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BERICHT/160: Freihandel bedroht Ernährungssicherung (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Freihandel bedroht Ernährungssicherung
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien

Von Christa Wichterich


Exakt zu dem Zeitpunkt, als in Bonn VertreterInnen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft - darunter viele aus Indien - bei "Planet Diversity" Ernährungssouveränität durch den Schutz lokaler Produktion, biologischer Vielfalt und tradierten Wissens forderten, erklärte EU-Handelskommissar Peter Mandelson: "Im globalen Zeitalter macht Ernährungssicherheit nur auf globaler Ebene Sinn". Seit die WTO-Verhandlungen in einer Sackgasse gelandet sind, will die EU globale Märkte durch bilaterale Freihandelsabkommen schaffen. Eins der wichtigsten ist das seit Juni 2007 verhandelte Abkommen mit Indien.


Für beide Seiten steht der Export von Industriegütern und Dienstleistungen ganz oben auf der Agenda. Das hat jedoch Auswirkungen auf die bäuerliche Landwirtschaft, in der mehr als die Hälfte der indischen Erwerbstätigen arbeitet.


Neue Sonderwirtschaftszonen

In neuen Sonderwirtschaftszonen sollen "Agri-Export-Zonen" für spezielle Produkte und "Food-Parks" zur Nahrungsmittelverarbeitung entstehen. Dort müssen Agro-Unternehmen die von der EU auferlegten Sicherheitsstandards (SPS) beachten. Kleine landwirtschaftliche Betriebe, denen es an Technologie und Kenntnissen fehlt, um die SPS-Normen der EU einzuhalten, sind damit aus dem Exportrennen, wie beispielsweise bei Gewürzen und Kräutern für ayurvedische Medikamente.

Die Millionen StraßenhändlerInnen und Gemüseladen, die bisher den Handel dominieren, werden nicht mithalten können, wenn Supermarktketten und ausländische Konzerne sich breit machen. Cash-and-carry-Geschäfte wie die Metro werden kleinbäuerliche Betriebe für den Anbau unter Vertrag nehmen und eigene Zulieferketten aufbauen. Vertragsanbau für die Supermarktregale und Tiefkühftruhen, wo sich die kaufkräftigen städtischen Mittelschichten bedienen, ersetzt den Anbau einheimischer Sorten für lokale Märkte und zwingt die Bauern und Bäuerinnen, dem Auftraggeber Saatgut und Pestizide abzukaufen.

Die Rechte auf geistiges Eigentum und weitere Patentierungen im Saatgutbereich hebeln das Recht der Kleinbauern aus, lokale Sorten zu vermehren, weiterzuzüchten und ihr Saatgut frei zu tauschen. Gleichzeitig baut die Regierung die Subventionen für Agrochemikalien ab, die Preise steigen. Schon jetzt hat die Verbreitung von Hybrid- und Gensaatgut durch Agrokonzerne, wie zum Beispiel Monsantos Bt-Baumwolle, die Verschuldung von Kleinbauern dramatisch erhöht und ist mitverantwortlich für zigtausend verzweifelte Selbsttötungen.


Hunger nach Aufregung?

EU Agrar-Kommissarin Mariann Fischer Boel sorgt sich jedoch mehr um die indische Mittelklasse, die angeblich "nach aufregenden Essens- und Trinkerlebnissen hungert". Um diesen Hungrigen zu helfen, will die EU unter anderem Wein, Whiskey, Olivenöl und 40 Fischsorten nach Indien exportieren, wenn die Zölle fallen.

Doch es geht nicht nur um Zollsenkungen. Die EU zielt auch auf den Abbau von nationalen Regulierungen des Marktes wie Schutzmaßnahmen, Preis- und Finanzmarktkontrollen sowie Auflagen für Investoren. Dann hätte die indische Regierung nicht mehr die Regulierungsmöglichkeiten, die sie zum Beispiel momentan erwägt, um die Nahrungsmittelkrise und Inflation in den Griff zu bekommen: ein Verbot von Termingeschäften mit Agrarprodukten, Maßnahmen gegen Preismaniputationen und gegen das Horten von Lebensmitteln durch Händler und Privatleute, Beschränkung des Exports beziehungsweise Imports bestimmter Agrarprodukte, Wiedereinführung von Subventionen und Regulierung des Anbaus für Agrarsprit.


Kampf um Ausnahmequote

Proteste gegen Handelsliberalisierung werden derzeit von BäuerInnen, Fischern und KleinhändlerInnen angeführt. Sie fürchten, ihre Überlebensressourcen zu verlieren und auf den Märkten auskonkurriert zu werden. Sie fordern, dass Agrar- und Fischereiprodukte auf die so genannte Negativliste des Freihandelsabkommens gesetzt werden. Nur zehn Prozent von 5.000 Produkten können von den Zollsenkungen ausgenommen werden. Um diese Ausnahmequote kämpfen nun agrarische Produkte mit Industriegütern. Es zeichnet sich ab, dass die schwachen Marktakteure und ihre Ernährungssicherheit auf der Strecke bleiben.

Die Autorin ist freiberufliche Publizistin.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 10
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2008