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MELDUNG/822: Friedenscamp und Protestwoche Stopp Ramstein (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Friedenscamp und Protestwoche Stopp Ramstein

Von Reto Thumiger, 16. September 2017



Viele Menschen, viele bunte Fahnen - Bild: © Reto Thumiger

Im Friedenscamp
Bild: © Reto Thumiger

Berlin - 16.09.2017. Dieses Jahr fand zum dritten Mal das Friedenscamp in unmittelbarer Nähe der US Air Base Ramstein statt. Und die diesjährigen Proteste gegen den Drohnenkrieg, die völkerrechtswidrige Nutzung der Air Base Ramstein für extralegale Tötungen und die Beteiligung an Kriegen konnte sich sehen lassen.

Sie waren die bisher größten Aktionen in der Geschichte dieses US-amerikanischen Militärstützpunktes und außerdem mit Abstand die größte Friedensaktion in Deutschland in diesem Jahr. Sie ging in der besten Tradition der Friedensbewegung über die Bühne, breit, bunt, pluralistisch, vielfältig, solidarisch, internationalistisch sowie antifaschistisch und jung.

Die Bedeutung des wachsenden und friedlichen Widerstandes kann in der aktuellen weltpolitischen Situation, in der die Zeichen auf mehr Krieg und Konfrontation stehen, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bemerkenswert ist auch die so bitter nötige Verjüngung innerhalb der Friedensbewegung und der Brückenschlag zwischen der sogenannten alten und neuen Friedensbewegung, der zu großen Teilen Reiner Brauns Engagement, Mitglied im Koordinierungskreis Stopp Ramstein, zu verdanken ist.


Die Herausforderung für die weltweite Friedensbewegung ist immens

Die Zeiten, in denen man sich internen Streitigkeiten widmen oder wählerisch bezüglich der Mitstreitenden sein konnte, sind angesichts der ungeheuer anwachsenden Kriegsbedrohungen, die selbst einen Atomkrieg nicht mehr unmöglich scheinen lassen, definitiv vorbei. UN-Generalsekretär Guterres vergleicht die Situation mit der "Kuba Krise" von 1962 - damals stand die Welt am Abgrund. Die Verantwortungslosigkeit, gerade westlicher Politik, ist schwer zu überbieten. Die Herausforderung für die weltweite Friedensbewegung ist deshalb immens. Der nächste Schritt lautet, andere zivile Akteure einzubinden und ihnen klar zu machen, dass es sich nicht einfach um ein linkes Thema unter vielen handelt, sondern die größte und unmittelbarste Gefahr, die das Überleben der Menschheit heute bedroht.

Die Vielfalt der Aktionen gegen die Drohnen und die Ramstein Air Base war einmalig und beeindruckend.

Ein Friedenscamp mit mehr als 800 Menschen, junge, alte, Familien mit Kindern, die für eine Woche solidarisch zusammenlebten, das reiche Kulturprogramm und die zahlreichen Diskussionsrunden genossen und sich vegan aus regionalen Bioprodukten ernährten. Die Sehnsucht und der Wille nach einer Welt des Friedens war greifbar und die Friedensbewegung wurde gelebt. Aus dem Camp kamen auch die meisten Helferinnen und Helfer für die zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen, die die ganze Durchführung erst möglich gemacht haben.


Gründung eines internationalen Netzwerkes gegen Militärbasen

Eindrucksvoll war die Beteiligung schon am Freitag, mehr als 300 TeilnehmerInnen waren beim internationalen Kongress zu Militärbasen und ihrer geostrategischen Bedeutung für weltweite Kriege zugegen. Ohne weltweite Militärbasen wären keine Kriege möglich. Deswegen ist die Schließung dieser Stützpunkte und ihr Umbau ein elementares Ziel der internationalen Friedensbewegung. Die USA führen weltweit fast 800 solcher Stützpunkte, die durch Verträge mit den Stationierungsstaaten legitimiert sind. Solche Verträge sind erfolgreich kündbar, wie Beispiele aus Lateinamerika und Zentralasien aufzeigen. Der Kongress bildete einen wichtigen Meilenstein zur Vernetzung und Bündelung des Widerstandes. Gäste aus Irland, Südkorea, Großbritannien und Norwegen berichteten von ihrem Widerstand. Der Kongress endete mit der Gründung eines internationalen Netzwerkes gegen Militärbasen.

In der zum Bersten vollen Versöhnungskirche hielten Eugen Drewerman, Daniele Ganser und Ann Wright, drei hochkarätige Redner, am Freitagabend in Kaiserslautern Reden zu den Themen Militarisierung, Drohnenkrieg und Mut zum Widerstand. Sie alle warnten vor einem zunehmenden Militarismus. Ann Wright, durch persönliche Betroffenheit der Flutkatastrophe in den USA an der Reise nach Deutschland gehindert, berichtete über die massiven Aufrüstungspläne von Präsident Trump. "Trump erhöht die jährlichen Militärausgaben um 65 Milliarden auf 611 Milliarden US-Dollar und streicht zugleich den Katastrophenschutzplan auf null." Sie rief die Friedensbewegungen auf beiden Seiten des Atlantiks zu gemeinsamen Protesten gegen die NATO-Pläne, die Rüstungsbudgets der Mitgliedsländer auf 2% des BIP zu erhöhen, auf. Eugen Drewermann ermahnte zum Frieden und klagte den deutschen Militarismus und die deutsche Bundesregierung an: "Terror ist der Krieg der Schwachen, Krieg ist Terror der Starken. Die Bundesregierung führt Krieg". Daniele Ganser forderte die US-Regierung auf, sämtliche Militärbasen in Europa zu schließen und das Drohnenmorden zu beenden. "Drohnen sind Killerroboter, die die Entmenschlichung durch das Militär weiter verstärken." 1.200 Personen verfolgten in der Versöhnungskirche bzw. im Kirchgemeindehaus via Videoübertragung die Veranstaltung.


Engagiert euch und traut denen da oben nicht

Aktionshöhepunkt war eine geschlossene, Mensch an Mensch stehende Menschenkette mit 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Bilder und Videos zeugen von einem Protest des Friedens und der Freude. Beeindruckend war der Ablauf, spannend und vielfältig die Kundgebungen. "Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie Wolken den Regen", verwies Oskar Lafontaine auf die ökonomischen Grundlagen der aktuellen Kriege. "Wir brauchen eine größere und aktionsfähigere Friedensbewegung gegen die immense Aufrüstung der NATO", formulierte der Vorsitzende der Naturfreunde und ehemalige sozialdemokratische Staatssekretär im Umweltministerium Michael Müller als zentrale Herausforderung.

Am Ende der Aktionswoche stand das Friedensfestival mit 26 Gigs, einer schönen Atmosphäre und 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die den kulturellen Friedensabend genossen. Leslie Clio, Patrice und viele mehr traten auf. Dieter Hallervorden forderte in einem kämpferischen Video auf, sich zu engagieren und denen da oben nicht zu trauen.

Die Ramstein-Proteste werden 2018 sicher weitergehen. Damit die Teilnehmerzahl von 5.000 deutlich überschritten werden kann, bedarf es jedoch eines breiten Engagements und vieler neuer Ideen. Es liegt an den Menschen in diesem Land, damit der folgende Satz erneut seine Gültigkeit zurückerlangt: "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, sondern nur noch Frieden ausgehen!"

Hintergrund: Die amerikanische Militärbasis Ramstein ist der zentrale Drohneneinsatzpunkt dieser Erde. Kaum einer der Drohnen-Einsätze ist möglich ohne sie. 650 dort stationierte Mitarbeiter analysieren ständig die von Drohnen gelieferten Überwachungsdaten vermeintlicher Zielpersonen und leiten diese an die Einsatzzentrale weiter. Aktuell sind in Deutschland 155 Drohnen unter anderen in Ramstein stationiert, was einer Verdoppelung seit 2014 entspricht. Das Raketenabwehrsystem an der russischen Grenze in Polen, Rumänien und Bulgarien wird ebenfalls von Ramstein aus gesteuert. Ramstein ist der Einsatzpunkt aller in Europa gelagerten Atomwaffen, inklusive der in Deutschland stationierten amerikanischen Atombomben. Alle Luftwaffeneinsätze der US-Amerikaner in Europa, in Nordafrika, im Mittleren und Nahen Osten werden über Ramstein koordiniert, logistisch vorbereitet und durchgeführt. Es ist die Zentrale für den militärischen Interventionismus der Amerikaner schlechthin. Außerdem ist Ramstein auch noch ein Zentrum für die Bespitzelung und Überwachung in Deutschland.


Über den Autor

Seit über 25 Jahren ist der gebürtige Schweizer und gelernte Kaufmann Reto Thumiger Aktivist des Neuen Humanismus. Seine Anliegen, wie kulturelle Vielfalt, gleiche Rechte und Möglichkeiten für alle Menschen sowie eine innere und äußere Revolution - basierend auf der aktiven Gewaltfreiheit, führte ihn in sehr unterschiedliche Länder, wie Ungarn, Spanien, Togo und Sierra Leone. Mit seiner freiwilligen Tätigkeit in Pressenza Berlin möchte er der neuen Sensibilität und dem neuen Bewusstsein ein Sprachrohr verleihen und mit seinem Engagement bei der Organisation Begegnung der Kulturen von einem multikulturellen Nebeneinander zu einer weltweiten menschlichen Nation gelangen.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2017

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