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BERICHT/166: Österreichs Biosprit-Legende (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Österreichs Biosprit-Legende
Agrotreibstoffe haben nichts mit Hunger zu tun?

Von Gertrude Klaffenböck


"Mit der Biosprit-Legende muss man aufräumen!" Was sich angesichts der Immer deutlicher werdenden negativen Auswirkungen des Agrotreibstoffbooms als vernünftige und verantwortungsvolle Position in einer öffentlichen Debatte anhört, entpuppt sich als ein Zitat des österreichischen Umweltministers Josef Pröll (2008, Der Standard), der damit die EU-Position nach einer zehnprozentigen Beimischungspflicht von Agrotreibstoffen bis 2010 vehement verteidigt und die negativen Auswirkungen der Beimischungsziele auf Nahrungsmittelpreise, Umweltschutz und Menschenrechte in Abrede stellt.


Ambitionierte Ziele der österreichischen Regierung

Mit der Richtlinie 2003/30/EG zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor wurde das bis heute wichtigste Dokument auf europäischer Ebene verabschiedet, das bis 2010 einen verpflichtenden Anteil von 5,75 Prozent Beimischung von Agrotreibstoffen zu herkömmlichen Ottokraftstoffen vorsieht. Bis 2020 soll dieser Wert auf zehn Prozent gesteigert werden. Während aufgrund der gegenwärtigen Nahrungsmittelkrise einige EU-Staaten Bedenken an der Beimischungspflicht anmelden, hält Österreich weiterhin unvermindert an der Einhaltung der Ziele fest. Das Regierungsprogramm von 2007 sieht sogar noch ambitioniertere Pläne vor, nämlich die Beimischungsquote von zehn Prozent bereits bis 2010 zu erreichen, bis 2020 sollen sogar 20 Prozent Agrotreibstoffe den herkömmlichen Kraftstoffen beigemengt werden. Damit nimmt Österreich eine bedenkliche Vorreiterrolle ein.

Wie mittlerweile eine Anzahl von Studien belegt, kann ein solches Beimischungsziel in Österreich nicht ohne Importe bewältigt werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist davon auszugehen, dass zwischen 60 bis zu 95 Prozent der Agrotreibstoffe beziehungsweise Rohstoffe für die Treibstoffgewinnung durch Importe abzudecken sind. In den letzten Jahren bereits stieg der Import von Pflanzenöl nach Österreich dramatisch an. Im Zeitraum von 2003 bis 2007 sind die Palmölimporte von rund 10.000 Tonnen auf mehr als 40.000 Tonnen gestiegen, und während bis 2005 jährlich unter 5.000 Tonnen an Sojaölen importiert wurden, sind diese bis 2007 auf etwa 35.000 Tonnen angestiegen. Die Ursprungsländer von Palmöl sind überwiegend Malaysia und Indonesien, das meiste Sojaöl kommt aus Argentinien und Brasilien.

Während Umweltorganisationen seit geraumer Zeit sehr kritisch und laut auf die ökologischen Konsequenzen und die kontraproduktiven Einflüsse auf den Klimawandel hinweisen, hat die gesetzliche Verordnung der Beimischungsziele in Österreich die Diskussion deutlich verschärft Neben Umweltorganisationen meldeten sich auch entwicklungspolitische NRO deutlich zu Wort und forderten die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards als Bedingungen für Importe und den weiteren Einsatz von Agrotreibstoffen. Besonders angesichts der sich zuspitzenden Nahrungsmittelkrise häufen sich jedoch die Stimmen von NRO und WissenschaftlerInnen, die ein Abrücken beziehungsweise die Rücknahme der Beimischungsziele fordern. In öffentlichen Diskussionen und Stellungnahmen wies FIAN in Österreich wiederholt darauf hin, dass die steigende Nachfrage zu einer ernsthaften Bedrohung des Rechts auf Nahrung für viele Menschen - insbesondere für indigene Gemeinschaften - in den Herkunftsländern der Pflanzenölimporte führt beziehungsweise diese extrem verschärft. Berichte von FIAN und Partnerorganisationen in Brasilien, Argentinien und Indonesien haben schließlich gezeigt, wie beispielsweise Erfolge von Agrarreformen bedroht oder gar rückgebaut werden, das Recht von Indigenen auf ihr Land zusehends ignoriert wird und die lokale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln schwindet.


Agrotreibstoffe und Österreichs Verantwortung für das Recht auf Nahrung

Bedauerlicherweise zeigen sich der österreichische Umwelt- und Landwirtschaftsminister ebenso wie Teile der Agroindustrie oder bäuerlichen Interessenvertretungen nach wie vor unbeeindruckt. In ihrer Vorreiterrolle mit den besonders hoch gesteckten Beimischungszielen von 20 Prozent bis 2020 muss die österreichische Regierung sich den Vorwurf gefallen lassen, in eine Mittäterschaft von Menschenrechtsverletzungen zu geraten. Denn schließlich wurden mit den gesetzlich verankerten Beimischungszielen auch Rahmenbedingungen geschaffen, die dazu beiträgen, Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern voranzutreiben.


Die Autorin arbeitet bei FIAN-Österreich.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 16
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2008