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MELDUNG/064: Freie Ausreise für Mordechai Vanunu aus Israel! (ILMR)


Internationale Liga für Menschenrechte - Pressemitteilung vom 9. November 2010

Freie Ausreise für den Ausgezeichneten aus Israel!

Seine Präsenz beim Festakt der Medaillenverleihung ist unverzichtbar!


Mordechai Vanunu setzt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Zivilcourage und herausragender Standhaftigkeit für die vollständige atomare Abrüstung, für transparente Demokratie und für Frieden zwischen den Nationen ein (siehe Presseerklärung Nr. 1 vom 4. Oktober 2010 - Im Schattenblick zu finden unter:
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PREIS/011: Carl-von-Ossietzky-Medaille für Mordechai Vanunu (ILMR))

Mordechai Vanunu kommt das historische Verdienst zu, Informationsmaterial über das israelische Atomprogramm, das ihm in den achtziger Jahre zugänglich geworden war, nicht für sich zu behalten, sondern 1985 einer britischen Zeitung zur Publikation überlassen zu haben.

Am 27. März 1988 verurteilte ihn ein israelisches Strafgericht in einem Geheimverfahren zu einer 18-jährigen Freiheitsstrafe wegen "Unterstützung des Feindes in Kriegszeiten" sowie "Sammlung und Weitergabe geheimer Informationen in der Absicht, der Sicherheit des Staates Israel zu schaden". Alle eingelegten Rechtsmittel gegen das Urteil wies der Oberste Gerichthof ab.

Mordechai Vanunu betont seitdem, er habe Israel weder Schaden zufügen noch schwächen wollen. Die Gefahren, die von der Herstellung und Anreicherung von Plutonium und erst recht von dem Bau, der Stationierung und dem Export von Nuklearwaffen ausgehe, seien zu groß, als dass er die Freiheit hätte, sie zu verschweigen. Die israelische und internationale Zivilgesellschaft, so die Begründung für seine politische Einstellung, haben ein Recht zu erfahren, dass der Staat Israel hinter dem Rücken der Weltöffentlichkeit und unter Ausschaltung jeder demokratischen Kontrolle atomar aufrüstet.

Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde Mordechai Vanunu am 24. April 2004 aus der Haft entlassen.Allerdings unter Auflagen, die einer endlosen Strafverlängerung gleichkommen und seine bürgerlichen Grundrechte und politischen Freiheiten aussetzen. Untersagt sind ihm unter anderem: die Ausreise aus Israel, Kontakt zu ausländischen Botschaften und Medien sowie Ortsänderungen, die nicht vorab polizeilich gemeldet und genehmigt worden sind. Jeder Verstoß gegen die genannten Auflagen bringt ihn wieder vor Gericht und ins Gefängnis. Erst am 23. Mai d. J. wurde Vanunu erneut für drei Monate inhaftiert. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Verbindung zu Ausländern aufgenommen.

Die Behandlung des Mahners Mordechai Vanunus durch die israelische Gerichtsbarkeit und Staatsobrigkeit erinnert an die Behandlung, die der Vorsitzende der Deutschen Liga für Menschenrechte und spätere Friedensnobelpreisträger (1936) Carl von Ossietzky Anfang der 1930er Jahre - also in der Weimarer Republik - vom deutschen Reichsgericht erfuhr. (Die Deutsche Liga für Menschenrechte war die Vorläuferorganisation der Internationalen Liga für Menschenrechte). Der leidenschaftliche Pazifist hatte als Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift "Die Weltbühne" im März 1929 einen Artikel drucken lassen, in dem die Aufrüstung der deutschen Luftwaffe und die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und der Sowjetunion, die gegen Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages verstießen, aufgedeckt wurden. Daraufhin ist Carl von Ossietzky gemeinsam mit dem Autor des Artikels im streng geheimen, so genannten Weltbühne-Prozessim November 1931 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden: wegen Landesverrats, Verrats militärischer Geheimnisse und Spionage. Mangels konkreter Beweise hatte sich das Gericht in seinem Urteil auf die Gesinnung des Angeklagten berufen. Weil Carl v. Ossietzky ,Pazifist' sei, müsse aus psychologischen Gründen unterstellt werden, dass er mit dem Artikel antimilitaristisch wirken wollte, d.h. dass er die Absicht hatte, Geheimwissen der Militärverwaltung aufzudecken.

Ganz ähnlich klingt in unseren Ohren das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs Israels vom 11. Oktober 2010 - nur eine Woche nach Bekanntgabe der Auszeichnung Mordechai Vanunus mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille durch die Liga. Ein Gesuch Mordechai Vanunus, ihm die Ausreise aus Israel zu gewähren und innerhalb des Landes freie Bewegung und Meinungsäußerung zuzuerkennen wurde von den Richtern abgewiesen. Das Argument der Verteidiger, dass das Wissen Vanunus ein Vierteljahrhundert zurückliege und nach Bestätigung aller Sachverständigen veraltet sei, wurde im Urteilsspruch vom 13. Oktoberbestritten. Vanunu verfüge - so die Richter - über sicherheitsrelevantes Geheimwissen, das er bisher nicht bekannt gegeben habe. Sein Verhalten habe gezeigt, dass er dieses im Ausland preisgeben könne und wolle. Der Oberste Gerichtshof in Israel kam bei dieser Einschätzung ohne Beweise aus - so wie seinerzeit das Reichsgericht im Prozess gegen Carl von Ossietzky.

Carl von Ossietzky hatte damals vor Richtern gestanden, die es als Landesverrat betrachteten, die völkerrechtswidrige und damit illegale Aufrüstung der Reichswehr öffentlich bekannt zu machen. Hätten seine Veröffentlichungen die vom Reichsgericht unterstellte Wirkung gehabt, dass die ausländischen Mächte den Verstoß gegen den Versailler Vertrag unterbunden hätten, so wäre der Menschheit viel Leid erspart geblieben.

Die Mahnung Mordechai Vanunus gegen die atomare Aufrüstung ist 65 Jahre nach den verheerenden Folgen der auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben nach wie vor aktuell. Die jüngsten Auseinandersetzungen um den Atomwaffensperrvertrag, die Tatsache, dass Israel sich auch auf dem diesjährigen Gipfel zur nuklearen Sicherheit nicht bereit fand, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen und es folglich ablehnt, Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ins Land zu lassen,neuerliche Spannungen zwischen Israel und Iran sowie anderen Atommächten wie Nordkorea, Indien und Pakistan und schließlich die immer wieder bekannt werdenden Exporte nuklearer Ausrüstungen verleihen den Mahnungen des Whistleblowers, des Mahners und Warners Mordechai Vanunu eine größere Dringlichkeit als je zuvor.

Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der ebenfalls mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet wurde, erklärte 1995 - anlässlich des 50. Jahrestags der Befreiung Europas von der Naziherrschaft - zu Recht:

"Es ist nach all den Kriegen, die dieses zu Ende gehende Jahrhundert zu einem mörderischen gemacht haben, an der Zeit, jedes militärische Geheimnis offenzulegen - und sei es durch Verrat."

Die Liga fordert die Zuständigen in Israel auf, Mordechai Vanunu freie Ausreise zu gewähren, um am 12. Dezember 2010 an dem ihm gewidmeten Festakt der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille in Berlin teilnehmen zu können. Die Anwesenheit des zu Ehrenden an der Medaillenverleihung ist unverzichtbar!

Wir rufen die Regierungen und Zivilgesellschaften aller Länder, die der UNO-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie dem Recht auf Leben in Frieden und Freiheit verpflichtet sind, dazu auf, die Forderung "Freie Ausreise" für Vanunu zu verbreiten und auf allen politischen Ebenen zu unterstützen. Dieser Appell richtet sich nicht zuletzt an die Bundesregierung und an die Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 9. November 2010
Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR)
Haus der Demokratie und der Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2010