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MELDUNG/283: Bonner Friedenskongress 2012 - Diskussionsforum zum Themen Frieden für Afghanistan (IPPNW)


IPPNW-Pressemitteilung vom 14. Oktober 2012
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

Bonner Friedenskongress 2012

Afghanische und deutsche Zivilgesellschaft stellt sich
Herausforderungen für Frieden, Demokratie und Entwicklung in Afghanistan



Für eineinhalb Tage hat der Friedenskongress "Stoppt den Krieg - Wege zum Frieden in Afghanistan" zu den Möglichkeiten eines nachhaltigen Friedens in dem Land unterschiedliche Gruppen des afghanischen Exils mit Vertretern der deutschen Friedensbewegung und Besuchern aus Afghanistan selbst zusammengebracht. Für die Veranstalter, sowohl Afghaninnen und Afghanen als auch VertreterInnen der deutschen Friedensbewegung, liegt der Erfolg des Kongresses zuallererst in seinem erstmaligen Angebot einer Plattform des offenen Meinungsaustausches. Für ein Land im Krieg ist es nicht selbstverständlich, dass sich verschiedene afghanische Exilfraktionen mit Afghaninnen und Afghanen direkt aus der Heimat und Engagierten der deutschen Friedensbewegung in einer freundschaftlichen Atmosphäre austauschen.

Die thematisch breit gestreuten Vorträge, Workshops und Diskussionen des Kongresses beleuchteten viele Facetten der Vision eines gerechten Afghanistans, die durch eine demokratische, soziale und ökologische Entwicklung des Landes konkretisiert werden.

Die Abschlusserklärung der Veranstalter fasst einige davon zusammen. Danach sind u.a. nötig,

  • ein umfassender lang angelegter Versöhnungsprozess nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg,
  • eine gleichberechtigte Partizipation von Frauen auf allen Ebenen und ein System der Absicherung der Frauen- und Menschenrechte,
  • ein umfassendes Bildungs- und Ausbildungssystem für jede und jeden,
  • ein dezentrales Gesundheitssystem, zu dem alle Zugang haben,
  • die umfassende Förderung einer nachhaltigen, dezentralen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die in der Lage ist, das Land selbst zu versorgen und den BäuerInnen ein Leben in Sicherheit und "kleinem" Wohlstand ermöglicht,
  • sowie eine ökonomische Entwicklung entsprechend der Kultur, der Umwelt und den Bedürfnissen des Landes.

Dem toleranten Diskurs der VetreterInnen beider Zivilgesellschaften über die Lage in Afghanistan und möglichen Friedenstrategien, so Karim Popal und Reiner Braun von Seiten der Organisatoren, haben alle Beteiligten vorangestellt, dass der Abzug aller ausländischen Truppen und das Ende der Okkupation die Vorbedingungen für eine Verbesserung der extrem kritischen Lage in Afghanistan sei. Der Frieden für Afghanistan müsse aus Afghanistan selbst kommen, was besonders die Gewährung von Sicherheit für alle als eine Grundlage der oben skizzierten notwendigen Entwicklungen bedeute.

Mit seiner Qualität und Atmosphäre erfüllte der Kongress den zentralen Gedanken des Eröffnungswortes des Bonner Oberbürgermeisters Jürgen Nimptsch mit realem Leben, der den Wert des Kongresses in seinem nachhaltigen Ansatz für die afghanische und deutsche Zivilgesellschaft verortete und Bonn deswegen als idealen Veranstaltungsort bezeichnete.

Weitere Informationen zum Kongress unter www.afghanistanprotest.de

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Abschlusserklärung des Friedenskongresses 2012, "Stoppt den Krieg - Wege zum Frieden in Afghanistan"
Afghanistan: Herausforderung für Frieden, Demokratie und Entwicklung


"Nichts ist gut in Afghanistan", diese Aussage der ehemaligen Präsidentin der EKD, Margot Käßmann, beschreibt zutreffend die Realität Landes. Entgegen den Aussagen der Bundesregierung bestimmen Krieg, Leid, Tod und Zerstörung das tägliche Leben der Menschen in Afghanistan.

Dies belegen

  • die zunehmende Anschlagserie und die steigenden Opferzahlen der Zivilgesellschaft
  • die größten materiellen Verluste der NATO-Truppen seit 2001 im August 2012,
  • die Aussagen des Generalsekretärs der NATO, Rasmussen, vom 2.10.2012,
  • der neueste Bericht der International Crisis Group,
  • der Bericht des bisherigen Leiters des Roten Kreuzes in Kabul,
  • der geheim gehaltene Bericht des Bundesnachrichtendienstes,
  • der Rückzug der Heinrich Böll Stiftung aus Kabul.

Eine kaum zu beschreibende Korruption, Drogenökonomie, tägliche Missachtung der Frauen- und Menschenrechte - das ist die Realität und verweist alle Berichte der Bundesregierung in den Bereich der Schönfärberei.

Krieg und Unterdrückung, individuelle und kollektive Rechts- und Gesetzlosigkeit ist die Realität.

Dieser Realität stellen wir - Organisationen aus der Friedensbewegung und der afghanischen Zivilgesellschaft - unsere Vision eines Lebens in Frieden und Freiheit gegenüber.

Wir wissen: Der Zustand in Afghanistan wurde von Menschen und Regierungen herbeigeführt - kriegerisch, grausam und brutal, er kann auch durch den Willen und das Handeln der Menschen geändert werden.

Für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und im Einklang mit der Natur werden wir weiter gemeinsam eintreten.

Wir - die Veranstalter des Kongresses - wissen, die erste Grundvoraussetzung dafür ist das Ende des Krieges und die Beendigung der internationalen Okkupation des Landes.

Deshalb erneuern wir unsere Forderung nach dem Abzug aller ausländischen Truppen, nach einem sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen unter Beteiligung aller Konfliktparteien, inklusive von Frauen.

Eine Verhandlungslösung erfordert eine neutrale Übergangsregierung in Afghanistan, die den notwendigen Gesprächsprozess moderiert, die Partizipation von Frauen gewährleistet, die Ausarbeitung einer auf Konsens beruhenden Verfassung ermöglicht und freie Wahlen vorbereitet, an denen auch die bisherigen Aufständischen als politische Partei(en) teilnehmen können.

Eine internationale Konferenz Afghanistans und seiner Nachbarstaaten sollte, um die Souveränität Afghanistans wiederherzustellen, einen Weg zu Frieden und Sicherheit in der Region ebnen und künftige Interventionen ausschließen.

Wir wissen: Dieser Weg zum Frieden ist schwierig, widersprüchlich und wird nicht ohne weitere Opfer erreicht werden können. Wir appellieren an die Kräfte in Afghanistan: Es muss vermieden werden, dass der Krieg in Afghanistan vollständig in einen Bürgerkrieg umschlägt.

Wir sind davon überzeugt, dass das Ziel eines freien und selbstbestimmten Afghanistans nur unter aktiver Beteiligung der afghanischen Zivilgesellschaft, insbesondere der Frauen und unter breiter internationaler Solidarität der Friedens- und sozialen Bewegungen erreicht werden kann. Die enge Zusammenarbeit aller friedens- und freiheitsliebenden Menschen in und aus Afghanistan sowie ihrer Organisationen ist dabei unabdingbar, sektiererische Abgrenzungen äußerst schädlich.

Die Afghaninnen und Afghanen müssen über die Zukunft ihres Landes selbst entscheiden können und eine Friedenslösung finden, die im Einklang steht mit ihrer Kultur und mit der UNO- Menschenrechtsdeklaration - eine Friedenslösung, die nicht nur Afghanistan Frieden bringt, sondern auch zum Frieden in der Region beiträgt.

Die Nachbarländer und die Welt sind aufgefordert, das
Selbstbestimmungsrecht dieser Länder zu respektieren.

Hilfe für Afghanistan ist Hilfe zur Selbsthilfe und muss, unter der Autonomie einer legitimierten Regierung, unter Beachtung der Kultur des Landes, der Menschenrechte, der Dezentralität und Basisnähe erfolgen. Die neoliberale Einflussnahme und Ausplünderung muss beendet, ein eigener Entwicklungsweg eingeschlagen werden. Nachhaltigkeit der Entwicklung ist das Ziel. Die NATO-Länder müssen die Verantwortung für die katastrophalen zivilen, ökonomischen und ökologischen Kriegsfolgen übernehmen - die Verursacher müssen für den angerichteten Schaden aufkommen.

Die Vision eines gerechten Afghanistans hat viele Facetten, die durch eine demokratische, soziale und ökologische Entwicklung des Landes konkretisiert werden.

Hierzu gehören:

  • Ein umfassender lang angelegter Versöhnungsprozess nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg.
  • Eine gleichberechtigte Partizipation von Frauen auf allen Ebenen und ein System der Absicherung der Frauen- und Menschenrechte.
  • Ein umfassendes Bildungs- und Ausbildungssystem für jede und jeden.
  • Ein dezentrales Gesundheitssystem, zu dem alle Zugang haben.
  • Die umfassende Förderung einer nachhaltigen, dezentralen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die in der Lage ist, das Land selbst zu versorgen und den BäuerInnen ein Leben in Sicherheit und "kleinem" Wohlstand ermöglicht.
  • Eine ökonomische Entwicklung entsprechend der Kultur, der Umwelt und den Bedürfnissen des Landes.

Hilfe von außen tut Not. Die deutlich werdende Flucht aus der Verantwortung der NATO-Länder muss zugunsten eines von den Afghaninnen und Afghanen entwickelten und abgesicherten "Aufbauplanes" verändert werden. Hier ist die internationale Friedens- und Entwicklungsbewegung besonders gefordert.

Sage keiner - dieses ist eine Illusion!

Geschichte ist prinzipiell gestalt- und veränderbar. Der Entkolonialisierungsprozess, die grundlegenden Veränderungen in Europa Ende der 80er /Beginn der 90er Jahre, der arabische Frühling sind nur einige Beispiele, die jeden Fatalismus historischer Veränderungen als unhistorische Betrachtung historischer Prozesse aus den Bereich der Realität verbannen.

Wir wissen, "es sind die Völker die Geschichte schreiben" (Salvador Allende), auch in Afghanistan. Es wird eine Geschichte des Friedens, der Freiheit und Entwicklung entsprechend der eigenen Geschichte und Kultur, auch wenn es lange dauert und der Weg opferreich ist.

Wir wollen mit der Friedensbewegung alles unterstützen, was das Leid der Menschen, was Krieg und Unterdrückung beendet. Wir wollen weiter mithelfen, eine Entwicklung zu fördern, wo "der Mensch zum Menschen" (Bertolt Brecht) wird.

Friedenskongress 2012
info@afghanistanprotest.de
www.afghanistanprotest.de/friedenskongress-2012

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Quelle:
Pressemitteilung vom 14. Oktober 2012
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2012