Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN


INTERNATIONAL/196: Papua-Neuguinea - Gemeinsam stark, "Tropical Gems" mobilisieren junge Leute (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. August 2015

Papua-Neuguinea: Gemeinsam stark - 'Tropical Gems' mobilisieren junge Leute gegen Lethargie und Hoffnungslosigkeit

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Die Graswurzelgruppe Topical Gems motiviert junge Leute in Papua-Neuguinea, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen
Bild: © Catherine Wilson/IPS

MADANG, PAPUA-NEUGUINEA (IPS) - Zibie Wari konnte den trostlosen Anblick nicht länger ertragen: Horden junger Leute, die auf den Straßen der Stadt Madang an der Nordküste des pazifischen Inselstaates Papua-Neuguinea die Zeit totschlagen, weil sie keine Aussicht auf Arbeit oder eine andere sinnvolle Beschäftigung haben. Er gründete die 'Tropical Gems', eine Graswurzel-Organisation, die sich inzwischen zu einer beachtlichen Bewegung gegen Hoffnungslosigkeit und Lethargie entwickelt hat.

Auffallend an der einst 'hübschesten Stadt im Südpazifik' mit 29.339 Einwohnern sind die vielen jungen Frauen und Männer, die im Zentrum unter Bäumen und auf Bürgersteigen hocken. "Wenn ich sie sehe, sage ich ihnen immer: 'Ihr braucht einen Traum.' Ihnen fehlen Träume, Visionen", sagt Wari.

Seine inzwischen auf 3.000 Mitglieder angewachsene Bewegung versucht aus den jungen Leuten Akteure des Wandels heranzubilden, sie zu verantwortungsvollen und selbstbewussten Menschen zu machen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen. Die Philosophie der Tropical Gems ('Tropische Edelsteine') lautet: "Egal wie groß die Herausforderungen für den Einzelnen sein mögen - es gibt immer Lösungen, die aus dir selbst kommen müssen."

Madang liegt in der gleichnamigen Provinz, in der 44 Prozent der 493.906 Einwohner unter 15 Jahre alt sind. Doch nur 45 Prozent der Mädchen und Jungen gehen zur Schule, und nur wenige schließen die Sekundarstufe ab. Die geringe Alphabetisierungsrate hat insbesondere mit dem fehlenden Zugang zu Bildungseinrichtungen in den ländlichen Gebieten zu tun.


Hohe Jugendarbeitslosigkeit

Der hohe Anteil junger Leute ist nicht nur ein lokales, sondern auch ein nationales Phänomen, und junge Leute strömen in der Hoffnung auf Arbeit und Entwicklungsmöglichkeiten in die Städte. Doch bis zu 68 Prozent der urbanen Jugend sind erwerbslos, und 86 Prozent von denen, die einen Job haben, sind nach Angaben der Nationalen Jugendkommission in der Schattenwirtschaft tätig. Von den 80.000 geschätzten Schulabgängern pro Jahr finden bestenfalls 10.000 eine feste Anstellung.

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit steht in einem gravierenden Missverhältnis zur Wirtschaftsentwicklung von Papua-Neuguinea. So kann der melanesische Inselstaat in der letzten Dekade auf einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von jährlich sechs bis zehn Prozent zurückblicken. Die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung sind die Holzwirtschaft, der Bergbau und die Erdgasproduktion, die jedoch keine nachhaltigen Arbeitsplätze geschaffen und nicht zur Armutsbekämpfung beigetragen haben. 40 Prozent der sieben Millionen Einwohner von Papua-Neuguinea leben unterhalb der Armutsgrenze.

Vom rasanten Wirtschaftswachstum profitieren eine kleine politische Elite und die privaten Investoren. Die Mehrheit der Bevölkerung geht leer aus, wie ein Blick auf den Index für menschliche Entwicklung zeigt. So belegt Papua-Neuguinea von 187 gelisteten Staaten den 157. Platz.

Während seit 1970 mehr als 100 Millionen US-Dollar pro Jahr an ausländischen Direktinvestitionen ins Land fließen, scheint die Bevölkerung immer ärmer und kranker zu werden.

Dem Nationalen Forschungsinstitut zufolge kommen statistisch gesehen auf jeweils 10.000 Patienten ein Arzt und 5,3 Krankenschwestern. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Verfügbarkeit grundlegender Medikamente in den Krankenhäusern um zehn Prozent zurückgegangen und Arztvisiten haben um 42 Prozent abgenommen. Trotz des rapiden Bevölkerungswachstums sank die Zahl der Menschen, die sich pro Tag um medizinische Hilfe bemühen, um 19 Prozent.

In Papua-Neuguinea verschwinden Millionen Dollar, die das Land dringend für grundlegende Gesundheitsinfrastrukturen benötigt, in dunklen Kanälen. Die Korruption ist ein großes Problem in dem Land. Mit 25 von 100 Punkten - 100 Punkte bedeutet korruptionsfrei - schneidet Papua-Neuguinea Untersuchungen von 'Transparency International' zufolge weitaus schlechter ab als der internationale Durchschnitt (43/100).

Die Generation, die die Zukunft des Landes darstellt, ist ebenfalls ein Opfer der grassierenden Korruption, die auf ein im Lande tief verwurzeltes politisches Patronatssystem zurückzuführen ist. Missmanagement und Veruntreuung haben Papua-Neuguinea in den Jahren 2009 bis 2011 um die Hälfte des nationalen Entwicklungsbudgets in Höhe von 7,6 Milliarden Kina (2,8 Milliarden Dollar) gebracht, was zu Lasten von Dienstleistungen und Entwicklung ging.

Die derzeitigen Entscheidungsträger sind eifrig damit beschäftigt, ihre Scherflein ins Trockene zu bringen, während die künftigen politischen Führungskräfte des Landes selbst schauen müssen, wie sie klarkommen", berichtet Wari von den Tropical Gems im IPS-Gespräch. "Diese jungen Leute wurden aus dem System herausgedrängt. Und am Ende wundert es niemanden mehr, warum die Menschen zu Hause ihren eigenen Schnaps brauen und die Gewalt zunimmt. Ein Weg, um die Korruption zu bekämpfen, ist, auf die jungen Frauen und Männer unseres Landes zuzugehen und sie auszubilden. Wir dürfen nicht untätig herumsitzen. Wir müssen uns auf die eigenen Füße stellen und den Wandel herbeiführen."


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Für die Tropical Gems beginnt Führungsstärke damit, die eigene Passivität zu überwinden und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Allerdings das ist nicht einfach in einem Land, in dem 2,8 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, die Müttersterblichkeit bei 711 pro 100.000 Lebendgeburten liegt, die Alphabetisierungsrate 63 Prozent beträgt und nur 19 Prozent der Menschen Zugang zu einer sanitären Grundversorgung haben.


Wissen aneignen

Die Mitglieder von Tropical Gems sind jedoch fest entschlossen, sich selbst das Wissen über die wirtschaftlichen und politischen Kräfte wie Globalisierung und Ressourcenwettbewerb anzueignen, die sich auf ihr Leben auswirken. Und sie wenden sich wieder wichtigen sozialen und Werten wie Teamgeist und Verantwortlichkeit zu, um Führungsstärke zu entwickeln und eine eigene neue Richtung zu finden.

"Wir haben uns aufgrund der schnellen Veränderungen in unserem Land, auf die wir nicht vorbereitet waren, irgendwie verirrt. Wir sind vom Weg abgekommen und haben vergessen, was wir eigentlich wollen. Wir von Tropical Gems sprechen nun darüber", berichtet Wari. "Das, was junge Leute bei den Tropical Gems lernen, ist die Überwindung des 'Abhängigkeitssyndroms' - das Verharren in Untätigkeit in der Hoffnung, dass andere - etwa der Staat oder die Privatwirtschaft - etwas für sie tun."

Tag für Tag sind Dutzende 'Führer', wie die Mitglieder der Gruppe genannt werden, in Madang unterwegs, um ohne Bezahlung die Straßen und Strände, Parks und andere öffentliche Plätze zu reinigen. Sie wollen den Menschen und insbesondere jungen Leuten zeigen, dass die sie selbst die eigene Zukunft in der Hand haben. Und der Zulauf der Gruppe ist groß. So hat sich die Zahl der Mitglieder - von Teenagern bis Mittvierzigern - seit Gründung der Organisation 2013 von anfangs 300 mittlerweile verzehnfacht. Sie stammen aus unterschiedlichen Teilen des Landes wie dem nördlichen Sepik und der Insel Manus.


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Jeden Tag sind die Tropical Gems in Madang unterwegs, um öffentliche Plätze zu reinigen
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Viele haben persönliches Leid und soziale Ausgrenzung erfahren - entweder infolge von Armut oder aber durch den Tod der Eltern oder der Unmöglichkeit, einen Bildungsabschluss zu machen. "Mein Leben war wirklich hart, doch hat es seit meinem Beitritt zu den Tropical Gems eine positive Wendung erfahren", erzählt der 30-jährige Sepi Luke. "Ich habe endlich wieder das Gefühl, mein Leben im Griff zu haben. Das macht stark."

Die Madang-Frauenvereinigung unterstützt die Aktivitäten der Gruppe. Diese hätten sich positiv auf die Gemeinden ausgewirkt, bestätigt Lisa Lagei, eine Aktivistin. "Es ist gut, dass die Tropcial Gems auf Eigeninitiative setzen. Wir müssen selbst die Dinge für uns regeln und mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Prostitution fertig werden."

Im März hatte die zivilgesellschaftliche Organisation 'Act Now PNG' die Tropical Gems besucht, um sie mit den Folgen von Landgrabbing und Korruption, die im Zusammenhang mit dem staatlichen Landverpachtungssystem an Investoren, dem 'Special Agriculture and Business Lease' (SABLs) auftreten, vertraut zu machen.

Von Landgrabbing - dem Ausverkauf von Land an ausländische Investoren - sind bereits 5,5 Millionen Hektar oder zwölf Prozent der Landmasse Papua-Neuguineas betroffen. Viele Investoren fällen auf den geleasten Grundstücken Hölzer für den Export. Noch verfügt das Land über den drittgrößten tropischen Regenwald der Welt. So erstrecken sich die Wälder über eine Gesamtfläche von 29 Millionen Hektar Wald. Gleichzeitig ist Papua-Neuguinea zweitgrößter Tropenholzexporteur nach Malaysia.


Vernichtung der Wälder

Das im US-amerikanischen Kalifornien angesiedelte 'Oakland Institute' schätzt, dass aus Papua-Neuguinea jedes Jahr an die drei Millionen Kubikmeter Holz ausgeführt werden, das meiste geht an China. Und die UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) warnt bereits davor, dass bis 2021 83 Prozent der kommerziell genutzten Wälder Papua-Neuguineas aufgrund des kommerziellen Holzeinschlags, Bergbaus und der Aktivitäten der Palmölindustrie verloren oder verödet sein werden.


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Traditionelle Landeigentümer leiden unter den sozialen Folgen der illegalen Abholzung
Bild: © Catherine Wilson/IPS

"Innerhalb von zehn Jahren werden fast alle zugänglichen Wälder gefällt sein. Die Ursache des Problems ist die endemische und systematische Korruption", erklärte ein Sprecher von 'Act Now PNG' gegenüber IPS im vergangenen Dezember. "Das könnte für die 85 Prozent der Menschen, in den ländlichen Gebieten leben und auf die Wälder zum Überleben angewiesen sind, zu einem Desaster werden."

Wie bereits in Pomio zu beobachten ist, einem der unterentwickeltsten Bezirke der Provinz East New Britain an der Nordwestseite des Festlands des Inselstaates, wo Umweltzerstörung und illegaler Holzeinschlag regelmäßig in Gewalt münden. Es fehlt der Provinz an einer rudimentären Gesundheitsversorgung, an befestigten Straßen und an einer Basissanitärversorgung. Die Lebenserwartung liegt bei nur 45 bis 50 Jahren, und die Säuglingssterblichkeit mit 61 pro 1.000 Lebendgeburten weit über der nationalen Rate von 47 pro 1.000.

Die Tropical Gems suchen nach Lösungen für die vielen Herausforderungen, mit denen sich das Land konfrontiert sieht. "Im Rahmen unserer Kampagnen versuchen wir die Menschen davon abzubringen, dass sie ihr Land verkaufen. Uns liegt der Schutz der Umwelt am Herzen und wir wollen den Wert unserer traditionellen Lebensweisen wieder bewusst machen", erklärt Wari.

Das eigene Wissen zu teilen ist eine weitere Zielsetzung der Tropical Gems. Sie geben auch praktische Kenntnisse wie Backen und Weben an andere weiter. Einige Mitglieder haben eigene Unternehmen gegründet. Barbara beispielsweise pflanzt und verkauft Tomaten auf dem Markt der Stadt. Lynette aus dem Nachbardorf Maiwara betreibt eine Geflügelzucht.

Als nächsten Schritt haben die Tropical Gems die Ausweitung ihrer Aktivitäten in die ländlichen Gebiete geplant. Sie wollen den dort lebenden Menschen dabei helfen, ihr Entwicklungspotenzial auszuschöpfen anstatt in die Städte abzuwandern. Denn die rapide Verstädterung wirkt armutsverschärfend. In Port Moresby beispielsweise leben 45 Prozent der Einwohner in Slums, die keinen Zugang zu einer sanitären Grundversorgung haben. In der Siedlung Eight Mile Settlement am Rande der Hauptstadt Port Moresby trinken 15.000 Menschen kontaminiertes Wasser aus defekten Wasserleitungen. Durch Wasser übertragene Krankheiten gehören in Papua-Neuguinea zu den Hauptursachen von Todesfällen in Krankenhäusern.


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Fast die Hälfte der Bevölkerung in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, lebt in informellen Siedlungen ohne sanitäre Grundversorgung
Bild: © Catherine Wilson/IPS


Als Impulsgeber eingeladen

Die Erfolgsgeschichte der Tropical Gems, die ihre Aktivitäten aus den eigenen Mitgliedsbeiträgen finanzieren, ist inzwischen bis in die Landeshauptstadt vorgedrungen. Auf dem Waigani-Seminar vom 19. bis 21. August in Port Moresby sollen die Tropical Gems über ihre Arbeit berichten. Das Waigani-Seminar ist ein nationales Forum, das über Fortschritte bei der Umsetzung der nationalen 'Vision 2050'-Initiative diskutiert. Es wird von der Regierung und der Universität von Papua-Neuguinea veranstaltet.

Papua-Neuguinea steht in den nächsten zehn Jahren vor immensen Herausforderungen wie dem Anstieg des Meeresspiegels und anderen Folgen des Klimawandels. Initiativen wie die der Tropical Gems legen den Grundstein für eine klimaresilientere Gesellschaft, wie sie die Politik bislang nicht schaffen konnte. (Ende/IPS/kb/03.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/papua-new-guineas-unemployed-youth-say-the-future-they-want-begins-with-them/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. August 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang