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BERICHT/178: Landrechte der Adivasi in Indien (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Landrechte der Adivasi in Indien
Der kulturelle und soziale Bestand der Adivasi steht auf der Kippe

Von Theodor Rathgeber


Der Großteil der Adivasi in Indien lebt nach wie vor auf dem Land (rund 90 Prozent der etwa 80 Millionen). Frühe Formen des Ackerbaus, Weidwirtschaft, Jagd sowie die Nutzung des Waldes gehören heute noch zum geläufigen Repertoire der Nahrungs- und Existenzsicherung vieler Adivasi-Gemeinschaften. So ist das saisonale Wechselspiel zwischen Land- und Waldnutzung entscheidend für den ausreichenden Speiseplan und kleinere Mengen an Gütern für den Markt, wie etwa Waldfrüchte oder Feuerholz. Der historisch gewachsene, ungehinderte Zugang zu Land, Wald und Wasser stellt die zentrale Voraussetzung für eine Entwicklung der Adivasi dar, die eigenen Maßstäben folgt, und die eine relativ selbstbestimmte Weiterentwicklung unter Einbeziehung der jeweiligen Naturreligion ermöglicht.


Diesen Zusammenhängen versucht die indische Verfassung einigermaßen Rechnung zu tragen. Insbesondere der fünfte Anhang zur Verfassung (Fifth Schedule; Artikel 244.1) markiert für Landübertragung und Fremdnutzung in den für Adivasi (scheduled tribes) ausgewiesenen Gebieten (scheduled areas) enge Grenzen. Nur in Ausnahmefällen und auf der Grundlage eines Gesetzes kann dejure Adivasi-Land enteignet werden. Mit der Einrichtung der Panchayats im Jahr 1996 - ein Gremium der traditionellen Selbstverwaltung - wurde die formaljuristische Eigenständigkeit der Adivasi-Gemeinschaften zusätzlich gestärkt. Jegliche fremde Nutzungsabsicht auf den registrierten Territorien ist an die Zustimmung der Dorfversammlung (Gram Sabha) gebunden. Das seit 2008 gültige Forstgesetz ermöglicht umgekehrt die subsistenzwirtschaftliche Nutzung des Waldes für Adivasi und andere angestammte, lokale Bevölkerungsgruppen auch in Wildreservaten und Naturparks, für die ansonsten strenge Nutzungsverbote herrschen.

Wie so häufig in Indien klafft jedoch zwischen rechtlichem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit eine ziemlich große Lücke. Nicht in allen Bundesstaaten gelten die Bestimmungen der Fifth Schedule, nicht alle Adivasi-Völker sind im rechtlichen Sinne registriert (scheduled), das Verbot der Landübereignung an Nicht-Adivasi wird durch Hypothekengeschäfte umgangen, und was ein angemessener Ausgleich für die von vielen Adivasi nach wie vor als ,beseelt' empfundenen Natur sein kann, wird regierungsamtlich kaum diskutiert. Das Fundament der Landrechte der Adivasi ist schon im formalrechtlichen Bereich an entscheidenden Stellen brüchig.

Darüber hinaus setzen Landraub, Vertreibung, manipulierte oder gekaufte Entscheidungen der Dorfräte faktisch viele der Rechte außer Kraft. Im Zuge von Bergbau, Staudämmen, Industrialisierungsprojekten, Plantagen oder Nationalparks sind rund 20 Millionen von Adivasi vertrieben worden; einige davon mehrfach. Nur rund ein Viertel erhielt eine angemessene Entschädigung. Wer die konflikte und den Widerstand um den Narmada-Staudammkomplex, das Polavaram-Staudammprojekt, die Pläne für Megastaudämme im Nordosten Indiens oder die Industrieansiedlungsprojekte und Neueinrichtungen von Naturparks verfolgt, weiß, dass die Rechtsansprüche der Adivasi bis heute im Zweifelsfall nicht garantiert werden. Der indischen Mainstream empfindet die Adivasi und ihre Landrechte als Hindernis für eine moderne Entwicklung Indiens.

Die Bilanzierung der Adivasi-Landrechte kommt daher zu eher dramatischen Schlussfolgerungen: die Zerstörung vieler Adivasi-Existenzen konnte nicht aufgehalten werden. Leider wird Indiens herrschende Entwicklungspolitik auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland gestützt. Dies ist dann auch eine zentrale Forderung von Adivasi-Repräsentanten gegenüber dem Ausland: international kontrollierte Streitschlichtungsverfahren einzurichten und zu fördern, wie sie etwa durch die ILO-Konvention 169 oder durch die praktische Umsetzung der UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker auch in Asien möglich sind. So sollte es Verträglichkeitsstudien geben, die die Adivasi in die Entscheidungen von Anfang an mit einbeziehen und deren menschenrechtliche Grundstandards berücksichtigen. Andernfalls sind wir von faktisch garantierten Landrechten der Adivasi in Indien weit entfernt.

Der Autor ist Geschäftsführer der Adivasi-Koordination.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2009, S. 10
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2009