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BERICHT/175: Ausstieg aus dem Ilisu-Projekt eingeleitet (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Ende der faulen Kompromisse!
Ausstieg aus dem Ilisu-Projekt eingeleitet

Von Birgit Lang


Der mögliche Ausstieg der Exportkreditagenturen von Österreich, Deutschland und der Schweiz aus dem Ilisu-Staudammprojekt ist offiziell eingeleitet worden. Am 7. Oktober haben sie die Ausstiegsklausel aktiviert. Die Türkei hat bis zum 6. Dezember 2008 Zeit, die an das Ilisu-Projekt geknüpften Auflagen zu erfüllen - Auflagen, die bislang ignoriert wurden und nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen (NRO) innerhalb der gesetzten Frist kaum erfüllt werden können.


Der Bau des Staudammes Ilisu würde katastrophale Folgen für Umwelt und Menschen mit sich bringen, eine einmalige Kultur- und Naturlandschaft am Tigris zerstören und 65.000 Menschen aus ihrer Heimat vertreiben und in eine ungewisse Zukunft schicken. Laut Umfragen sind 80 Prozent der BewohnerInnen gegen den Bau des Staudamms, zahlreiche Bürgerinitiativen und Protestveranstaltungen zeugen vom lokalen Widerstand, den sie bis nach Wien und Berlin tragen.

Im März 2007 stimmten die Exportkreditagenturen von Deutschland, Österreich und der Schweiz der Unterstützung des Projekts zu. Geknüpft an 158 Auflagen, deren Einhaltung von einem Expertenkomitee überwacht werden sollte, übernahmen die drei europäischen Länder die staatliche Exportförderung für eines der umstrittensten Staudammprojekte der Welt, am damit die Arbeiten der Baufirmen Andritz AG, Züblin AG und Alstrom abzusichern.


Die österreichische Beteiligung

Vertreibung, Verarmung und Umweltzerstörung wären der Preis für die Freude des österreichischen Unternehmens Andritz AG, das sich den türkischen Millionen-Auftrag zur Ausstattung des Staudamms sicherte. Neben der Österreichischen Kontrollbank (OeKB) und der Bank Austria ist die Andritz AG die Dritte im Bunde der österreichischen Profiteure. Das Unternehmen betonte, dass das Projekt den "hohen westlichen Standards von OECD und Weltbank" entsprechen würde und begleitet sei von zahlreichen Auflagen zum Schutz von Umwelt, Kulturgütern und Menschen. Mehrere Expertenberichte zeugen vom Gegenteil, von der Nichterfüllung jeglicher Auflagen bis zum heutigen Zeitpunkt - deren gründliche Ausarbeitung noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen würde -, und legen deutlich die katastrophalen Auswirkungen des Staudammbaus und der Zwangsumsiedlungen dar. Diese Monitoringberichte, unterstützt durch die Öffentlichkeitsarbeit von NRO, haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Exportkreditagenturen die Notbremse gezogen und erstmalig in ihrer Geschichte eine Ausstiegsvorbereitung in die Wege geleitet haben.

FIAN hat mit Eilaktionen auf die Verletzung der Staatenpflicht zur Einhaltung des WSK-Paktes aufmerksam gemacht und sich bei Protestaktionen vor Bank Austria Filialen und der OeKB beteiligt. Mit der Kampagne "Stop Ilisu - Rettet Hasankeyf!" unter der Koordination von ECA-Watch wird das Ziel verfolgt, das Projekt Ilisu zu stoppen sowie den Rückzug der drei europäischen Staaten zu bewirken. In Österreich unterstützt FIAN mit Menschenrechts-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ECA-Watch, um sich gemeinsam für eine soziale Reform der österreichischen Exportförderung einzusetzen.


Wie nehmen die österreichischen Parteien Stellung?

Im Vorfeld der Nationalratswahl am 28. September hat ECA-Watch die kandidierenden Parteien um Stellungnahmen zu einem Ausstieg aus dem Ilisu-Projekt und zum Ausfuhrförderungsgesetz (AusfFG) gebeten. Denn die Genehmigung des Projekts war und ist aufgrund des AusfFG möglich, und ähnliche gravierende Großprojekte stehen vor der vertraglichen Absicherung durch die OeKB. Daher macht sich ECA-Watch für eine Novellierung dieses Gesetzes stark und verlangt mehr Transparenz im Ausfuhrförderungsverfahren. Alle befragten Parteien äußerten sich kritisch zur Beteiligung Österreichs und würden einen Ausstieg befürworten, sollten sie in der nächsten Regierung vertreten sein. Dies sei am Rande erwähnt, denn tatsächlich ist die Aktivierung der Ausstiegsklausel ein erstmaliger Vorgang und Erfolg der unabhängigen Monitoringberichte und der Öffentlichkeitsarbeit von NRO.

Die Beteiligung Österreichs, Deutschlands und der Schweiz steht auf Messers Schneide. Das öffentliche Auge soll weiterhin auf die Vorgänge gerichtet bleiben um faulen Kompromissen keine Chance zu geben. Der mögliche Ausstieg der europäischen Unterstützer ist ein absolut einmaliges und zukunftsweisenden Zeichen für die Türkei und für das Gesamtprojekt Staudamm Ilisu.


Die Autorin ist FIAN-Aktivistin in Österreich.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2008, S. 15
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2009