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MELDUNG/260: Bundesverfassungsgericht leistet Militarisierung Vorschub (Bundesausschuss Friedensratschlag)


Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag - 17.8.2012

Bundesverfassungsgericht leistet Militarisierung Vorschub

- Urteil des Bundesverfassungsgerichts kippt bisherige Rechtslage
- Einfallstor für Bundeswehreinsätze im Inneren



Kassel, 17. August 2012 - Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erklärte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Mit dem heutigen Urteil macht das BVerfG eine Kehrtwende in seiner eigenen Rechtsprechung: Noch vor sechs Jahren hatte das höchste deutsche Gericht ausgeschlossen, dass bewaffnete Streitkräfte auch im Inneren eingesetzt werden dürften. Damit kassierte das Gericht das Luftsicherheitsgesetzes des Bundes, das es der Bundeswehr erlauben sollte, in Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung notfalls auch Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich unbeteiligte Zivilpersonen befinden. "Die Regelung", so hieß es unzweideutig, "ist in vollem Umfang verfassungswidrig und infolgedessen ... nichtig."

Zwei Grundsätze des damaligen Urteils waren den Richter/innen besonders wichtig:

Erstens wurde eine Relativierung des Lebensrechts der Passagiere strikt ablehnt. In Randziffer 124 hieß es unzweideutig: "Sie (die Passagiere) werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt."

Zweitens verneinte das Urteil ein Recht der Bundesregierung, Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen. Das Grundgesetz (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1) erlaubt es dem Bund nicht einmal, "Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen", heißt es im zweiten Leitsatz des Gerichts.

Das alles soll seit heute nicht mehr gelten. Dieses Urteil ist verfassungspolitisch verheerend. Es besteht die dringende Gefahr, dass damit ein entscheidender Schritt getan ist, die strikte Trennung von Polizei und Bundeswehr, von innerer und äußerer Sicherheit aufzuheben. Diese Trennung gehört zu den wichtigsten Prinzipien des Bonner Grundgesetzes und war über 60 Jahre verfassungspolitischer Konsens in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist darüber hinaus ein Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit.

Auch politisch ist das Urteil verheerend. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte den Einsatz der Bundeswehr Im Inneren in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Wenn jetzt zwar das BVerfG beschwichtigend darauf verweist, dass mit dem heutigen Urteil ein Bundeswehreinsatz z.B. gegen Großdemonstrationen nicht gemeint sei, werden die Versuche zunehmen, die Grenze zwischen Polizei- und Bundeswehreinsätzen zunehmend zu verwischen. Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einem weiteren Schritt ihrer inneren Militarisierung. Dazu sagt die Friedens- und Demokratiebewegung eindeutig uns lautstark NEIN.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

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Quelle:
Pressemitteilung vom 17. August 2012
Bundesausschuss Friedensratschlag
Germaniastr. 14, 34119 Kassel
Telefon: (0561) 93717974
E-Mail: strutype@uni-kassel.de
Internet: http://www.ag-friedensforschung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012