer Reservist hat sich Ende Juni dagegen gewehrt, in den besetzten Gebieten des Landes seinen Dienst anzutreten. Er wurde daraufhin verhaftet und trat im Gefängnis in den Hungerstreik. Damit wollte der 31-jährige Yaniv Mazor seine Solidarität mit einem palästinensischen Gefangenen zeigen. Er droht außerdem damit, seine Staatsangehörigkeit aufzugeben und wie ein Palästinenser in einem Flüchtlingscamp zu leben.

Mazor ist einer der neuen Dissidenten Israels. Seine und andere Geschichten und Beweggründe sind in einem neuen E-Book erschienen, das eine Reihe von Blogeinträgen versammelt. In Deutschland ist es für rund acht Euro erhältlich.

Die neuen Dissidenten setzen sich gewaltfrei gegen die sozialen, politischen und rassistischen Ungleichheiten in ihrem Land ein, die sich gegen die eigenen Mitmenschen richten - gegen Palästinenser, aber auch gegen Frauen, Arme, Aktivisten, Migranten und politische Flüchtlinge aus Afrika.

Sie bekämpfen 'das System' und stellen das zionistische Versprechen Israels auf die Probe, ein unabhängiger, souveräner, freier, gleicher und demokratischer jüdischer Staat im gelobten Land zu sein - so wie es die Unabhängigkeitserklärung des Landes vorsieht.

"Der Staat Israel (...) gründet sich auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, (...) er garantiert gleiche soziale und politische Rechte für alle Einwohner, unabhängig ihrer religiösen Orientierung, ihrer Rasse oder ihres Geschlechts; er garantiert Religions- und Meinungsfreiheit sowie die freie Wahl und Ausübung von Sprache, Ausbildung und Kultur", heißt es in dem Dokument von 1948.


'Sklaven unserer Selbst'

"Obwohl wir Unabhängigkeit und politische Souveränität gewonnen haben, sind wir dennoch Sklaven", schrieb Na'ama Carmi, ehemalige Vorsitzende der Israelischen Bürgerrechtsbewegung (ACRI), bereits vor sechs Jahren in ihrem Blog. "Wir sind Sklaven unserer eigenen Eroberung und der Ungerechtigkeiten, die wir selbst schaffen; wir sind Sklaven der ausländischen Arbeiter, die wir ausbeuten und unterdrücken und der sudanesischen Flüchtlinge, die wir - das verfolgte Volk, das Volk der Flüchtlinge - ins Gefängnis werfen."

Carmis Text ist neben 34 weiteren in der digitalen Anthologie mit dem Titel 'Israelische Dissidenten: Notizen von ungewohnten Abwegen' erschienen. Die Texte waren zunächst auf Hebräisch herausgegeben und stammen von zehn unterschiedlichen alternativen Medienprojekten, Aktivisten für soziale Gerechtigkeit sowie Nichtregierungsorganisationen. Beiträge haben beispielsweise die 'Anarchisten gegen die Mauer' geliefert, die die Mauer kritisieren, die viele Palästinenser von ihren eigenen Familien getrennt hat, sowie die Gruppe 'Boycott from Within', die den palästinensischen Boykott unterstützt.

Die im E-Book vereinigten neuen Dissidenten fühlen sich vom Staat betrogen, der schon lange von seinem ursprünglichen Pfad abgekommen sei, wie sie sagen. Nicht Land sei die Verheißung, sondern Gerechtigkeit.

"Wir lieben unser Land: Die Landschaften, Geschmäcker, Gerüche, Geräusche und Sprachen. Wir wollen hier aber nicht nur leben, sondern auch Ideen verteidigen, die unserer Meinung nach unabdingbar sind für das künftige Wohlergehen und die künftige Existenz aller Menschen, die hier leben - und seien die Ideen noch so unpopulär", schreibt die Herausgeberin Rechavia Berman in ihrem Vorwort.


Kampf gegen Apartheid

"Unser Ärger und unser Kampf richten sich gegen Apartheit und Besatzung, Missbrauch und Unterdrückung sowie gegen jene, die diese Konzepte unterstützen und sich uns in unserem Kampf gegen diese Ungerechtigkeiten in den Weg stellen", schreibt sie weiter.

Berman und ihre Mitstreiter haben einen Eid abgelegt: Sie wollen die Erinnerung wachhalten und die Misshandlungen, die auf israelischem Boden begangen werden, verfolgen und publik machen.

Immer wieder heißt es in dem Buch, dass sich Israel immer schneller von seinen ursprünglichen demokratischen Ideen verabschiede. Dabei wird auch kritisiert, dass im Namen der Religion beispielsweise Frauen unterdrückt werden.

Die Autoren nutzen die Publikation auch als Sprachrohr, weil sie sich in ihrer Kritik von ihrer unmittelbaren Umgebung häufig nicht verstanden fühlen. "Es ist unmöglich, diese Themen mit meinen Freunden zu besprechen", sagt Lisa Goldman. "Sie wollen nichts davon hören, glauben mir nicht und denken selbst, dass 'die Araber' bekommen was sie verdienen." (Ende/IPS/jt/2012) 012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2012