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MELDUNG/182: Armenier nach 13-jährigem Aufenthalt abgeschoben (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - Pressemitteilung vom 11. April 2012

Landkreis Göttingen schiebt Armenier nach 13-jährigem Aufenthalt ab

- Abschiebung erfolgte trotz eines gegenteiligen Gerichtsbeschlusses
- Heirat nach kirchlicher Trauung mit deutscher Verlobten stand bevor



Wieder einmal hat eine niedersächsische Ausländerbehörde einen langjährig in Deutschland lebenden Flüchtling ohne eine vorherige Terminankündigung festgenommen und abgeschoben. Der 27 Jahre alte Sohrab A. , der vor über 13 Jahren als Vierzehnjähriger mit seiner Familie aus Armenien nach Deutschland geflohen war, wurde am 28. März 2012‍ ‍bei seiner Arbeit festgenommen und über den Frankfurter Flughafen abgeschoben.

Sohrab A. war, wie seine Anwältin Silke Schäfer aus Göttingen deutlich macht, in Deutschland sehr gut integriert. Er studierte Immobilienwirtschaft, arbeitete nebenbei zur Sicherung des Lebensunterhalts bei einer Telekommunikationsfirma und hatte seine deutsche Verlobte bereits kirchlich geheiratet. Seine ganze Familie und alle seine Freunde leben in Deutschland.

Weniger als eine Stunde vor dem Abflug stellte Anwältin Schäfer noch einen Eilantrag gegen die Abschiebung, der ca. eine Viertelstunde vor dem Abflug vom Verwaltungsgericht Göttingen positiv beschieden wurde. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde Sohrab A. trotz dieser einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts Göttingen abgeschoben: Der Bundesgrenzschutz erklärte zunächst, er benötige für einen Stopp der Abschiebung die schriftliche Bestätigung des Verwaltungsgerichts. Nach Übermittlung der Entscheidung hieß es dann, die Türen seien bereits geschlossen und ließen sich "nur noch aus Sicherheitsgründen? öffnen. Ein Sprecher des Landkreises erklärte lapidar, die Anordnung sei zu spät beim Landkreis eingegangen, daher habe die Abschiebung nicht mehr gestoppt werden können.

Der Fall belegt erneut, dass der Landkreis Göttingen offenbar bis heute nicht bereit ist, einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen zu pflegen. Warum wurde dem jungen Mann nicht die Heirat in Deutschland ermöglicht oder wenigstens der Abschiebungstermin vorher angekündigt? Wollte der Landkreis dem Betroffenen so die Chance auf einen effektiven Rechtsschutz verbauen? Warum hat der Landkreis, der über die Stellung des Eilantrags beim Gericht informiert war, nicht dafür gesorgt, dass die Gerichtsentscheidung sofort dem BGS vorgelegt wurde? Warum wurde Sohrab A. nicht wenigstens bei der Zwischenlandung in Moskau aus dem Flugzeug geholt und zu seiner Familie zurückgebracht?

Der Fall des Sohrab A. dokumentiert freilich auch und auf?s Neue das Versagen der Fachaufsicht durch das niedersächsische Innenministerium, das keinerlei Wert darauf legt, die Ausländerbehörden zu einem menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen anzuhalten, sondern die Ausländerbehörden im Gegenteil zu einer rücksischtslosen Abschiebung geduldeter Flüchtlinge anhält. Der Erlass des Innenministeriums aus dem Jahr 1995, der den Ausländerbehörden die Ankündigung des Abschiebungstermins im Regelfall vorschrieb, wurde auf Anordnung von Innenminister Uwe Schünemann im Jahr 2003 ersatzlos gestrichen. Wahrscheinlich kann sich der Landkreis Göttingen der Rückendeckung durch die Landesregierung auch in diesem Fall sicher sein.

Sohrab A. hat aufgrund der erfolgten rechtswidrigen Abschiebung zunächst ein lebenslängliches Betretensverbot für die Bundesrepublik Deutschland. Dieses kann durch den Landkreis Göttingen jedoch befristet werden. Wir fordern den Landrat Bernhard Reuter auf, im Rahmen einer Rechtsfolgenbeseitigung eine sofortige Aufhebung der Einreisesperre anzuordnen und alles dafür zu tun, um Sohrab A. eine baldige Einreise und standesamtliche Heirat seiner deutschen Verlobten zu ermöglichen.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 11. April 2012
Flüchtlingsrat Niedersachsen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2012