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BERICHT/207: Welche Landwirtschaft braucht das Recht auf Nahrung? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Welche Landwirtschaft braucht das Recht auf Nahrung?

Von Roman Herre


Kann man auf diese Frage überhaupt eine Antwort geben? Oder begibt man sich damit zu weit weg von dem Mandat einer Menschenrechtsorganisation und geht zu tief in einen politischen Diskurs? Am Beispiel der so genannten Grünen Revolution (1), dem Schwerpunktthema dieser FoodFirst-Ausgabe, könnte also die Frage lauten: Können teures Hybrid-Saatgut und Gentechnik nicht mehr Menschen mit Nahrung versorgen und kann die Industrialisierung der Landwirtschaft nicht auch zur Erfüllung des Rechts auf Nahrung beitragen?


Eine Frage, die auf den ersten Blick nicht einfach zu beantworten zu sein scheint. Ein Blick auf die Argumente hilft bei der Beantwortung. Die Verfechter dieses landwirtschaftlichen Produktionsmodells stützen sich einseitig auf die globale Mengendebatte, die ausschließlich in der Produktionssteigerung die Lösung des Hungerproblems sieht. Die Weltbank spricht in ihrem Weltentwicklungsbericht beispielsweise von der "Produktivitätsrevolution". Fragen von Verteilungsgerechtigkeit und der Kontrolle über das globale Ernährungssystem blenden sie kategorisch aus.


Das Recht auf Nahrung in der Landwirtschaftspolitik

Das Menschenrecht auf Nahrung stellt konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung der Landwirtschaftspolitik. Der Menschenrechtsansatz bedeutet sehr viel mehr als die globale Verfügbarkeit von Nahrung zu erhöhen (Produktionssteigerung). Er bedeutet vor allem, den Zugang zu Nahrung sicherzustellen. Wie die Leitlinien zum Recht auf Nahrung ausführen, bedeutet dies insbesondere, den Zugang zu produktiven Ressourcen wie Land, Wasser oder Saatgut der 750 Millionen Hungernden auf dem Land nachhaltig zu stärken. Nachhaltig bedeutet in diesem Kontext besonders, kein System zu fördern, welches einseitig abhängig von teuren Inputs wie Hybrid-Saatgut, synthetischem Dünger oder Pestiziden ist. Diese strukturellen Fragen von Förderpolitiken haben direkte und massive Auswirkung auf das Recht auf Nahrung von KleinbäuerInnen. Das Beispiel aus Malawi (Seite 7) veranschaulicht diesen Zusammenhang sehr schön und zeigt echte Alternativen auf. Die Arbeit von Elionor Ostrom zur Verwaltung von Gemeinbesitz (Seite 8), die letztes Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, unterstreicht die Alternativen zu der der Grünen Revolution zugrunde liegenden einseitigen Privatisierung und Kapitalisierung der Landwirtschaft.


Im Fokus des Menschenrechtsansatzes: Prozesse

Ein Kernanliegen des Menschenrechtsansatzes ist eine echte Partizipation der betroffenen Gruppen. Das bedeutet, sie bei der Erarbeitung von Lösungsansätzen ins Zentrum zu stellen. Ein Blick auf die Prozesse, in denen Strategien und Lösungsansätze zur Hungerbekämpfung erarbeitet werden, ist daher eben so wichtig wie die Lösungsansätze selbst.

Ein dominantes Merkmal der Grünen Revolution und der in diesem Heft angesprochenen Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA, Seite 11) ist hingegen die aktive Ausgrenzung der in der Theorie hervorgehobenen Zielgruppen, besonders der Kleinbauernorganisationen. Hier wird ein vorgefertigtes Modell aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in enger Kooperation mit der Wirtschaft ausgetüftelt und einem ganzen Kontinent übergestülpt; "Ihr kommt. Ihr kauft Land. Ihr macht einen Plan. Ihr baut ein Haus... und dann fragt ihr mich in welcher Farbe die Küche gestrichen werden soll? Das ist keine Partizipation!" (2), so ein afrikanischer Bauer zu AGRA. Mittlerweile haben sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen offen gegen AGRA ausgesprochen.


Strukturelle Menschenrechtsverletzungen

Neben einzelnen Fällen von Menschenrechtsverletzungen bedeutet die Arbeit für die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung daher auch, sich mit den strukturellen, politisch geschaffenen Rahmenbedingungen intensiv auseinander zu setzen. Dies unterstreichen die Erfahrungen, die FIAN im Bereich Agrarhandel gesammelt hat. Im Fall der Grünen Revolution, für die nun die afrikanischen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen auserkoren wurden, muss daher auf die Abhängigkeiten hingewiesen werden, die in der Vergangenheit zu Verschuldung, Landverlust und Verdrängung in die Slums der Städte geführt haben. Diese Mechanismen bedeuten oft tausendfache Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung.

Roman Herre ist Referent für Agrarreform und Agrarhandel bei FIAN Deutschland.


Anmerkungen:
(1) FoodFirst Institute (2009) Facts: Alliance for a Green Revolution in Africa

(2) Hinter dem Begriff steht die Idee, einseitig mit mehr künstlichem Dünger, mehr Pestiziden und neuem Hochleistungssaatgut also teuren externen Inputs die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2010, März 2010, S. 6
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010