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AFRIKA/041: Interview - Dieses Urteil wird viele indigene Gemeinschaften ermutigen! (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

INTERVIEW

Dieses Urteil wird viele indigene Gemeinschaften ermutigen!
Die Afrikanische Menschenrechtskommission gibt den Endorois Recht


Während in Lateinamerika die Diskussion um die Rechte der indigenen Bevölkerung sehr weit fortgeschritten ist, steht sie in Afrika noch am Anfang. Dabei sind es häufig indigene Gemeinschaften, deren Rechte dort massiv verletzt werden und die dringend eines Schutzes bedürften. FIAN sprach mit Marianne Jensen über die Lage der indigenen Gemeinschaften in Afrika, die Gefahren durch ausländische Direktinvestitionen und ein bahnbrechendes Urteil der African Commission on Human and People's Rights (Afrikanische Menschenrechtskommission).


FRAGE: Marianne, wer gilt aktuell in Afrika als indigen und wer nicht?

MARIANNE: Diese Frage wird in Afrika insbesondere von der Afrikanischen Menschenrechtskommission sehr viel diskutiert. Genau genommen hat die Afrikanische Menschenrechtskommission diese Debatte im Jahr 2000 auf kontinentaler Ebene begonnen. Sie haben damals eine spezielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Die Definition, die sie heute anwenden, folgt weitestgehend der UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Bevölkerung. Nach dieser Definition handelt es sich um Gruppen von Menschen, deren Kulturen sich stark unterscheiden von der Kultur der Mehrheitsgesellschaft, Menschen die sehr von dem Land abhängen, welches sie besiedeln und die oft sozial und politisch marginalisiert werden, d. h. die im jeweiligen politischen System sehr schlecht repräsentiert sind. Ein weiteres relevantes Unterscheidungsmerkmal ist die Selbstidentifikation der Menschen als indigene Bevölkerung. In Afrika handelt es sich im Moment hauptsächlich um Nomaden-Völker oder Jäger- und Sammler-Völker.

FRAGE: Die für indigene Belange so wichtige ILO-Konvention 169 wurde bislang fast ausschließlich von Lateinamerikanischen Staaten unterzeichnet? Warum nicht in Afrika?

MARIANNE: Die zentralafrikanische Republik hat die ILO-Konvention 169 vor kurzem tatsächlich ratifiziert! Dennoch ist diese Konvention in weiten Teilen Afrikas nach wie vor kaum bekannt. Außerdem haben die afrikanischen Staaten bei der Debatte um die UN-Deklaration über indigene Rechte kaum mitgewirkt, da dieses Thema ihrer Meinung nach interessant ist für Lateinamerika oder Australien aber eben nicht so sehr für Afrika. Die Debatte um indigene Bevölkerung ist in Afrika im Vergleich zu Lateinamerika nach wie vor sehr neu. Die Afrikanische Menschenrechtskommission spielt hierbei eine zentrale Rolle.

FRAGE: Vor kurzem gab es ein Urteil der Afrikanischen Menschenrechtskommission zugunsten der Endorois, einem indigenen Hirtenvolk aus Kenia. Was ist das Besondere an diesem Urteil?

MARIANNE: Es ist das erste Urteil der Afrikanischen Menschenrechtskommission, welches sich konkret mit der indigenen Bevölkerung in Afrika beschäftigt. Die Kommission hat die Klage der Endorois gegen den Staat Kenia eindeutig zugunsten der Endorois entschieden. Das Urteil besagt, dass deren Eigentumsrechte berücksichtigt werden müssen und dass sie ein Anrecht auf Rückgabe ihres Landes haben. Die Endorois wurden in den 70er Jahren enteignet, weil die Regierung auf diesem Gebiet ein Wildreservat einrichten wollte. Das Urteil besagt nun, dass sie uneingeschränkten Zugang zu dem Gebiet haben müssen, da die Vertreibung von ihrem Land zur Verarmung der Menschen führte Und ihre traditionelle Lebensweise gefährdete, da diese in hohem Maße vom Zugang zu ihrem Land abhängt. Neben der wirtschaftlichen und kulturellen wird auch die religiöse Bedeutung des Landes für die Endorois genannt. Es ging zwar in erster Linie um das Wildreservat, aber es gab auch noch eine weitere wichtige Komponente. In dem Gebiet baut eine Bergbau-Firma Edelsteine ab, ohne die Endorois an den Gewinnen zu beteiligen. Das Urteil stellt fest, dass Abgaben an die Endorois gezahlt werden müssen.

FRAGE: Wie stehen die Umsetzungschancen? Kann die kenianische Regierung dieses Urteil ignorieren?

MARIANNE: Ein großes Problem der Afrikanischen Menschenrechtskommission ist, dass sie über keine Vollzugsgewalt verfügt. Das heißt, wenn sie ein Urteil fällt, hängt sie stark vom Willen der Mitgliedstaaten ab, das Urteil auch zu respektieren. Es kommt in diesem Fall jetzt vor allem auf die Zivilgesellschaft in Kenia an, um für die Umsetzung des Urteils zu werben und Druck zu machen. Aber ich bin da guter Dinge. Ich war im März kurz nach der Urteilsverkündung in Kenia. Dem Urteil wurde große Aufmerksamkeit geschenkt. Alle wichtigen Zeitungen und Fernsehkanäle sprachen darüber. Besonders wichtig war, dass der kenianische Landminister öffentlich versprach, dass die Regierung dieses Urteil respektieren und umsetzen werde. Aber dies sagt sich natürlich sehr leicht.

FRAGE: Hat die Afrikanische Menschenrechtskommission in ihrem Urteil auf andere Menschenrechtsdokumente konkret Bezug genommen?

MARIANNE: Die Afrikanische Menschenrechtskommission hat insbesondere auf die UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Bevölkerung Bezug genommen und die dort genannten Argumente zu den Themen Land und natürliche Ressourcen aufgegriffen. Außerdem hat sie Bezug genommen auf die ILO-Konvention 169, den UN-Menschenrechtsrat sowie verschiedene Lateinamerikanische Urteile. Aber auch Urteile aus Neuseeland zu den Maori oder aus Kanada zu den Inuit wurden erwähnt.

FRAGE: Welche Konsequenzen kann das Urteil haben?

MARIANNE: Viele andere Gemeinschaften in Afrika, denen ähnliches widerfahren ist, wird dieses Urteil motivieren, ebenfalls vor Gericht zu ziehen, entweder auf nationaler oder internationaler Ebene.

FRAGE: Zu einem anderen Thema. Stellen ausländische Direktinvestitionen eine große Gefahr für indigene Völker in Afrika dar?

MARIANNE: Die indigene Bevölkerung ist von allen Investitionsformen betroffen, aus dem In- und Ausland. Es gibt viele Fälle von landgrabbing und Landenteignung und oft stecken wirtschaftliche Interessen dahinter. Nehmen wir ein Beispiel. aus Nord-Tansania: Dort gibt es einen großen Anbieter für Großwildjagdtouren aus Dubai. Sie haben Verträge mit dem tansanischen Staat abgeschlossen, ein riesiges Jagdgebiet eingerichtet, und fliegen nun aus Dubai Jagdtouristen ein. Die Massai-Nomaden wurden aus diesem Gebiet vertrieben. Es kam zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte und die privaten Sicherheitsunternehmen. Sie brannten die Häuser der dort lebenden Menschen nieder und töteten deren Tiere. Dies ist nur ein Beispiel, aber es gibt viele Fälle von ausländischen Direktinvestitionen, die negative Folgen haben für die indigene Bevölkerung.

FRAGE: Gibt es keine Gesetze, welche die Indigenen vor solchen Übergriffen schützen?

MARIANNE: Natürlich sollte die indigene Bevölkerung durch die nationalen Gesetze geschützt sein. Aber trotz aller Gesetze und trotz der tansanischen Verfassung drangen die Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen ein. Es kam zu Folter und Vergewaltigungen, Kinder verschwanden. Wer soll diese Menschen schützen? Sie sind nicht gut organisiert und leben in den abgelegensten Winkeln des Landes. Sie versuchen, Anwälte zu finden und die Fälle in Tansania vor Gericht zu bringen. Die Fälle im Land vor Gericht zu bringen ist die erste Möglichkeit, die die Menschen haben. Doch dies ist oft sehr frustrierend. Oft sind die Anwälte zu teuer oder die Fälle werden verschleppt und verlaufen im Sande.

FRAGE: Gibt es in Afrika eine Debatte über den freien vorherigen informierten Konsens als Vorbedingung für Direktinvestitionen?

MARIANNE: Dies ist eine der Schlüsselfragen und wird auch in Afrika immer wieder diskutiert und hervorgehoben. Die Forderung lautet, dass vor jedweder Form von Initiative, Investition oder Entwicklungszusammenarbeit ein freier vorheriger informierter Konsens mit den Indigenen gefunden worden sein muss. Leider wird die indigene Bevölkerung in den seltensten Fällen vorher informiert. Dieser Punkt wurde in dem Endorois-Urteil sehr genau untersucht und es wurde festgestellt, dass es eine solche vorherige Konsultation der Endorois nicht gegeben hat. Dieser Fall zeigt ebenso wie der Fall der Massai in Tansania, dass es oft schlicht überhaupt keine vorherige Konsultation gibt. In vielen Fällen wachen die Menschen morgens auf und müssen feststellen, dass sie von ihrem Land vertrieben werden.

FRAGE: Welche sind die dringendsten Forderungen, um die Situation der indigenen Bevölkerung in Afrika zu verbessern?

MARIANNE: Viele unserer Partner sagen uns immer wieder, dass die Frage der Landrechte und der natürlichen Ressourcen entscheidend für die Verbesserung der Lage der indigenen Bevölkerung in Afrika ist. Solange sie keinen Zugang zu ihrem Land und keine Kontrolle über ihre natürlichen Ressourcen haben, werden alle anderen Bemühungen zunichte gemacht Das führt zu Armut und Verlust der indigenen Kultur. Aber die indigene Bevölkerung wird sich diese Rechte selbst erstreiten müssen. Es gibt nicht viele andere gesellschaftliche Sektoren, die für sie Partei ergreifen oder sie unterstützen. Von daher wird es sehr wichtig sein, die indigenen Gruppen selbst zu stärken, damit sie besser an politischen Debatten teilnehmen, ihre Rechte vertreten und weitere Fälle vor Gericht bringen können. Der Endorois-Fall ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg, aber ich glaube, es ist auch notwendig, mehr den Dialog zwischen jeweiligen Regierungen und den Indigenen in den Ländern selbst zu suchen.

Marianne Jensen ist Afrika-Koordinatorin der International Work Group for Indigenous Affairs.
www.iwgia.org


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2010