Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

AKTION/109: Indien - Tote bei Widerstand gegen Sonderwirtschaftszone (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Februar 2008 - FIAN-Eilaktion 0803 UIND - Folgeaktion zu 0702

Indien: Tote bei Widerstand gegen Sonderwirtschaftszone in Nandigram


Am 31. Juli 2006 hat die Regierung des indischen Bundesstaats West-Bengalen mit der indonesischen MNC Salim Group ein Abkommen über die Umsetzung verschiedener "Entwicklungs"-Projekte unterzeichnet, darunter die Einrichtung eines riesigen Chemieindustrie-Areals, einer so genannten chemischen "Sonderwirtschaftszone" (SWZ), in Nandigram. Hier sollen besondere Regeln gelten, um ausländische Direktinvestitionen für die exportorientierte Produktion zu ermöglichen. Bei der Entscheidung über eine SWZ müssen lediglich wirtschaftsbezogene Faktoren, d. h. die Schaffung zusätzlicher ökonomischer Aktivität und von Beschäftigungsmöglichkeiten, geprüft werden. Mögliche Menschenrechtsverletzungen oder die Vertreibung von Adivasis müssen nicht in Betracht gezogen werden. Für die geplante SWZ in Nandigram sollen knapp 8.000 Hektar Land erworben werden, was zur Vertreibung von 100.000 Menschen - vorwiegend Kleinbauern, Farmpächter und Landarbeiter, deren Überleben von ihrem Land abhängt - führen würde. Bisher wurden ihnen keine Entschädigung oder Wiedergutmachung in Aussicht gestellt. Die Mehrheit der Menschen wäre nicht in der Lage, alternative Erwerbsmöglichkeiten zu finden, denn sie haben immer nur in der Landwirtschaft und in keinem anderen Beruf gearbeitet. Bei dem Land handelt es sich um fruchtbare, teilweise bewässerte Anbauflächen. In Nandigram kam es im März 2007 zu einem bisher noch nie da gewesenen Massenprotest, als die Regierung des Bundesstaates mehrere Dörfer für die Einrichtung der SWZ erwerben wollte. Dabei wurden 14 Bauern, die an einer friedlichen Demonstration teilnahmen, durch Schüsse von der Polizei getötet. In den vergangenen 11 Monate starben mehr als 20 Dorfbewohner durch Schüsse der Polizei und durch Übergriffe von Handlangern der Regierungspartei. Am 10. November 2007 kamen Dorfbewohner, darunter Frauen und Kinder, ums Leben, als die bewaffneten Handlanger der CPIM bei einer friedlichen Demonstration das Feuer eröffneten. Infolge dieses Angriffs flohen Dorfbewohner von Nandigram Block 1 und Block 2 in temporäre Schutzunterkünfte, während die bewaffneten CPIM-Handlanger die Dörfer durchkämmten, Eigentum plünderten, Hütten in Brand setzten und sexuelle Übergriffe gegen Dorffrauen verübten.

Die Polizei sah während der Gewaltaktionen in Nandigram nur stillschweigend zu. Statt für Ordnung und Einhaltung der Gesetze zu sorgen, weigerte sich die Polizei auf Geheiß der Regierungspartei, die armen und bedrohten Dorfbewohner zu schützen und ließ damit zu, dass sich die Situation in dem Gebiet verschlimmerte. Vertreter der Zivilgesellschaft, Medien und prominente Persönlichkeiten aus West-Bengalen und anderen Teilen Indiens wurden von der Polizei festgenommen und bedroht.

Inzwischen wurde aus Delhi die Zentrale Reservepolizei (CRPF) von der Zentralregierung entsandt, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Dennoch werden die Dorfbewohner weiterhin von den bewaffneten Handlangern bedroht und haben keinen sicheren Zugang zu wirtschaftlichen Tätigkeiten. Die Dorfbewohner wurden jetzt gezwungen, in ihre Häuser zurückzukehren, doch ihr Eigentum ist gänzlich zerstört. Nun hat die Regierung beschlossen, die CRPF aus dem Gebiet abzuziehen, wogegen die Dorfbewohner protestieren, weil sie befürchten, dass nach einem Rückzug der CRPF die Gewalt und die Übergriffe zunehmen.


Zusammenfassung

Dorfbewohner von Nandigram, darunter Frauen und Kinder, kamen ums Leben, als bewaffnete Handlanger der CPIM (der marxistisch orientieren Kommunistischen Partei Indiens) bei einer friedlichen Demonstration am 10.11.2007 das Feuer eröffneten. Die Dorfbewohner widersetzen sich seit 11 Monaten einer geplanten Sonderwirtschaftszone, die mehr als 100.000 Menschen vertreiben würde. Offizielle Quellen haben bislang den Tod von drei Dorfbewohnern bestätigt, während inoffiziellen Quellen zufolge mehr als 20 Dorfbewohner bei den Gewaltaktionen in Nandigram starben. Mehr als 40.000 obdachlose arme Menschen, die in temporären Schutzunterkünften Zuflucht vor der Gewalt suchen mussten, leben derzeit unter ständigen Bedrohungen und haben alles verloren. Ihre Lebensgrundlage ist in Gefahr, ihr Recht auf Nahrung ist schwerwiegend bedroht.


Menschenrechtliche Verpflichtungen Indiens

Indien (und damit auch der Bundesstaat West-Bengalen) ist als Unterzeichnerstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte völkerrechtlich verpflichtet, das Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu achten und zu schützen. Indem der Bundesstaat West-Bengalen nicht die Sicherheit der Existenzgrundlage der Dorfbewohner/innen von Nandigram sowie Entschädigung und Wiedergutmachung gewährleistet, verletzt er das Recht auf Nahrung dieser Personen.


Aktion

Schreiben Sie bitte einen höflichen Brief an den Ministerpräsidenten von West-Bengalen, mit Kopien an den für Land und Landreform zuständigen Minister, und an den Vorsitzenden der Menschenrechtskommission von West-Bengalen. Fordern Sie diese darin auf, der fortdauernden gewaltsamen Unterdrückung ein Ende zu setzen und die langfristige Sicherung der Existenzgrundlage der von der Sonderwirtschaftszone betroffenen Menschen zu gewährleisten.


Ende der Aktion: 30. April 2008

Ein Brief nach Übersee kostet aus Deutschland 1,70 Euro,
aus Österreich 1,40 Euro,
aus Belgien 0,90 Euro.


Bitte informieren Sie FIAN über Reaktionen auf Ihre Briefe!


Adressaten der Aktion

Shri Buddhadeb Bhattacharjee
Chief Minister
Government of West Bengal
Writers' Building
Kolkata 700001
Indien
Fax: 009133-22145555 oder
22145588 oder 22145480

Shri Abdur Rezzak Mollah
Minister in Charge
Land and Land Reforms Department
Writer's Building
Kolkata 700 001
Indien
Fax: 009133-22144025

The Honourable Justice Shri Shyamal
Kumar Sen Chairperson
West Bengal Human Rights Commission
50, Ramkanta Bose Street
Kolkata 700 003
Indien
Fax: 009133-2479963


*


Übersetzung des Musterbriefs


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

kürzlich habe ich beunruhigende Informationen erhalten, wonach Dorfbewohner von Nandigram, die sich Anfang 2007 gegen die Landkaufvorhaben der Bundessregierung zwecks Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone wehrten, erneut zu hilflosen Opfern brutaler Angriffe geworden sind: Am 10.11.2007 eröffneten bewaffnete Handlanger der CPIM das Feuer bei friedlichen Demonstrationen gegen den geplanten Landerwerb, wobei mehrere Dorfbewohner, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden. Die offiziellen Quellen haben bislang den Tod von drei Dorfbewohnern bestätigt, wohingegen inoffiziellen Quellen zufolge mehr als 40 Dorfbewohner bei diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen starben. Die brutalen Angriffe gegen die Dorfbewohner/innen von Nandigram, die zu deren Flucht in Schutzunterkünfte führten, haben deren Leben und deren Existenzgrundlage gefährdet.

Da die bewaffneten Handlanger der CPIM die Dörfer durchkämmten, Eigentum plünderten und Hütten in Brand setzten, haben mehr als 40.000 Menschen ihr gesamtes Land und Eigentum verloren, das ihnen ihren Lebensunterhalt ermöglichte. Ihre Existenzgrundlage ist in Gefahr, ihr Recht auf Nahrung ist bedroht. Die Mehrheit der Vertriebenen sind den Informationen zufolge Klein- und Kleinstbauern, Farmpächter und Landarbeiter, deren Überleben von ihrem Land abhängt. Da sie immer nur in der Landwirtschaft und in keinem anderen Beruf gearbeitet haben, wären sie nicht in der Lage, alternative Einkommensmöglichkeiten zu finden. Bisher wurden den Dorfbewohner/innen keine angemessene Entschädigung oder Wiedergutmachungsmaßnahmen in Aussicht gestellt. Die Polizei sah während der Gewaltaktionen in Nandigram nur stillschweigend zu. Statt für Ordnung und Einhaltung der Gesetze zu sorgen, weigerte sich die Polizei auf Geheiß der CPIM, die armen und bedrohten Dorfbewohner zu schützen und ließ damit zu, dass sich die, Situation in dem Gebiet verschlimmerte.

Indien, und damit auch der Bundesstaat West-Bengalen, ist als Unterzeichnerstaat des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte völkerrechtlich verpflichtet, das Menschenrecht der BäuerInnen auf angemessene Nahrung zu achten und zu schützen. Als Person, die sich weltweit für das Recht, sich zu ernähren, einsetzt, möchte ich Sie bitten,

1. unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die fortdauernden Bedrohungen und die Schreckensherrschaft in Nandigram zu beenden;

2. unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Land für die Bauernfamilien sicherzustellen sowie zu gewährleisten, dass die Dorfbewohner/innen unversehrt bleiben und ihren gewohnten wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen können;

3. eine angemessene Entschädigung und Wiedergutmachungsmaßnahmen für all diejenigen Dorfbewohnerinnen zu garantieren, die Verluste bei diesen gewalttätigen Übergriffen in Nandigram erlitten haben, so dass sie weiter für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können;

4. geeignete Schritte gegen alt diejenigen Regierungs-/Polizeibeamten zu unternehmen, die bei diesen Massenübergriffen und Tötungen nur stillschweigend zugesehen haben und die zur Eskalation der dortigen Situation beigetragen haben.

Bitte informieren Sie mich über die Schritte, die Sie in dieser Angelegenheit unternehmen wollen.

Hochachtungsvoll,


*


Indien
Shri Abdur Rezzak Mollah
Minister in Charge
Land and Land Reforms Department
Writer's Building
Kolkata 700 001

Indien

Honorable Chief Minister,

Recently, I have heard the disturbing news that villagers from Nandigram, who in the beginning of this year resisted land acquisition drive of the state government for the construction of a Special Economic Zone, have once again become helpless victims of the brutal attacks: On 10.11.2007 armed goons of the CPIM opened fire on peaceful rallies against the proposed land acquisition killing several villagers including women and children and injuring hundreds in Nandigram. The official sources confirmed the death of three villagers so far whereas unofficial sources claimed that more than 40 villagers died in these incidents of violence. The brutal attacks on villagers in Nandigram leading to an exodus of the villagers to relief shelters has endangered their lives and livelihood security.

As the armed goons of CPIM combed the villages, looted properties and burnt huts, more than 40,000 people lost all l their land and possessions which had allowed them to earn a living. Their livelihoods are at stake and their right to food is endangered. Reportedly the majority of evicted persons are small and marginal farmers, share croppers and agricultural labourers, depending on their land for their survival. As they are only skilled farmers and have never practiced any other occupation, they would be unable to find alternative livelihood opportunities. No adequate compensation or rehabilitation package has been offered to the villagers yet.

The police remained a silent spectator during the violent attacks in Nandigram. Instead of upholding law and order there, police at the behest of CPIM refused to give protection to the poor and threatened villagers, thus allowing the situation to worsen in the area.

As a state party to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, India and therefore the state of West Bengal, is duty-bound under international law to respect and protect the peasants' human right to adequate food. As a person working internationally for the right to feed oneself, I would like to ask you to:

1. Take immediate action to stop the ongoing threats and reign of terror in Nandigram;

2. Take immediate measures to ensure access to land for the peasant families and ensure that the villagers can retain their physical integrity and can pursue their regular economic activities;

3. Guarantee adequate compensation and rehabilitation packages for all the villagers who suffered losses from this large-scale violence in Nandigram, so that they will be able to sustain their livelihood;

4. Take appropriate action against all government officials/police who remained silent spectators to this mass attacks/killings and who played a role in inflaming the situation there.

Please inform me about the steps you plan to take in this matter.

Yours sincerely,


Copy to: Shri Abdur Rezzak Mollah, Minister in Charge, Land and Land Reforms Department
The Honourable Justice Shri Shyamal, Kumar Sen Chairperson, West Bengal Human Rights Commission


*


FIAN-Belgien
rue Van Elewijk 35
1050 Bruxelles
Tel / Fax: +32-26 40 84 17
info@fian.be
www.fian.be

FIAN-Deutschland
Düppelstr. 9-11
50679 Köln
Tel: +49-221-702 00 72
Fax: +49-221-702 00 32
eilaktionen@fian.de
www.fian.de

FIAN-Österreich
Laudongasse 40
1080 Wien
Tel: +43-14 05 55 15-316
Fax: 0043(0)14 05 55 19
fian-oe@oneworld.at
www.fian.at

FIAN Schweiz
Bd du Pont-d'Arve 16
1205 Geneve
fian-ch@bluewin.ch


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, 1/2008
Februar 2008 - FIAN-Eilaktion 0803 UIND - Folgeaktion zu 0702
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2008